Vor zwei Jahren schrieb ich über eine Aufführung der Vorgänger-Inszenierung von Marco Arturo Marelli: „Daniel Schmutzhard ist ein Bild von einem Danilo, dem man den fadisierten Diplomaten in Playboy-Verkleidung gern abnimmt.“ Davon ist  in der neuen Inszenierung von Mariame Clément an der Volksoper nichts geblieben: Schmutzhard wird in derselben Rolle gefühlt vierzig Jahre älter gemacht und muss am Stock gehen, und wenn Anett Fritsch ihren ersten Auftritt als Hanna Glawari hat, erinnert das eher an Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame. Ein spießiges Kostüm mit Pelz, ein frisches Gesicht mit künstlichen Falten verklebt – das hat sich Lehárs grandiose Titelfigur nicht verdient.

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Die lustige Witwe
© Werner Kmetitsch | Volksoper Wien

Laut Programmheft will die Regisseurin zeigen, dass diesem Paar die Zeit davonläuft, um die Geschichte der reichen Witwe, die zur Rettung der pontevedrinischen Staatsfinanzen ihren Landsmann Danilo Danilowitsch heiraten soll, berührender und auch plausibler zu machen. Hierbei handelt es sich allerdings um ein grundlegendes Missverständnis des Genres, denn eine stringent erzählte Handlung war noch nie der wichtigste Grund, eine Operette zu besuchen. Mit der Lustigen Witwe verbindet man Ohrwurm-Melodien und Walzerseligkeit, große Gefühle gepaart mit Witz und angerührt mit ein bisschen Kitsch, raffinierten Kostümen und opulenter Dekoration – damit allein hat sich Lehárs Werk immerhin schon fast 120 Jahre ohne Erklärungsnotstand auf den Bühnen gehalten.

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Anett Fritsch (Hanna Glawari) und Daniel Schmutzhard (Graf Danilo Danilowitsch)
© Werner Kmetitsch | Volksoper Wien

Natürlich kann – und soll! – man neue Zugänge wagen, aber die vorliegende Inszenierung bringt nichts Neues, sondern Petticoats aus den Fünfzigern, Altherren-Anzüge aus den Achtzigern, und die Nachtclub-Grisetten fordern die „Pille für alle“. Auch das Bühnenbild mit Samtvorhängen und billigen Holzvertäfelungen lässt diese Lustige Witwe so altbacken aussehen wie eine Siebzigerjahre-Fassung der Pension Schöller, nur dass man sich seinerzeit wohl nicht getraut hätte, den Pavillon im zweiten Akt durch eine Holzkiste im Format eines mobilen WCs zu ersetzen.

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Szymon Komasa (Baron Mirko Zeta), Daniel Schmutzhard und Jakob Semotan (Njegus), Anett Fritsch
© Werner Kmetitsch | Volksoper Wien

Man könnte bei der Ausstattung von Julia Hansen auch an Otto Schenk und Helmut Lohner sel. in den Kammerspielen denken. Allerdings sind die beiden Ikonen des österreichischen Humors, wohingegen die Komödie am Gürtel ebenso nicht vom Fleck kommt, wie das Bühnenpersonal gegen die Drehbühne anrennt. Das liegt nicht unbedingt an der neuen Textfassung durch Jakob Semotan oder der Personenregie, sondern beweist, dass „alt und hässlich” einfach der falsche Zugang zu diesem Werk ist.

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Die lustige Witwe
© Werner Kmetitsch | Volksoper Wien

Bei Daniel Schmutzhard schlug sich das Ambiente sogar auf die Gesangsleistung – kein Vergleich mit seiner Charme-sprühenden Leistung von 2022. Anett Fritsch hielt sich wacker, lieferte auch ein ansprechendes „Vilja-Lied“, doch hat sie weder die füllige Idealstimme für diese Partie, noch das Charisma, um aus der „Altersbürde“ das Beste zu machen. Da hätte etwa die Old Lady aus Lydia Steiers Candide-Inszenierung am MusikTheater als Vorbild dienen können.

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Die lustige Witwe
© Werner Kmetitsch | Volksoper Wien

Hedwig Ritter gab Valencienne als ältliche Desperate Housewife mit schrillen Spitzentönen, doch bildete sie mit Aaron Casey Gould als Camille de Rosillon ein witziges, wenn auch unglaubwürdiges Paar. Letzterer war mit seinem Operettentenor die passendste Besetzung des Abends, und mit Malerbarett und Ringel-T-Shirt bekam er auch das netteste Kostüm auf diesem Jahrmarkt der Scheußlichkeiten. Jakob Semotan setzt für seine Rolle als Njegus auf den wienerischen Konjunktiv (hättat, dadat, …), und blieb damit immerhin in Erinnerung, während sich andere gestandene Volksoper-Komödianten nie wirklich in Szene setzen konnten.

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Aaron-Casey Gould (Camille de Rosillon) und Hedwig Ritter (Valencienne)
© Werner Kmetitsch | Volksoper Wien

Nicht geholfen hat leider der musikalische Zugang von Ben Glassberg, der das Werk zum ersten Mal dirigierte und gut daran getan hätte, nicht gleich zum Einstand zu viel zu hinterfragen. Eine geschmeidig-elegante Sache war das nicht, denn etliches klang zu derb. „Lippen schweigen“ wurde tempo-mäßig gar zu dem gedehnt, was hierzulande als „L’Amour-Hatscher“ bezeichnet wird (also als ein auf der Stelle getretener Schmusetanz). Allerdings hat jeder echte L’Amour-Hatscher mehr Erotik als die Drehfiguren-Choreographie für das greise Liebespaar. Für Operetten-Connaisseurs ist diese Inszenierung ein Genuss wie der berüchtigte pontevedrinische Distelschnaps.

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