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WIEN / Staatsoper: GUILLAUME TELL – Wiederaufnahme

Dieser Opernabend fällt nicht in die Fastenzeit, sondern ist purer Hörgenuss

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John Osborn (Arnold), Lisette Oropesa (Mathilde). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Wiederaufnahme von GUILLAUME TELL

29. Aufführung in dieser Inszenierung

8. März 2024

Von Manfred A. Schmid

Bei der Uraufführung, 1829 in Paris, nannte man das monumentale Stück eine „Grand Opéra“, heute würde man „Großes Kino“ dazusagen. Als solches wurde die auf Friedrich Schillers Drama vom Befreiungskampf der Schweizer vom Joch des Habsburgerreiches basierende Oper vor gut 25 Jahren von David Pountney auch auf die Bühne gebracht. Die letzte Oper von Gioachino Rossini ist nicht nur das gelungenste Werk des schon zu seinen Lebzeiten weltberühmten Komponisten, der im Alter von 24 Jahren mit Il Barbiere di Siviglia die erste Repertoire-Oper geschaffen hatte, sondern auch d e r Höhepunkt des in Frankreich gepflegten Genres der Grand Opéra. Danach wollte das erst 37-jährige Genie keine Note für das Musikdrama mehr niederschreiben, sondern widmete sich der Perfektion seiner Kochkünste und seiner Leidenschaft als Gourmet bzw. Gourmand. Wegen des großen Aufwandes, den diese Oper erfordert, sowohl stimmlich wie auch ausstattungsmäßig, aber auch wegen der an Wagner-Dimensionen erinnernden Dauer und wegen des hohen Personalbedarfs – mehrere Balletteinlagen sind ebenfalls vorgesehen – ist diese Oper nur selten auf Opernbühnen anzutreffen. Umso erfreulicher, dass dieses Stück nun, nach einer langen Pause seit der letzten Aufführung in der Ära Holender, sorgsam aufgefrischt, wieder an der Staatsoper zu erleben ist.olender ener

Regisseur Pountney setzt in seiner Inszenierung auf starke Akzentuierung des eidgenössischen Hintergrunds der Handlung. Gleich im ersten Bild ist beim Aufmarsch der Landbevölkerung auch ein Alphornbläser dabei. Die Bühne von Richard Hudson, von dem auch die an alpenländische Trachten ausgerichteten Kostüme der unterdrückten Landbevölkerung stammen, wird von einem alpinen Landkarten-Relief geprägt, das teilbar ist und in den vier Akten je nach Bedarf auch in Teilen verschoben werden kann. Mehrere hölzerne Miniaturmodelle schweizerischer Bauernhäuser und Stadeln sind auf der Bühne platziert: Ein starker Kontrast zu zwei riesigen Puppen mit beweglichen Armen, die Autorität und Kontinuität ausstrahlen, weil sie ebenfalls in ihrer Kleidung mit Hut und Joppe schweizerisches Selbstbewusstsein und Tradition verkörpern. Hoch oben auf dem Schoß der männlichen Figur sitzt Arnold Melcthal, der respektierte und verehrte Repräsentant des Widerstands gegen die Besatzer. Hedwige, die Gattin Wilhelm Tells, des aktiven Anführers der Aufständischen, hat auf dem Schoß der weiblichen Puppe platzgenommen. Beide verkörpern, wenn man so will, den eigentlichen Landesherrn und die wahre Landesmutter, als Gegenentwurf zu Gesler, dem von den Habsburgern eingesetzten Landvogts der Kantone Schwyz und Uri. Als Melcthal einem Anschlag zum Opfer fällt, liegen die riesigen Trümmer seiner Figur verstreut auf dem Boden. Das Maß ist voll. Der Startschuss zur Befreiung fällt.

Adäquate Besetzungen zu finden, ist bei diesem anspruchsvollen Werk eine große Herausforderung, besonders dann, wenn es, wie es diesmal, im Vorfeld zu gleich mehreren Absagen gekommen ist. José Floréz, einer der gesuchtesten Sänger für Rolle des Arnold, Sohn Melcthals, der sich ausgerechnet in die Habsburger Prinzessin Mathilde verliebt hat, konnte wegen anhaltenden Hustens nicht kommen, auch der für die Rolle des schweizerischen Nationalhelden vorgesehene Carlos Álvarez musste krankheitsbedingt absagen. Keine zweite Wahl, sondern als ausgezeichnete Lösung erweist sich der amerikanische Tenor John Osborn, der bereits am Theater an der Wien als Arnold erfolgreich im Einsatz war und inzwischen an Reife, Perfektion und darstellerischer Leistung dazugewonnen hat. Ein höhensicherer, fein timbrierter Belcanto-Tenor, der mit den vielen gefürchteten hohen Cs keinerlei Probleme hat, das zwei Mal geforderte hohe Cis zwar mit Kopfstimme abholt, dann aber sofort in seine Normalstimme überführt.  Seine leidenschaftliche Liebe zu Mathilde löstein Auf und Ab der Gefühle aus, weil er dadurch in den Verdacht der Verräterei fällt. Er bewahrt allerdings stets Würde, Haltung und Aufrichtigkeit.

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Roberto Frontali (Guillaume Tell), Maria Nazarova (Jemmy)

Roberto Frontali kann der Figur des Guillaume Tell mit seinem kraftvollen Bariton viele Schattierungen abgewinnen, ganz der heldische, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehende Anführer des Aufstands seiner Landsleute gegen die bösen Unterdrücker ist er aber nicht. Dafür punktet als um seinen Sohn besorgter, liebevoller Vater.

Eine erfreuliche gesangliche Leistung erbringt das noch junge Opernstudiomitglied Stephano Park. Der aus Südkorea stammende Sänger,  Operalia-Gewinner 2023, verfügt über einen mächtigen, warmen Bass, den er gut zu führen weiß, ist als Walter Furst, Verschwörer und Vertrauter von Wilhem Tell, auch darstellerisch sehr bemüht.

Der Bass Evgeny Solodvnikov hat als Melcthal nicht viel zu singen, ist aber ein markiger Melcthal, seine Ensemblekollegin Monika Bohinec eine verlässliche Besetzung für die Rolle der „Landesmutter“ Hedwige, in der Tiefe diesmal stimmlich etwas gefordert, aber nicht überfordert.

Jemmy, dem von seinem Vater der Apfel vom Kopf geschossen wird – in der Regie von Pountney als eine ziemlich krampfhafte Zeitlupen-Aktion inszenierte Szene, bei der der Pfeil von Hand zu Hand bis zu seinem Bestimmungsort weitergereicht wird -, ist mit Maria Nazarova, perfekt und frisch wie immer, ebenfalls aus dem Haus besetzt. Das gilt auch für Carlos Osuna, der als Rodolphe die Verkörperung des Bösen schlechthin ist. Ein fieser, sadistischer Kommandant von Gesslers Soldaten, die in einer beklemmend choreographierten Szene die auf den Boden liegenden Frauen brutal misshandeln und missbrauchen.

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Jean Teitgen (Gesler), Carlos Osuna (Rodolphe)

Gefürchteter Chef der Besatzungsmacht ist der Reichsvogt Gesler. Wie der Lagerleiter Rudolf Höss in Auschwitz, steht er auf der Rampe und zielt mit dem Gewehr auf die im Hof versammelten Schweizer. Ein Bösewicht, beeindruckend und einschüchternd gesungen und gestaltet vom französischen Bass Jean Teitgen. Nicht sehr auffällig hingegen ist Ivan Ayón Rivas als Fischer Ruodi, schon mehr auf sich aufmerksam macht Nikita Ivasechko aus dem Opernstudio als Schäfer Leuthold, dem es gelingt, einen Kurzauftritt nachhaltig zu gestalten.

Einen starken, wohl der einnehmendste Eindruck des Abends, hinterlässt das mit Spannung erwartete Rollendebüt von Lisette Oropesa als Mathilde. Die von Arnold geliebte Habsburger-Prinzessin, die einzige positive Person in den Reihen der österreichischen Besatzer, tritt erst im zweiten Akt, dem Herzstück der Oper, in Erscheinung. Rossinis Kollege Donizetti meinte einst, dass der erste und der dritte Akt der Oper vom besten Rossini stamme, der zweite aber wohl von Gott selbst. Wie um das zu bekräftigen, singt die Sopranistin mit göttlicher Stimme in himmlischen Höhen, bewältigt die aberwitzigen Koloraturen mit sanften, höchst sinnlichen Tönen und ist auch darstellerisch eine wahre Freude.

Der sich in manchen Szenen, besonders im ersten Akt etwas dahinschleppende Opernabend ist musikalisch ein Erlebnis besonderer Art, woran auch der famose, von Martin Schebesta einstudierte Chor und Ersatzchor einen ebenso starken Anteil haben, wie die von Renato Zanella einstudierten Ballette. Voll hinter diesem Erfolg steht jedoch das Orchester und die großartige musikalische Leitung, die in den Händen von Bertrand de Billy keine Wünsche offenlässt. Wie hier mit Rossinis Guillaume Tell dargeboten wird, ist keine Fastenspeise, sondern höchster Hörgenuss pur. Zwölf Minuten begeisterter Applaus.

 

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