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STUTTGART/ Staatsoper: „DON CARLOS“. Wiederaufnahme – musikalische Pracht in spartanischer Szene

11.03.2024 | Oper international

Staatsoper Stuttgart: „DON CARLOS“ 10.3. (WA) – musikalische Pracht in spartanischer Szene

Die Inszenierung von Lotte De Beer mit Bühne und Kostümen von Christoph Hetzer hatte im Oktober 2019 Premiere, eine zweite Aufführungsserie im Frühjahr 2020 fiel dem Corona-Lockdown zum Opfer. Jetzt wurde die fünfaktige Fassung von Verdis Musikdrama in der letzten, sogenannten „Modena“-Fassung, aber in französischer Sprache, in mit zwei Ausnahmen fast komplett veränderter Besetzung inkl. des Dirigenten neu einstudiert.

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Olga Busuioc (Elisabetta). Foto: Martin Sigmund

Die derzeitige Wiener Volksoperndirektorin wirft eine neutrale Sicht auf den geschichtlich belegten Stoff, enthebt es einer historisch konkreten Vergangenheit durch den Verzicht auf Pomp und äußerliche Verortungen. Klerus, Adle und Volk sind jedoch in ihren insgesamt schlichten Gewändern klar voneinander abgegrenzt. Es mag zunächst seltsam anmuten im ersten Akt in Fontainebleau ein Bett (außer einem nackten Schreibtisch und einem Stufenpodest mit stilisiertem Baum das einzige Requisit) vorzufinden, doch dient dies den Gedankenspielen, die die Regisseurin im Verlauf der Inszenierung mehrmals betreibt, um das Innere/Private der königlichen Familie zu beleuchten. Ansonsten signalisiert eine auf der Drehbühne bewegte bühnenhohe Mauerwand die Szenenwechsel. Selbst in dem nur durch ein dreistöckiges Stehgerüst begrenzten Autodafé sind Farben bis auf wenige Kleidungsstücke im Volk ausgespart. Die Exekutierung der Ketzer wird am Beispiel nur einer Frau angedeutet. Zurschau-Stellungen mittels eines Feuers oder durch Rituale bedarf es nicht. Auch Videos und ablenkende Parallel-Vorgänge sind unterlassen. Die szenische Spannung wird hier ganz im Vertrauen auf die tiefe Ausdruckskraft von Verdis Musik konzentriert. Eine heutzutage leider nicht mehr selbstverständliche Einstellung seitens der Regie. Umstritten bleibt die Verwendung der Ballettmusik (vor der nächtlichen Gartenszene, aber ohne den wichtigen Kleidertausch zwischen Elisabeth und Eboli) die erstens in musikalischer Hinsicht mit der Ersetzung des Finalsatzes durch die Pussy Polka von Gerhard E.Winkler, die dieses motivisch aufgreift und mit den Klängen eiserner Ketten und Trillerpfeifen lautmalerisch verfremdet, eine stilistische Abweichung bedeutet und zweitens als Rahmen für eine Szene genützt wird, in der Kinder und Jugendliche unter Einbeziehung von Don Carlos ein Puppenspiel mit Verbrennung zeigen. Soll damit auf die frühe System-Instrumentalisierung von Minderjährigen hingewiesen werden?

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Gianluca Buratto (Großinquisitor), Adam Plaka (Philip II). Foto: Martin Sigmund

Musikalisch gelang bei dieser Wiederaufnahme vieles außerordentlich und dazu gehört die ohnehin seltene Konfrontation von zwei Bässen, wenn sich König Philipp und der Großinquisitor einen Schlagabtausch über Carlos Bestrafung liefern. Beide debutierten wie die meisten der Hauptrollen-Vertreter an diesem Abend und taten dies vollumfänglich erfüllend wie in ihrer Präsenz bezwingend: Adam Palka, der mit seinem warmen, in allen Lagen raumfüllend gesättigten Bass königliche Macht demonstrierte, aber in seiner großen Arie auch feinen Belcanto-Ausdruck findet. Demgegenüber als scharfer Kontrast Gianluca Burattos etwas metallischer timbrierter und gleichfalls im ganzen Register aus dem Vollen schöpfender Bass als Großinquisitor in unmissverständlicher Überlegenheit seiner Funktion. Johannes Kammler begann seinen ersten Posa noch etwas flach in der Komprimierung von rein vokaler und interpretatorischer Dringlichkeit, ließ seinen immer runder werdenden und frei strömenden Bariton ab der Aussprache mit dem König und ganz besonders in der Todesszene voller Expansion entfalten.

Im Bewusstsein kein strahlender Held und Lover zu sein, ist der Koreaner David Junghoon Kim sowohl in seiner kurzgestockten wie mimisch maskenhaften Erscheinung eine passende Wahl für die Titelrolle. Mit seinem hellen Tenor weiß er wohl gefühlvoll zu differenzieren, bleibt aber en gros doch etwas farblos und im Forte mit zunehmender Höhe etwas streng und grell. Die begrenzte Mitteilsamkeit seines Vortrags bekommt, unterstützt durch eine auf Posa gerichtete Pistole, Züge des Wahnsinns, wenn dieser ihn um die Herausgabe seiner geheimen Papiere bittet.

Michael Nagls bereits einen Philipp oder Großinquisitor erahnen lassender vollmundiger und expressiv formulierender Mönch und Alberto Roberts tenorpotenter Graf Lerma komplettieren die männliche Seite.

Olga Busuioc hatte bereits 2019 das ganze Ensemble überstrahlt und sie tat es auch jetzt wieder als zu Herzen gehende, gefühlsimpulsive Elisabeth mit ihrem rundum ausgeglichenen, leicht metallischen und bis in die Spitzen frei schwingenden Sopran. Diana Haller wurde als indisponiert angekündigt und absolvierte ihr Debut als Gräfin Eboli dennoch mit einer bewundernswerten Großzügigkeit im Ausspielen ihrer vokalen Mittel. Nach einem noch etwas zurückhaltend und vorsichtig raffiniert nuancierten Schleierlied gewann sie zunehmend an Vertrauen, so dass in ihrer Verzweiflungs-Arie kaum ein Wunsch an expressiver, von weitem Atem getragener Gestaltung offen blieb. Die weniger stimmliche Breite erfordernde französische Version kommt ihr derzeit auch hinsichtlich ihrer manchmal nur noch in der natürlich fülligen Tiefe an einen Mezzo erinnernden Stimme gut entgegen.

Natasha Te Rupe Wilson lässt als Thibault mit klarem Sopran aufhorchen, ebenso die höhengewandte Stimme vom Himmel Alma Ruoqi Sun.

Der Staatsopern- und Extrachor des Hauses bringt in unterschiedlicher Gruppierung sowie vereint beim Autodafé Feinheiten wie auch mitreißend gewaltige Entladung zur Wirkung (Einstudierung: Manuel Pujol). Das Dirigat hat Valerio Galli von GMD Cornelius Meister übernommen und das Ensemble in Abstimmung mit dem gut disponierten Staatsorchester Stuttgart durchweg im Überblick und Griff, bot den Solisten eine aufmerksame Begleitung und irritierte nur zwischendurch in der nicht ganz einheitlichen Klangfarben-Ausrichtung auf die durchsichtigere französische Instrumentierung. Lyrismen und attackierend zugreifende Abschnitte kommen gleichermaßen zu ihrem Recht.

Eine lange, aber nie langweilige Aufführung löste nach nur wenig Zwischenapplaus doch noch abgestufte Ovationen für so gut wie alle Beteiligten aus.

 Udo Klebes

 

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