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Fortners „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ in Frankfurt – Die süßen Alpträumchen der körperlichen Liebe

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Karolina Bengtsson und Sebastian Geyer, durch den Garten tollend.
Karolina Bengtsson und Sebastian Geyer, durch den Garten tollend. Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

Wolfgang Fortners „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ mit der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot

Ungeachtet der Frage, wie informiert wir alle längst sind, bewahrt der enge körperliche Kontakt zu einem anderen Menschen seine Geheimnisse, Schönheiten und gruseligen Seiten. Und was ist das, die Liebe, und kommt sie hier überhaupt vor?

Auch dieser Abend bietet keinen Aufschluss; es wäre absurd, das von einem Werk zu erwarten, dessen Vorlage die Gattungsbezeichnung „erotisches Halleluja“ trägt. Fast so absurd, wie die Vorgänge, die Federico García Lorca Ende der 1920er Jahre in seinem Schauspiel „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ schildert. Denn wie in einer albernen Komödie lässt sich der 50-jährige, Bücher und ein zurückgezogenes Leben liebende Don von seiner Haushälterin zur Hochzeit mit einer sehr jungen Frau, Belisa, überreden. In einer zunehmend surrealen Situation kann er sie in der Hochzeitsnacht nicht überzeugen (er will es ehrlich gesagt auch gar nicht), während sie womöglich schon in jener Nacht zig (fünf) Liebhaber empfängt. Es gibt Indizien! Belisa ihrerseits verliebt sich im Folgenden (ja, die Liebe kommt also vor) in einen maskierten Jüngling, der immer nur vorüberhuscht, Perlimplín aber erlaubt ihr ausdrücklich eine Begegnung. Als es so weit ist, kreuzt er als eifersüchtiger Ehemann auf, kündigt an, den noch nicht erschienenen Rivalen zu töten. Er selbst kehrt schwer verwundet zurück; es zeigt sich, dass er selbst der Maskierte war, ein ungewöhnlicher Suizid also.

Das Begehren ist ein inneres und äußeres Kampf- und Kraftfeld, dem nicht jeder gewachsen ist. Belisa konnte sich nur in einen Schemen verlieben. Perlimplín konnte nur im Verborgenen seine Leidenschaft anbieten.

García Lorcas Homosexualität ist in diesem Zusammenhang nicht unwesentlich, ebenso wenig die des Komponisten Wolfgang Fortner, der daraus eine raffinierte, farben- und abwechslungsreiche Zwölftonoper baute, 1962 in Schwetzingen uraufgeführt. Dass er als NS-Mitläufer Schoenbergs Technik noch tüchtig abgewertet hatte, bringt das Programmheft ohne Vertun auf den Punkt.

Dargeboten wird das von einem klassisch ausgerüsteten Orchester (jenseits einiger lockender elektronischer Pfeiftöne), mystifizierend und flirrend angereichert durch Cembalo, Gitarre, Celesta und Vibrafon. Man muss die beim Hören nicht nachvollziehbaren tonalen Vorgänge nicht fürchten. Die Musik ist köstlich. Das Alberne erfasst sie so adäquat wie das Unheimliche.

Die Produktion der Oper Frankfurt, die szenische Erstaufführung in der Stadt, ist im Bockenheimer Depot ideal platziert und geschickt eingerichtet, zudem für ein bezaubernd junges, agiles Ensemble. Dirigent Takeshi Moriuchi hat ein für Depot-Inszenierungen großes Orchester vor sich und das musikalische Geschehen mit seiner quirligen Lebendigkeit ausgezeichnet im Griff. Regisseurin Dorothea Kirschbaum schickt das kammerspielgroße Trüppchen – der aus dem Off singende kleine Chor wird eingespielt – in ein 90-minütiges süßes Alpträumchen und erhält dabei das Vage des Textes. Ein enormes und enorm fleischfarbenes Bühnenobjekt von Christoph Fischer eignet sich sehr dafür. Es wirkt körperlich, hier so, als wäre es ganz weich, dort so, als müsste sich darunter Knochen oder Knorpel befinden. Körperlich, aber der Körper ist unbegreiflich.

Nachher zeigt sich, dass das Objekt sich auseinanderklappen lässt, vorerst bietet es dem Don ein ungemütliches, ihm aber offenbar wohlvertrautes Plätzchen zum Lesen. In reizendem Slapstick kippen und plumpsen allerdings die Bücher seiner Handbibliothek. Auch im kontemplativen Leben gibt es Aufregungen, und dann kommt noch die Haushälterin und bringt zwar Kaffee und Trauben in ausgesuchtem Geschirr, erhöht aber auch das Durcheinander.

Henriette Hübschmann hat elegante, Zeiten überspringende Kostüme für dieses schon für sich genommen seltsame, in Frankfurt aber keineswegs lachhafte Paar. Sebastian Geyers schlanker barockaffiner Bariton kommt sehr gut zur Geltung, sein Spiel ist fein und selbst beim pedantischen Bücherrücken genau jene Spur unverbindlich und abwesend, die seiner Rolle gut ansteht. Mezzosopranistin Karolina Makula ist eine ihrerseits unverhohlen junge und relativ unverhohlen verliebte Marcolfa.

Das Exaltierte bekommt dann Raum mit Anna Nekhames als ausgeflippter – aber ebenfalls jugendlich strahlender – Mutter von Belisa. Fortner jagt sie durch tollkühne Koloraturfetzen. Ihre Witwen- oder bloß Alte-Damen-Garderobe nutzt sie für eine Wolke aus schwarzem Tüll. Karolina Bengtsson, die offizielle Jugendliche der Geschichte, ist hingegen ungemütlich verschnürt. Trotzdem wallt ihr knallrotes Haar, wo es kann, Bengtssons beweglichen Sopran lässt der Komponist rasant trillern, gibt ihm aber auch hochexpressive Phrasen mit langem Atem.

Die im konventionellen Sinne verächtlich zu verstehende Zuweisung des sterbenden Perlimplín – „Ich bin meine Seele, du bist dein Leib“ – wird von der Lebhaftigkeit des Spiels weggewischt. Zu ihr tragen nicht nur zwei „Koboldchen“ bei, Idil Kutay aus dem Opernstudio und Ursula Hensges, sondern auch ihre Vervielfachung durch fünf Tänzerinnen und Tänzer. In der Choreographie von Gal Fefferman schmiegen sie sich als Luftgeister mit unbeteiligter Neugier in die Kulisse. Teil eines Rätsels, das sich dem Verstand verschließt und sinnlich doch einfach zugänglich ist.

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot: 27., 30. März, 2., 4., 7. April. www.oper-frankfurt.de

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