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Eugen Onegin

Lyrische Szenen in drei Akten
Libretto von Peter Tschaikowsky und Konstantin S. Schilowsky nach dem Versroman nach Alexander Puschkin
Musik von Peter Tschaikowsky


in russischer Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 20' (eine Pause)

Premiere am 25. Februar 2024 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 21. März 2024)


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Rheinoper
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Die Einsamkeit der Menschen im leeren Raum

Von Stefan Schmöe / Fotos von Andreas Etter

Der berühmteste Liebesbrief der Operngeschichte bleibt diesmal ungeschrieben. Niemand reicht der hoffnungslos verliebten Tatjana Schreibzeug und Papier, sodass die amouröse Botschaft an den überheblichen Dandy Onegin nur in Gedanken entsteht. Man hat ziemlich schnell verstanden, dass Michael Thalheimer in seiner extrem reduzierten Inszenierung Tschaikowskys "lyrische Szenen" von allen Äußerlichkeiten befreien und daher auf möglichst alle Requisiten verzichten möchte. Immerhin: Pistolen gibt es noch. Oder besser: Pistölchen. Man glaubt kaum, dass man damit einen ausgewachsenen Menschen ins Jenseits befördern kann. Klappt aber doch, und weil der melancholische Dichter Lenski im Duell allzu lange zögert, drückt Onegin kurzerhand ab - irgendetwas muss schließlich passieren. Pistolen also lässt die Regie zu. Und einen Stuhl gibt es, im letzten Bild im Salon des Fürsten Gremin, den Tatjana irgendwann geheiratet hat.

Szenenfoto

Müssen sich in unmöblierten Seelenräumnen zurechtfinden: Larina (ganz links), Olga, Filipjewna und (liegend) Tatjana

Die Inszenierung kommt fast ohne Requisiten und dadurch mit einem Minimum an äußerer Handlung aus. Es geht allein um das Innenleben der Figuren. Was aber auch bedeutet, dass die Darstellerin der Tatjana in ihrer ziemlich langen Briefszene ganz auf sich allein gestellt ist. Ekaterina Sannikova gibt alles, sie springt und hüpft, macht große und kleine Gesten, arbeitet mit ausgefeilter Mimik - und macht das ziemlich gut. Und sie singt natürlich, ziemlich eindrucksvoll, mit glutvoller Stimme, der ein wenig die lyrische Ruhe und das mädchenhafte Element fehlt, das der Partie ja auch anstünde. Aber sie macht das unbedingte Liebesbedürfnis dieser Frau auch vokal glaubhaft. Und trotzdem täte ihr ein bisschen mehr Kulisse gut, um über die Dauer der Szene hinwegzuhelfen, die sie letztendlich in Wiederholungsschleifen bereits gezeigter Gesten zwingt.

Szenenfoto

Onegin empfindet für Tatjana keine Liebe, hat aber allerlei Ratschläge zur Vermeidung überflüssiger Briefe parat.

Zumal es auch keinen realistischen Raum gibt, der das Geschehen einordnet. Bühnenbildner Henrik Ahr hat einen gediegenen Holzkasten mit variabler Rückwand gebaut, der von Stefan Bolliger in warmen Tönen ausgeleuchtet wird und schön anzusehen ist. So spielt dieser Onegin überall und nirgends. Ein wenig mehr Konkretisierung liefern die Kostüme (Michaela Barth), die zwischen Land (einfache Kleider, Chor in roten Gummistiefeln) und Stadt (Chor in Abendgarderobe) unterscheidet. Aber während auf dem Land zumindest einzelne Paare tanzen, ist die Petersburger Ballgesellschaft eingefroren und erscheint wie ein Zitat, von dem sich Thalheimer gleichzeitig distanziert: Keine Genreszenen, die das Stück örtlich oder zeitlich fixieren könnten. Diese Strenge in der Ausstattung setzt sich allerdings zu wenig in der Personenregie fort, die an vielen Stellen ziemlich konventionell bleibt und stark von der jeweiligen Darstellerin bzw. dem Darsteller abhängt. Da fehlt eine striktere Stilisierung und ein konsequenterer Gestaltungswille.

Szenenfoto

Ein Streit zwischen Lenski (ganz rechts) und Onegin wird im Duell enden

Bogdan Baciu verleiht dem Onegin mit großem Bariton vokale Statur und gibt ihm szenisch die angemessene Mischung aus Eleganz und Herablassung, ohne tiefere Facetten der Figur auszuloten. Ovidiu Purcel bleibt als Lenski szenisch recht unbestimmt; die Wut über den mit Olga flirtenden Onegin nimmt man ihm mehr ab als die etwas plakative todessüchtige Melancholie. Stimmlich gestaltet er die Partie sehr differenziert und kann mit dunkel-metallischem Tenor im Forte groß auftrumpfen, die Stimme verliert aber im Piano an Farbe. Sami Luttinen gibt einen keineswegs tattrigen Fürsten Gremin, der seine wunschkonzerttaugliche Arie über die Liebe bei Männern im fortgeschrittenen Alter mit großer Präsenz und einer Prise Ironie gestaltet - eher ein belehrender und mahnender Vortrag für den plötzlich an Tatjana interessierten Onegin als altersweise Selbstreflexion. Ramona Zaharia stellt Tatjanas Schwester Olga als quicklebendiges, gerne tänzelndes Mädchen dar und singt mit feurigem, dunkel timbriertem Mezzo. Zu den Pluspunkten der Regie gehört, dass Thalheimer sie (anders als Tschaikowsky) nach dem Duell zwischen Onegin und Lenski, immerhin Olgas Liebhaber, nicht aus den Augen verliert und ihr Entsetzen über dessen Tod zeigt. Die von Ulrike Hetzel schön gesungene Amme Filipjewna ist szenisch allzu sehr als schablonenhafte Komödienfigur angelegt. Und Katarzyna Kuncio überzeugt sängerisch als Larina, Tatjanas und Olgas Mutter; die Regie behandelt sie als unbedeutende Randfigur. Der Chor der Deutschen Oper am Rhein singt mit großem Klang, neigt aber in der hier besprochenen Aufführung dazu, das Tempo zu forcieren.

Szenenfoto

Olga ist am Petersburger Hof weit aufgestiegen und für Onegin nicht mehr erreichbar.

Am Pult der zuverlässigen Düsseldorfer Symphoniker interpretiert der designierte Generalmusikdirektor der Rheinoper Vitali Alekseenok die Partitur vergleichsweise gewichtig und setzt (wohldosierte) bedeutungsschwere Akzente. In der fast zeitgleich entstandenen und daher zum Vergleich herausfordernden Produktion im nicht weit entfernten Bonn (unsere Rezension) unter dem Dirigat von Hermes Helfricht klang die Musik leichter und stärker lyrisch geprägt. Insgesamt bewegen sich beide Aufführungen, die hier wie dort auf eine (nicht vollständig gelungene) Psychologisierung der Figuren setzen und auf eine Umdeutung verzichten, szenisch wie musikalisch auf Augenhöhe.


FAZIT

Die edle Schlichtheit, die Michael Thalheimers Inszenierung dem Stück verordnet, ist hübsch anzusehen, führt allerdings auch gelegentlich in austauschbare Beliebigkeit, die auch von der überzeugenden musikalischen Interpretation nicht vollständig aufgefangen werden kann.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Vitali Alekseenok

Inszenierung
Michael Thalheimer

Bühne
Henrik Ahr

Kostüme
Michaela Barth

Licht
Stefan Bolliger

Chor
Gerhard Michalski

Dramaturgie
Anna Grundmeier

Konzeptionelle Vorbereitung
Bettina Auer



Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Larina
Katarzyna Kuncio

Tatjana
Ekaterina Sannikova

Olga
*Ramona Zaharia/
Anna Harvey

Eugen Onegin
Bogdan Baciu

Lenski
*Ovidiu Purcel/
David Fischer

Filipjewna
Ulrike Helzel

Fürst Gremin
Sami Luttinen

Triquet
Sergej Khomov

Saretzkij
*Valentin Ruckebier/
Yannick Spanier

Ein Hauptmann
Volker Philippi/
*Junho Jung

Vorsänger
Mamuka Manjgaladze/
*Dong Hoon Kim

Monsieur Guillot
Tim Metzner



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



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