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Menschengroße weiße Buchstaben, eine Mickeymouse-Handschuh mit Zigarette (ebenso zusammen ca. 5 Meter groß) und ein großes Transparent von Mickey mit Freiheitsstatuenkrone und eine große Zigarettenschachtel bestimmen das Gewusel des Bühnenbildes. Karl grinst manisch steif-gespannt ins Publikum.

„Amerika“ von Roman Haubestock Ramati in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten mit einer Ausstattung von Christina Schmitt, Licht von Elfried Roller und Video von Robi Voigt.
Karl Roßmann (Paul Curievici) inmitten des reizüberflutenden Hotel Occidental mit seiner Oberköchin (Iréne Friedli) und dem Oberkellner (Georg Festi). Um sie herum das Tanzensemble der Oper Zürich. Foto: Gerwig Prammer.

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Im Rausch der Szenen und des Sounddesigns: Roman Haubenstock-Ramatis „Amerika" an der Oper Zürich

Vorspann / Teaser

Einhellige Begeisterung auch bei den Folgevorstellungen nach der Premiere am 3. März im Opernhaus Zürich. Die Oper „Amerika" von Roman Haubenstock-Ramati erlebte 1966 unter Bruno Maderna an der Deutschen Oper Berlin ihre vom Publikum umkämpfte Uraufführung. Es folgten vorerst Produktionen nur in Graz (1992, Dirigent: Beat Furrer) und Bielefeld (2004). An der Oper Zürich wurde „Amerika" zu einem umjubelten Großereignis – opulent, technisch auffrisiert und minimal nostalgisch. Ein faszinierender Wurf. 

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Wie geht es am Ende von Franz Kafkas Roman-Fragment „Der Verschollene“ und der Oper „Amerika“ mit dem 17-jährigen Karl Rossmann weiter, der nach Verführung eines Dienstmädchens von seinen Eltern nach Amerika geschickt wird, um dort das Leben und die Welt kennenzulernen? In Zürich ist der Tenor Paul Curievici dieser Wanderer zwischen den Sphären bis zum Großen Naturtheater von Oklahoma mit Märchen- und Cartoonfiguren inklusive Rübezahl und Froschkönig. Dass der mit Delikatesse singende Paul Curievici in Sebastian Baumgartens bildstarker Inszenierung dem Komponisten Roman Haubenstock-Ramati (1919 bis 1994) ähnelt, ist kein Zufall. Nur durch eine willkürliche Gefangennahme von den Sowjets entkam Haubenstock-Ramati dem Holocaust. Nach abenteuerlichen Fluchten und einem Palästina-Aufenthalt fand er in Österreich eine Heimat, wurde Lektor des Musikverlags Universal Edition und Kompositionslehrer. „Amerika“ ist das größte seiner drei Bühnenwerke neben der Anti-Oper „ Comédie“ nach Beckett und „Unruhiges Wohnen“, einer Zusammenarbeit mit der jungen Elfriede Jelinek.

Eine Kafka-Opern-Perle

Im Kafka-Jahr traf die Oper Zürich eine alle Energien des Hauses mobilisierende Entscheidung gegen Kafka-Opern des am 13. März verstorbenen Aribert Reimann („Das Schloss“), von Philip Glass („Der Prozess“, „In der Strafkolonie“) und andere. So gelang ein großartiges Event mit einem großen Wurf aus der radikalen Experimentalzone des 20. Jahrhunderts: „Amerika“ ist ein durch Aufwand an Elektronik, im Idealfall suggestive Bühnenmittel und analytische Phantasie herausforderndes Werk, das wie Stockhausens „Licht“ die Dimensionen des institutionellen Musiktheaters überschreitet.

Karl Rossmann wandert also in „Amerika“ durch ein mysteriöses und groteskes Wunderland, in dem man mit logischer Vernunft nicht weiterkommt. Die Atmosphären – sogar die beklemmenden – sind im „Amerika“ der Zürcher Oper üppig und dabei sehr gesättigt. Christina Schmitts Ausstattung bleibt im Licht Elfried Rollers zwar dunkel, wirkt aber nicht pessimistisch. Schwarzweiß-Ansichten amerikanischer Wohnhäuser, davor Neonröhren und knallbunte Dresses für das als Nobelstatisterie und in virtuosen Rap-Eskapaden aberwitzig tolle Tanzensemble schaffen Augenreize mit Reminiszenzen an das ganz späte 20. Jahrhundert, Takao Baba choreographierte mit brillantem Chic.

Alle Zahnrädchen greifen ineinander

Passend glamourös frisst sich auch der Soloauftritt von Allison Cook als Sängerin Brunelda in das wohlige Dunkel. Zum bizarren Höhepunkt gerät ihre Badewannen-Nummer unter einem Bodywatch-Display mit dem bizepsstarken Delamarche (Georg Festl), bis Brunelda und ihre Gehirnströme ermatten. Dass Karl Rossmann in diesem phantastischen „Amerika“ eine mehr oder weniger aussichtslose Orientierungssuche betreibt, geht im Rausch der Szenen unter. Gegenwartsbezüge wie die Wahlkampfrede „I Love you“ ergeben sich mit Leichtigkeit. Noch stärkeren Eindruck machen die symbolhaften Spielorte wie das Hotel Occidental. Sebastian Baumgarten ist als Regisseur hier vor allem Vernetzer zwischen den szenisch-dekorativen Modulen und Haubenstock-Ramatis elektroakustischen Lockrufen.

Es reißt die Fülle der Bedeutsamkeit noch weiter auf, dass Übertitel die Schauplätze aus Max Brods Bühnenbearbeitung des Kafka-Textes benennen. Jeweils mehrere Partien verkörpern Robert Pomakov, Mojca Erdmann, Ruben Drole, Benjamin Mathis, Sebastian Zuber. Irène Friedli als Oberköchin verpasst Karl eine Stelle als Liftboy - da steht Baumgartens „Amerika“ auf einmal zwischen Thomas Manns „Felix Krull“ und Wes Andersons phantastischer Filmkomödie „Grand Budapest Hotel“.

Exzellente elektro-akustische Musik

Zu Haubenstock-Ramatis Musik entwickelt Baumgartens Bühnenvision eine fluoreszierende Relation. Von einem Parkett-Platz an der hinteren Hufeisen-Kurve klingen die Raumwanderungen und Echo-Dialoge elektronischer Klänge faszinierend. Es sind nur wenige Fortissimo-Attacken, überwiegend setzte Haubenstock-Ramati transparente wie glänzende Verbindungen. Die Übergänge zwischen physischer Präsenz der Philharmonia Zürich und Zuspielungen sind erst merkbar, wenn Sounddesign (Raphael Paciorek) und Klangregie (Oleg Surgutschow) Hörbares auf Wanderschaft durch den Raum schießen. Die Abstimmung mit den Sängerstimmen gelingt perfekt und suggestiv. Dirigent Gabriel Feltz, der die immensen Anforderungen der aus graphischen Akkumulationen bestehenden Partitur zugibt, hat mit der Crew die Klanglichkeit unter Zugriff auf Älteres verjüngt und aktualisiert. Die Sprechchöre aus Aufnahmen für die „Amerika“-Produktion des Theaters Bielefeld 2004 erhielten ein neues Sounddesign.

Also kommen auch die hypertrophen Experimente und Manifestationen der Avantgarde des 20. Jahrhunderts aus den Rebellen- in die Reifejahre. Sebastian Baumgarten und Christina Schmitt zeigen, dass Kafkas belletristische Amerika-Reise mit dem ‚echten‘ Amerika des frühen 20. und damit auch 21. Jahrhunderts nur wenig zu tun hat, dieses Amerika mehr ein Raum der Irritationen als der Sehnsüchte ist. Die Inszenierung perpetuiert aber den Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten und setzt zugleich Fragezeichen durch Bizarres, Poetisches, Technisches, Hypothesen. Aufgrund der Musik kommt die Szene aus der Slow Motion nur selten heraus, was die träumerische Aura des Abends intensiviert. In diesem packenden Panorama wird Inhaltlichkeit durch die Kraft der Klänge und Bilder zweitrangig. Riesiger Jubel.

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