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ZÜRICH/ Opernhaus: CARMEN – Eine Koproduktion mit der Opéra Comique Paris. Premiere

08.04.2024 | Oper international

Georges Bizet: Carmen • Opernhaus Zürich • Premiere: 07.04.2024

Eine Koproduktion mit der Opéra Comique Paris

Auf und zu und auf und zu und auf und zu…

Vorhänge sind momentan in Mode. Die letzte Premiere, die «Lustige Witwe» Barrie Koskys, lebt vom Vorhang, der Nachbau der Bühne der Opéra comique für die aktuelle «Carmen» ebenso und im dritten und vierten Akt ahnt man den Vorhang aus «Das Land des Lächelns», das im Juni wiederaufgenommen wird.

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Foto © Monika Rittershaus

Mit Bizets «Carmen» hat am Opernhaus Zürich nun ein Kernwerk des Repertoires (die meisten Vorstellungen sind bereits als «ausverkauft» gelistet) Premiere. Gespielt wird die «Fassung Opernhaus Zürich / Opéra-Comique, Paris (April 2023)» auf der Grundlage der Urtext-Edition von Richard Langham Smith (2013).

Stellte sich bei «Carmen» bisher die Frage, ob Dialog- oder Rezitativ-Fassung, ist die Auswahl mit dem Erscheinen der «Urfassung von 1874 (Edition Paul Prévost / Bärenreiter)» (Erstaufführung im März 2024) mittlerweile umfangreicher geworden. Die «Fassung Opernhaus Zürich / Opéra-Comique, Paris (April 2023)» gibt den Bearbeitungsstand der Probenzeit 1874/1875 wieder (mehr zu diesem Thema in einer der folgenden Kritiken).

Andreas Homoki gestaltet seine Inszenierung als «Hommage an die Opéra Comique, an die Reise, die diese Oper und der Mythos «Carmen» seit der Zeit der Uraufführung bis in unsere Tage angetreten haben: Die ersten beiden Akte spielen bei uns in der Zeit der Uraufführung, der dritte Akt, der für Illegalität und Unbehaustheit steht, in der stillgelegten Opéra Comique während der deutschen Besatzung; Menschen, die vielleicht in der Résistance sind, finden hier Unterschlupf oder lagern ihre Waren für den Schwarzmarkt. Im vierten Akt erreichen wir schliesslich unsere Gegenwart» (Kostüme: Gideon Davey). Das Spanien, wie man es von «Kitschpostkarten mit Flamencotänzerinnen und aufgeklebtem Stoff in Glitzer» kennt, will er «so natürlich nicht auf der Bühne sehen». So hat Paul Zoller (Bühnenbild) den Bühnenraum der Opéra comique, die Seitenwände und die Rückwand inklusive des gefühlt mindestens 25 mal bewegten Vorhangs, nachgebildet. Das Regiekonzept funktioniert leider nur eingeschränkt, da es nicht konsequent umgesetzt ist (schon der Einstieg mit dem jungen Mann, der in eine Carmen-Aufführung stolpert, passt nicht wirklich). Es gibt zwar keine Flamencotänzerinnen, aber Escamillo trägt durchgehend sein konventionelles Kostüm oder eine Bomberjacke, ebenso Carmen (auf den Weltkriegs-Ledermantel hätte man durchaus verzichten können) und ihre Freundinnen. Die überraschenden Auftritte von den Seiten (für die man extra die Bühne der Opéra comique nachgebaut hat) sind nicht so überraschend wie gewollt und das ewige auf und zu des Vorhangs stört den Lauf der Geschichte. Die von Arturo Gama (Co-Regie und Choreografie) immer wieder arrangierten Gruppenbilder gehören dann doch auch eher zum konventionellen Repertoire. Der mehrfach langsam hell erleuchtete Zuschauerraum will sich nicht wirklich erklären (Lichtgestaltung: Franck Evin). Die Inszenierung wirkt, kurz gefasst, durchbuchstabiert und hölzern, ja geradezu emotionslos. Der «Kitsch» ist wohl doch nicht so einfach zu ersetzen. Die Vergangenheit am Haus hat gezeigt, dass Carmen durchaus «mit Spanien, aber ohne Kitsch» umgesetzt werden kann.

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Foto © Monika Rittershaus

Gianandrea Noseda am Pult der Philharmonia Zürich zeigt sich vom Hang zur Nüchternheit angetan und richtet mit der grossen Kelle an. Von der «Tradition eines leichteren Genres, aus dem sich auch die französische Operette eines Offenbach entwickelt» hat, ist wenig zu vernehmen, es geht hier eher Richtung Verismo. In der Summe ist der Klang zu mächtig und vor allem so laut, dass die zum Forcieren gezwungenen Solisten wiederholt untergehen.

Der mit häufigen Kostümwechseln gut beschäftigte Chor der Oper Zürich (Choreinstudierung Janko Kastelic) tut unter den gegebenen Umständen sein Möglichstes. Hinreissend gelingt der Auftritt des Kinderchors der Oper Zürich und der SoprAlti der Oper Zürich.

Marina Viotti debütiert als Carmen. Sichtbar rekonvaleszent, gelingt ihr das Debut achtbar, wie «frisch vom Konservatorium», mehr leider nicht. Im Vollbesitz der Kräfte und nach der Nervosität von Debut und Premiere dürfte allerdings deutlich mehr zu erwarten sein. Die volle, runde Stimme ist gut geführt, die prächtigen Höhen und Tiefen gut mit der Mittellage verbunden. Natalia Tanasii kann als Micaëla nur bedingt überzeugen. Ihr Sopran neigt wiederholt zu Schärfen und ihre Bühnenpräsenz bleibt in der nüchternen Atmosphäre aufs Äusserliche beschränkt. Ähnliches gilt es von Niamh O’Sullivan als Mercédès und Uliana Alexyuk als Frasquita zu berichten. Saimir Pirgu überzeugt als Don José mit enormer Textverständlichkeit und guter Bühnenpräsenz. Die Stimme ist souverän geführt und, wenn sie gelassen wird, ausserordentlich farbenreich. Der Zwang zu forcieren, lässt seine Interpretation allerdings auch in Richtung Verismo abdriften. Łukasz Goliński gibt mit schwerer Stimme (vom geforderten Baritone di grazia keine Spur) einen «klassischen» Escamillo, darauf fokussiert mit kraftvollem Singen Eindruck zu schinden. Das gelingt ihm nur bedingt, der Applaus nach seiner Auftrittsarie bleibt ungewöhnlich zurückhaltend. Die weiteren Rollen sind luxuriös besetzt: Spencer Lang als Le Remendado, Jean-Luc Ballestra als Le Dancaïre, Aksel Daveyan als Moralès und Stanislav Vorobyov als Zuniga ergänzen das Ensemble ergänzen das Ensemble.

Es bleibt noch Luft nach oben. Weit oben.

Weitere Aufführungen:

Mi. 10. April, 19.00; Fr. 12. April, 19.00; So. 14. April, 19.00; Fr. 19. April, 19.00;

So. 21. April, 14.00; Mi. 24. April, 19.00; Sa. 04. Mai, 19.00; Sa. 11. Mai, 19.00;

Mi. 15. Mai, 19.00; Mi. 12. Juni, 19.00; Sa. 15. Juni, 20.00.

 

09.04.2024, Jan Krobot/Zürich

 

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