„Machen wir’s den Schwalben nach, bau’n wir uns ein Nest”, heißt es in der Csárdásfürstin, doch fehlt dem Liebespaar in Puccinis La rondine das nötige Geld dazu: Magda wird im ersten Akt als gehobene Bordsteinschwalbe vulgo Kurtisane in ihrer Salongesellschaft gezeigt, wo ihr der Dichter Prunier ein Leben wie eine Schwalbe visioniert, dem Süden zu. Sie ist berührt und will wieder den Zauber erster Liebe spüren. Im zweiten Akt verlässt sie den Salon, den sie dem reichen Bankier Rambaldo verdankt, um in Hausmädchenverkleidung tanzen zu gehen, und verliebt sich (fast möchte man sagen: vorsätzlich) in einen armen Studenten, mit dem sie im dritten und letzten Akt tatsächlich an die französische Riviera durchbrennt.

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Matilda Sterby (Magda de Civry) und Leonardo Capalbo (Ruggero Lastouc)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Sind die ersten beiden Akte von Volksoper-Hausherrin Lotte de Beer noch ziemlich konventionell in der Optik der Belle Époque inszeniert, zeigt die Eisberg-Kulisse im dritten (Bühnenbild: Christof Hetzer), dass die heiße junge Liebe aufgrund unüberbrückbarer Lebenswelten abkühlen muss. Wenn sie der Geliebte Ruggero den Brief seiner Mutter lesen lässt, und Magda die an sie gestellten Erwartungen begreift („rein“ soll sie sein, zur Schwiegermutter ziehen und selbst und Mutter werden…), steht sie vor der Wahl, den Geliebten und dessen Familie zu enttäuschen oder mit einer Lüge zu leben. Sie entscheidet sich für das Ende der Beziehung.

La traviata lässt grüßen, doch wird dort das Thema „Wenn Kurtisanen lieben“ um einiges spannender und mit mehr Ohrwürmern verhandelt, obwohl Puccinis durchkomponierte lyrische Tragödie ihre Reize hat. Man merkt seiner Salonmusik an, dass er sich mit dem Rosenkavalier auseinandergesetzt hat, und durch mitunter vage bleibende Tonalität wird eine musikalische Traumwelt kreiert, die perfekt zur Geschichte passt. Es war wohl auch Puccinis Absicht, der Not des Ersten Weltkriegs (Uraufführung 1917) bewusst etwas Schönes entgegenzusetzen.

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Julia Koci, Matilda Sterby, Stephanie Maitland, Timothy Fallon und Johanna Arrouas
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Das Libretto hält mit dieser Qualität nicht mit und bietet besonders in den ersten beiden Akten viel zu viele Belanglosigkeiten, für welche die Regisseurin allerdings eine ausgezeichnete Lösung gefunden hat. Anstatt auf Übertiteln entrollt sich das Libretto auf einer Leinwand in der Bühnenmitte, so als ob es auf Endlospapier aus der Schreibmaschine des Dichters Prunier käme. Das hat den Vorteil, dass das klischeehafte Geplänkel kommentiert und kontextualisiert wird, und de Beer ihre feministische Sichtweise auf Magdas Schicksal humorvoll erläutern kann.

Die historisierenden Kostüme von Jorine van Beek, die mit ein paar impressionistischen Farbverläufen garniert sind, sind schön anzusehen, merkwürdig ist jedoch die Idee, einen Teil der Salondamen zwar oben ohne, aber mit Gummibusen auftreten zu lassen. Wenn deren Bühnenliebhaber einen ganzen Akt lang brav um diese Brüste herumtätscheln, ohne zu einem Akt zu kommen, wirkt das merkwürdig bis komisch, geht aber noch als Kreativität durch, die für die Tanzsaal-Szenen im zweiten Akt fehlt – da suggeriert nur die Beleuchtung Erotik.

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Matilda Sterby (Magda de Civry), Timothy Fallon (Prunier) und Rebecca Nelsen (Lisette)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Matilda Sterby singt Magda in der mittleren Lage überzeugend, allerdings wird die Stimme in der Höhe eng und scharf, und das nimmt dieser Partie viel von ihrem Anmut, denn in den leuchtenden Höhen sollte man schwelgen. Immerhin wirkt ihre Darstellung jugendlich-frisch, doch fehlt es an Glamour, Gerissen- und Gewitztheit – alles Eigenschaften, ohne die man es schwerlich zur Salondame oder Kurtisane bringen kann. Ganz andere Kaliber sind ihre Salonfreundinnen, die mit den bewährten Volksopernkräften Julia Koci (Yvette), Johanna Arrouas (Bianca) und Stephanie Maitland (Suzy) ausgezeichnet besetzt sind, aber nicht viel zu singen haben. Dasselbe gilt auch für die Herren im Salon, von denen hier nur Andrei Bondarenko als Bankier Rambaldo mit gefälligem Bariton und hochgezwirbeltem Schnurrbart genannt sei. Ähnlich wie Sterby singt ihr Bühnenpartner Leonardo Capalbo als Latin Lover Ruggero zwar alles, was die Partitur vorgibt, bewegt sich wendig um seine Angebetete, doch stünden ihm leichtere Operetten wesentlich besser.

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La rondine
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Viel einfacher haben es Rebecca Nelsen als Magdas Dienerin Lisette und ihr Dichter Prunier (Timothy Fallon), die als Buffo-Pendant zum romantisch-tragischen Paar den vokalen Anforderungen gewachsen sind und für jenen Spaß sorgen, den dieses Stück dringend nötig hat. In de Beers Inszenierung schnappt sich Lisette immer wieder die Elaborate ihres Dichterfreundes und fügt ihre eigenen Gedanken der Geschichte hinzu, die das Publikum dank der Leinwand in der Bühnenmitte mitlesen kann. Insbesondere Fallon ist ein Erzkomödiant und sorgt im rot-weißen Ringelbadeanzug für Furore – trotz der Eisberge im Hintergrund. Zu guter Letzt werden szenisch alternative Schlüsse mit Anspielungen auf La bohème oder Tosca zum Gaudium des Publikums durchgespielt, bevor Magda erhobenen Hauptes in eine (wenn auch ungewisse) Zukunft ohne ihre Liebe, aber mit dem Gefühl, das Richtige zu tun, entschwindet.

Ganz richtig macht es an diesem Abend auch Alexander Joel im Graben, der Puccinis Finessen, die Schwärmerei und das Aufrauschen der Leidenschaften hör- und fühlbar macht.

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