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INTERMEZZO von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 25. April 2024. Foto: © Monika Rittershaus

INTERMEZZO von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 25. April 2024. Foto: © Monika Rittershaus

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Bestens unterhalten – Tobias Kratzers Richard-Strauss-Trilogie an der Deutschen Oper Berlin mit „Intermezzo“ fortgesetzt

Vorspann / Teaser

Auf die Idee, die Richard-Strauss-Opern „Arabella“, „Intermezzo“ und „Frau ohne Schatten“ zu einer Trilogie aus einer Regiehand zusammenzufügen, muss man auch erst mal kommen. Dietmar Schwarz hatte die Idee. Und Tobias Kratzer nahm den Auftrag, die Trilogie zu inszenieren, als Herausforderung an. So nach dem Motto „Salome“ oder „Elektra“ kann jeder. Aber vor der „Frau ohne Schatten“ mit dem Du-sollst-mein-Gebieter-sein-Schmachtfetzen „Arabella“ zu starten und dann auch noch die Homestory Bei-Richard-und-Pauline-daheim mit dem Titel ziemlich treffenden Titel „Intermezzo“ davorzuschalten, dazu braucht man schon die bewährte Professionalität eines Tobias Kratzer. Der setzt natürlich bei Strauss, der sich als Hofkapellmeister Robert Storch gänzlich ungetarnt selbst porträtiert hat, noch eins drauf und lässt sowohl ein optisches Alter ego von sich selbst als auch eins seines Partners am Pult, Donald Runnicles, auftreten  …

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Mit „Intermezzo“ macht der Komponist 1924 quasi einen Schritt zur Seite. Sein Durchatmen ist so privat geraten, dass man nur über die Offenherzigkeit staunen kann, mit der Komponist sein eigenes Eheleben hier vor aller Augen ausbreitet. Dafür hat Hugo von Hofmannsthal seinem Komponisten das Librettohandwerk dann doch lieber selbst überlassen. Der hat nicht nur im Vollbesitz seiner Fähigkeiten mit traumwandlerischer Sicherheit bei den Zwischenspielen geschwelgt und das Parlando gekonnt umspielt, sondern halt auch munter drauflos gedichtet. Oder besser: vom eigenen Ehealltag abgeschrieben. Und sich selbst bei den Namen (der Hofkapellmeister heißt Robert Storch, was ja nicht weit vom eigenen Namen entfernt ist) keine Mühe gegeben, das Selbstporträthafte zu verschleiern. Philipp Jekal ist nicht nur dem Parlandotempo der Rolle gewachsen, er bewältigt auch den Spagat von erfolgreichem Star und genervtem Ehemann, der sich ganz gerne mal auf Dienstreise ein paar Tage keine klugen Ratschläge von der notorisch zänkischen Ehefrau anhören will. 

Es sind Szenen einer Ehe, die ein ziemlich aufs männliche Genie im Haushalt ausgerichtetes Frauenbild transportieren. Sie liefern aber auch das dauernde Rebellieren dagegen gleich mit. 

Der berühmte komponierende Hofkapellmeister gerät während einer Dienstreise (unschuldig) in den Verdacht, ein Verhältnis zu haben, während seine Frau (eigentlich beinahe, diesmal aber tatsächlich) eins hat. Wenn auch per Zufall mit einem jungen, smarten (aber etwas naiven und nicht sonderlich hellen) Unfallgegner. In den 13 Szenen gibt es alle möglichen Aufs und Abs. Voller herrlich ausgebreiteter Klischees und Rollen, die man sich vorspielt. Ein Krieg (auch wenn es im Text an einer Stelle mal so genannt wird) ist es aber nie wirklich. Eher ein Versuch, sich selbst zu behaupten. So oder so.

Als „Intermezzo“ am Schauspielhaus in Dresden uraufgeführt wurde, sorgten „Salome“ und „Elektra“, aber auch der „Rosenkavalier“, „Ariadne“ und die „Frau ohne Schatten“ schon fleißig für Ruhm und Lebensunterhalt des Großkomponisten. Was man der souverän parlierenden Intermezzo-Musik immer wieder anhört. Für Liebhaber des schwelgerischen Richard-Strauss-Tons ist das ein Fest! Eines, bei dem man an einer üppig gedeckten musikalischen Tafel, den Verwandten und Bekannten begegnet, die man gerne von Zeit zu Zeit wiedersieht bzw. hört. Aufbruch zu neuen Ufern oder Einbruch der Turbulenzen der Gegenwart gibt es anderswo. Bei Strauss war der Blick in den Abgrund mit seinen beiden frühen Einaktern abgehakt; eine erfundene, untergegangene Welt, in der gleichwohl Lebensweisheit und eine innere Freiheit, auch zum Verzicht, zelebriert werden, war mit dem „Rosenkavalier“ längst auf der Welt und in den Herzen des Publikums angekommen.

Das Hinreißende an diesem Abend ist, wie sich Tobias Kratzer die bürgerliche Komödie mit sicherem Instinkt für das Loriothafte der Wirklichkeit zu eigen macht und durchweg eine Handbreit über dem Boden von Bedeutungsschwere schweben lässt und dabei das Selbstreferenzielle auf die Spitze treibt. 

Sein Ausstatter Rainer Sellmaier hat dafür diesmal einen optischen Rahmen von entwaffnender Presspappen-Schlichtheit mit ausgewählten Möbelstücken geschaffen. Und zwei Autos, die zusammengekracht sind, einen Schreibtisch beim Notar, ein Kleiderständer für Kostüme und eine Flugzeugkabine – damit kommt man durch die Bilderfolge. Vor allem aber mit dem Blick in den Orchestergraben bei den Zwischenspielen. Der wird live auf den Zwischenvorhang ist projiziert und zeigt das Orchester und den Dirigenten bei der Arbeit. Hier könnte „Intermezzo“ genauso gut „Intermezzi“ heißen, denn das Orchester spielt durch die Einblendungen zwischen den Szenen auch auf der Bühne eine Hauptrolle. Ein einfacher, aber geniale Einfall. Der wird dadurch getoppt, dass der Kapellmeister Stroh (Clemens Bieber), mit seinen weißen Haaren Donald Runnicles verblüffend ähnelt. Der war es denn auch, an den das ominöse Briefchen voller Rosenblätter und mit anzüglicher Bitte eigentlich gerichtet war. Frau Christine brachte dieser Brief so auf die Palme, dass sie gleich die Scheidung einreichen wollte. 

Nachdem Christine, aus der Maria Bengtsson mit sicherer Parladoeloquenz und darstellerischer Intensität eine imponierend provozierende Ehefrau macht, schon ihre Treffen mit dem jungen Baron Lummer (Thomas Blondelle mit jugendlichem Charme) mit Salome- und Feldmarschallin-Kostümierung aufgehübscht hatte, griff sie für ihren Notarbesuch, um die Scheidung einzureichen, gar zum Beil der Elektra. In Herbert Wernickes Elektra-Inszenierung ließ Gabriele Schnaut einst immerfort ein solches Mordswerkzeug kreisen – Christine ließ es auf den Schreibtisch des Notars niedersausen. Solch hintersinnig derbe und selbstreferenzielle Einlagen wurden vom Publikum dankbar als Vorlage für Lacher aufgenommen. Auch sonst gab es jede Menge szenischen Witz – in kleiner Münze und in großen Scheinen.

Wenn der Hofkapellmeister auf dem Höhepunkt der Ehekrise, bei dem eigentlich ein Gewittersturm im Prater vorgesehen ist und im Graben tatsächlich tobt und alle Notenblätter von den Pulten weht, fliegt er natürlich mit der Strauss-Airline durch heftige Turbulenzen nach Hause, um das Missverständnis ehelicher Untreue aufzuklären. Bei der großen Versöhnung singt die Ehefrau die ihr zugedachte Rolle jetzt direkt aus der Partitur vor und wirft die dann protestierend zu Boden! Das sind Momente, in denen es Kratzer gelingt, das Ganze am eigenen Schopf aus der Banalität zu ziehen und spielerisch auf ein anderes Niveau zu heben. Alle zusammen kriegen das Kunststück fertig, selbst mit einer Richard-Strauss-Oper, die nun nicht gleich aufs Große und Ganze hinaus will, bestens zu unterhalten. Vom Premierenpublikum wurde das ausführlich gewürdigt!

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