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Strauss’ „Intermezzo“ in Berlin - Eigentlich ist sie gar nicht so

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Frau Storch will sich scheiden lassen und spricht darum beim Notar vor.
Frau Storch will sich scheiden lassen und spricht darum beim Notar vor. Monika Rittershaus © Monika Rittershaus

An der Deutschen Oper Berlin beleben Tobias Kratzer und Donald Runnicles die unbeliebte Strauss-Oper „Intermezzo“.

Der Ruf von Richard Strauss’ „Intermezzo“ ist aus mehreren Gründen nicht gut. Die „Bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“ irritiert als Genre (wo hat sich das Wort Oper versteckt?). Dass der Komponist das Libretto selbst schrieb – weil Hugo von Hofmannsthal erst dezent, dann auf ganzer Linie abwinkte und auch die zweite Wahl, Hermann Bahr, sich bald zurückzog –, machte skeptisch.

Seinerzeit 1924 missfiel außerdem der Umstand, dass der Komponist eine Ehekrisenklamotte geschrieben hatte, in der unschwer er selbst in wenig heroischer Rolle zu erkennen war. Wenn man heute zu viel Ironie im Theaterbetrieb sieht, war man damals in dieser Frage in der Hochkultur auf jeden Fall noch unterbelichtet, Strauss aber nicht. Nach der zehrenden Arbeit an der bedeutenden „Frau ohne Schatten“ schwebte ihm etwas extrem Alltägliches vor, unallegorisch, nicht über sich selbst hinausweisend.

Entsprechend ist die Musik zwar unverhohlen Straussisch – zumal durch die breiten Zwischenspiele, die die jeweils filmschnittkurzen Szenen trennen –, aber auch ungewohnt durch die totale Dominanz unterschiedlicher Rezitativformen (Arioses gibt es lediglich in geringen Dosen). Es wird auch gesprochen, dazwischen klingelt das Telefon, der Alltag regiert, und ausgerechnet Strauss eroberte dem Musiktheater das Terrain der Neuen Sachlichkeit. Die Handlung operettenhaft, aber tatsächlich hatte es eine ähnliche Namensverwechslung einmal im Hause Strauss gegeben.

Die nicht sehr nervenstarke Gattin des auf Dienstreise befindlichen Hofkapellmeisters Storch (!) erreicht das unzweideutige Schreiben einer Mieze Meier an ihren Mann. Christine, so heißt die Gattin, will sofort ausziehen und sich scheiden lassen, wie der überrumpelte Storch in der Ferne erfahren muss. Es dauert ein Weilchen, bis klar ist, dass Mieze Meier Storch mit dem Kapellmeister Stroh verwechselt und ihr Schreiben falsch adressiert hat.

„Intermezzo“ stellt hohe Ansprüche, an die auf der Bühne, an die hinter der Bühne, die einen Szenenwechsel nach dem anderen bewältigen müssen, an die Musizierenden. Weniger läppisch als oft unterstellt auch das Spiel mit dem Autobiografischen, denn bei aller Respektlosigkeit: So war Strauss natürlich nicht (wobei es eine virtuose Skat-Szene gibt), so war auch Pauline de Ahna nicht. Strauss hielt auch Abstand und bestand zum Beispiel darauf, das ist popliterarisch vom Feinsten, dass die Storchs nicht in Garmisch-Partenkirchen, sondern Grundlsee leben. Bieder dagegen, dass die Dresdener Uraufführung (gegen seinen Willen) dennoch direkt Straussens Villa in Garmisch auf die Bühne brachte.

Man muss „Intermezzo“ nicht wichtiger machen, als es ist, aber es ist gut, eine große und durchtriebene Produktion dieses unterschätzten Strauss-Projekts zu sehen. Regisseur Tobias Kratzer und Dirigent Donald Runnicles stellen an der Deutschen Oper Berlin eine blendend besetzte, aufwendige, immens formbewusste Inszenierung vor. Rainer Sellmaiers Ausstattung befördert mit den Kostümen einen Hyperrealismus, den die breite, niedrige Bühne in ihrer Kargheit sofort wieder aushebelt. Man weiß nicht recht, und so soll es im „Intermezzo“ definitiv sein: dass man nicht recht weiß.

Über der Bühne kann sich eine ebenso breite Leinwand öffnen, auf der Videos (Jonas Dahl, Janic Bebi) vornehmlich das Orchester aus dem Graben nach oben beamen. Es spielt in den – Strauss-treu nicht szenisch aufgefüllten – Zwischenspielen ohnehin die Hauptrolle, und nach der Pause wird es mit zunehmenden Wallungen im Geschehen auch im Leinwandorchester merkwürdig. Notenblätter fliegen dort umher, aber nicht unten im Graben, wo Runnicles einen fülligen, disziplinierten, zutiefst seriösen Straussklang produzieren lässt. Das ist umso eindrucksvoller, weil der Dirigent einen lustigen Doppelgänger auf der Bühne hat. Kratzer zieht seine eigenen Schlüsse aus Strauss’ Spiel mit der Autofiktionalität und baut nicht nur die Deutsche Oper als Ort des Geschehens, sondern auch den Dirigenten und sich selbst ein. Nur ein Spiel, nicht wichtig. Kapellmeister Stroh sieht Runnicles ähnlich, der windige Baron Lummer lässt mit Käppchen und im Gebaren an Kratzer denken.

Und weil alles fließt und in Bewegung ist (und die Handlung im Opernmilieu spielt, und Pauline de Ahna eine große Strauss-Sängerin war) tauchen wie von ungefähr Opernkostüme auf. Dann kann ein Mann als Jochanaan in den Würgegriff Christine-Salomes geraten. Und wenn Frau Storch beim Notar wegen der Scheidung vorspricht, ist es Elektra mit dem Hackebeilchen, die den nur mit einem Stift bewaffneten Herrn verschreckt. So laut wird in der Oper selten gelacht.

Sängerisch gehört Christine Storch der Abend, Maria Bengtsson schimpft, jammert und rast unermüdlich und schafft es trotzdem irgendwie, eine Frau wie du und ich zu bleiben. Als sie am Ende ihren Gatten zu loben und zu preisen hat (bevor weitergestritten wird), macht Kratzer zumindest klar, dass das der Text und Musik eben jenes Gatten sind (er hält ihr die Noten hin). Gleichwohl ist der Storch ein Sympathieträger, Philipp Jekal mit einem angenehmen, leichten Bariton und dem smarten und seine Eitelkeit halbwegs regulierenden Auftreten der Erfolgreichen. Sein Söhnchen kommt ganz nach ihm. Als Reisenden setzt ihn Kratzer, dem die Einfälle wirklich nicht ausgehen, zwischendurch immerhin in ein Flugzeug, das durch Turbulenzen eiert wie Storch durch seine Ehekrise.

Der gewiss nur ganz äußerlich kratzerähnliche Schlawiner Lummer, mit dem Christine in Berlin nicht nur einen Flirt, sondern eine handfeste Affäre hat – da sie das moralisch nicht anficht, ist das unbedeutender, als es klingt –, ist der Strahlemanntenor Thomas Blondelle. Bis ins Kleinste sind alle Partien liebevoll besetzt und ausgefüllt, ein feiner („Fledermaus“-)Gag, dass der Kammersänger vom hierfür überdimensionierten Tobias Kehrer gesungen wird. Die kürzlich 70 Jahre alt gewordene große Sängerin Nadine Secunde hat einen vergnüglichen Auftritt als Frau des Notars. Runnicles-Pendant Stroh ist Clemens Bieber in Perfektion. Die Produktion arbeitet mit so vielen kleinen Irritationen, dass eine traumhafte Ebene entsteht. Strauss-Melancholie ist nicht völlig ausgeschlossen. Ohnehin ist klar, dass das nur gut ausgeht, weil nichts Schlimmes passiert.

„Intermezzo“ ist das Mittelstück einer Kratzer-Strauss-Trilogie, nach „Arabella“ wird noch „Die Frau ohne Schatten“ folgen.

Deutsche Oper Berlin: 28. April, 1., 5. Mai, 7., 14. Juni. deutscheoperberlin.de

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