Natur, Geschichte und Kunst

In der vor mehr als fünfhundert Jahren von schwedischen Königen gegen die russischen Zaren errichteten Burg Olavinlinna sollen wie zur Zeit Martti Talvelas und Ulf Söderbloms wieder finnische Opern uraufgeführt werden.

Heinz Stalder
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Anklang an die Salzburger Felsenreitschule: der Schauplatz der Opernfestspiele von Savonlinna. (Bild: Andreas Hub/ laif)

Anklang an die Salzburger Felsenreitschule: der Schauplatz der Opernfestspiele von Savonlinna. (Bild: Andreas Hub/ laif)

Der Weg zu den über zweitausend Sitzplätzen im dunkel überdachten Innenhof der mittelalterlichen Trutzburg führt über feste und bewegliche Brücken, Treppen und uralte Pflastersteine, die nur in währschaften Schuhen begehbar sind. Mit dem unerbittlichen Willen der Finnen, sich gegen Widrigkeiten durchzusetzen, schaffen die meisten Besucherinnen der Opernfestspiele von Savonlinna den steinigen Zugang zur hohen Kunst dennoch. Die Sopranistin Aino Akté, die es als erste Finnin an die Metropolitan Opera schaffte, musste auch von dieser Unerbittlichkeit beseelt gewesen sein, als sie 1912 in der Kleinstadt Savonlinna ihre Opernfestspiele gründete.

Breitenwirkung

Neugierig machten sich die Bürgerinnen und Bürger Savonlinnas und der umliegenden Gemeinden auf den Weg, sich in der Burg auf der Felseninsel mit einer Kunst auseinanderzusetzen, die für sie eher eine Sache der Adeligen und der reichen Bourgeoisie im zaristischen Grossfürstentum Finnland war. Staunend sollen sie festgestellt haben, wie Dirigent, Orchester, Sängerinnen, Sänger und Chor aus einem Motiv des Nationalepos Kalevala ein dramatisch berührendes Gesamtkunstwerk schufen. Die Oper «Aino» des finnischen Komponisten Erkki Melartin mit Aino Akté in der Titelpartie wurde begeistert aufgenommen, und die Stadt Savonlinna erklärte sich bereit, in den nächsten fünf Jahren je 5000 Finnmark aus dem Gewinn der gemeindeeigenen Schnapsbrennereien beizusteuern.

Schon vier Jahr später, Russland wurde von Revolutionen erschüttert, Finnland strebte die Unabhängigkeit an, gab es für Opern kein Geld mehr. Mit ungebrochenem Enthusiasmus versuchte Aino Akté 1930 die Savonlinna-Opernfestspiele wiederzubeleben. Ihre Stimme erreichte das Volk aber nicht mehr, und Savonlinna war zu weit weg vom kulturellen Zentrum Helsinki. Erst in den 1960er Jahren gelang es den renommierten Savonlinna-Musiktagen, in der Burg wie zur Zeit der mittlerweile zur Legende gewordenen Gründerin Opern aufzuführen.

Ein paar Jahre nach den vielversprechenden Anfängen übernahm 1972 der in der Opernwelt gefeierte, aus der Umgebung Savonlinnas stammende, auch körperlich mächtige Bass Martti Talvela das Zepter. Er liess seine glänzenden Beziehungen zu den grössten Opernhäusern spielen, setzte bei Stadt, Staat und Sponsoren sein einzigartiges Charisma ein. Talvela gelang es, internationale Stars zu Bedingungen zu verpflichten, die an Wunder grenzten. «Die Gage klein, die Bühne, das Publikum, die Gastfreundschaft, die Sauna, die Fische, alles überwältigend», sagte der an der Deutschen Oper Berlin singende schwedische Bass Bengt Rundgren stellvertretend für alle von Savonlinna begeisterten Künstler.

August Everding inszenierte im genial einfachen Bühnenbild Toni Busingers die «schönste aller ‹Zauberflöten›». Mit Irma Urrila kam Ingmar Bergmans «Trollflöjten»-Pamina nach Savonlinna. Mozarts Oper wurde zum kassenfüllenden Zugpferd der Festspiele von Savonlinna. In Ulf Söderblom, dem musikalischen Leiter der finnischen Nationaloper, fand Talvela einen Partner, der es verstand, finnische Komponisten für Savonlinna zu gewinnen. Als 1975 die Burg Olavinlinna 500 Jahre alt wurde, sang der junge Matti Salminen die Titelrolle in Aulis Sallinens «Reitersmann». Die neueste finnische Oper, «Die letzten Versuchungen» von Joonas Kokkonen, erregte auch international grosses Aufsehen.

Uraufführung folgte nun auf Uraufführung. Auch wenn es in Savonlinna regnerische und unangenehm kalte Sommer gab, der warme Pullover, die Wolldecke, Thermos- und andere Flaschen unabdingbar waren – das euphorisierte Savonlinna feierte seine finnischen Opern, bejubelte Mozarts «Zauberflöte», Verdis «Don Carlo», Mussorgskys «Boris Godunow», Wagners «Fliegenden Holländer». Dass die Finanzen nicht zuletzt wegen der aufwendigen Uraufführungen etwas aus dem Gleichgewicht gerieten und die Nachfolger Talvelas sich gezwungen sahen, populärer zu werden, mit Auftragswerken sparsamer umzugehen, ist bis heute spürbar. Noch hat Savonlinna seinen Ruf als Ort innovativer Opernfestspiele nicht verloren, aber die meisten Produktionen sind festivaltauglich austauschbar geworden. Daran ändern auch die Gastspiele grosser Opernhäuser aus aller Welt wenig.

Rückbesinnung

In der Ära Talvela/Söderblom und auch in der ersten Zeit danach war die Präsenz der international bekanntesten finnischen Dirigenten, Sängerinnen und Sänger in Savonlinna eine Selbstverständlichkeit. Ihre Abwesenheit in den letzten Jahren ist nicht nur auf ihre Gagenforderungen und die Konkurrenz der Nationaloper in Helsinki zurückzuführen. Savonlinna müsste mit neuen finnischen Opern wieder unverwechselbar werden. Die frühere Staatspräsidentin Tarja Halonen brachte es auf den Punkt: «Die Opern liegen uns Finnen. Wir sind voller Emotionen, können uns aber oft singend besser ausdrücken, und einmal auf der Bühne, verlieren wir unsere angeborene Scheu.»

Möglicherweise bringen die an finnische Komponisten in Auftrag gegebenen, sehr erfolgreichen Kinderopern die etwas verloren gegangene internationale Publikumsneugier zurück. Und Jorma Silvasti, der neue künstlerische Leiter ab 2013, verspricht eine vorsichtige, gezielte Rückkehr zum finnischen Opernschaffen. Die Burg, ihre grossartige Akustik, die Faszination der weissen Sommernächte bleiben einzigartig, und dem begeisterungsfähigen Publikum dürfte die Unerbittlichkeit Aino Aktés und Martti Talvelas getrost zugemutet werden. Im Jubiläumsjahr greift man schon einmal auf Savonlinnas Highlights zurück: auf Everdings nach wie vor hinreissende Inszenierung der «Zauberflöte», auf Verdis «Aida», Wagners «Holländer» mit Matti Salminen als Daland. Dazu die Uraufführungen der gelungenen, wenn auch nicht allzu ernstgemeinten Oper «La Fenice» des Finnen Kimmo Hakola sowie «Free Will», eine übers Internet entstandene Oper.