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Amanda Majeski (Katěrina, genannt Káťa)  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Amanda Majeski (Katěrina, genannt Káťa)  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

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Seelendrama voller Intimität, Krieg in den Köpfen – Leoš Janáčeks „Katja Kabanowa“ an der Semperoper Dresden

Vorspann / Teaser

Calixto Bieito hätte es sich leicht machen und den mit seinem Namen verbundenen Erwartungsdruck als Skandalregisseur gerecht werden können, indem er seine jüngste Regiearbeit an der Dresdner Semperoper zum großen Anti-Kriegs-Drama ummünzt. Die Titelfigur als seelenvoll Fremde, unterdrückt von der resolut barbarischen Schwiegermutter Mütterchen Russland, die weiteren Protagonisten in Leoš Janáčeks Oper „Katja Kabanowa“ zu willfährigem Vollzugspersonal zurechtstutzend.

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Stattdessen hat Bieito seine Chancen ausgereizt und dieser in einer Kooperation mit dem Nationaltheater Prag herausgekommene Neuinszenierung zu einem veritablen Kammerspiel gestaltet. Zu einem Seelendrama voller Intimität, Krieg in den Köpfen, in der Familie. Denn diese Katja ist gefangen in sich selbst, in ihren schier grenzenlosen Träumen und den berechtigten Glückserwartungen an Leben und Liebe sowie in dem brutal vorgegebenen Korsett eines doktrinären Familienclans, das individuelle Sehnsüchte oder gar Ausbrüche von vornherein als undenkbar abstempelt. Hintenherum aber alle Moral mit schmutzigen Füßen tritt. Eine bestialische Welt. 

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Amanda Majeski (Katěrina, genannt Káťa)  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Amanda Majeski (Katěrina, genannt Káťa)  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

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In Familien-Banden ist kein Platz für Menschlichkeit

Die Geschichte dieser 1921 am Nationaltheater Brno uraufgeführten Oper, die auf dem Drama „Gewitter“ von Alexander Ostrowski basiert, wird von Janáček vor allem musikalisch erzählt. Katja ist durch ihre Heirat mit Tichon in die Fänge der Familie Kabanow geraten, wird von dessen Mutter schikaniert, ist vom Gatten enttäuscht und träumt davon, fliegen zu können. Einen einzigen Ausbruch, der vielleicht zehn Nächte gewährt haben mag, vielleicht aber auch nur einen klitzkleinen Moment, hat sie sich mit dem von ihr geliebten Boris geleistet. Ein wenig angestachelt dazu wurde sie von der libertären Varvara, Ziehtochter des ansonsten in scheinheiliger Prüderie lebenden Hauses. Voller Scham gesteht sie den „Fehltritt“ und begeht Selbstmord, indem sie sich in die Fluten der Wolga stürzt. Nur ihr Mann ist davon berührt, dessen Mutter bleibt eisig kalt. Eine Herrscherfigur par excellence.

Christa Mayer gibt diese Kabanowa mit glühendem Alt, selbstherrlich und in ihrer Rechthaberei unbeirrbar auch nach dem Tod Katjas. Die wird von sich vokal grandios entfaltenden Amanda Majeski als verängstigtes Wesen gegeben, das die eigenen Ängste nur zu gern überwindet. Doch Aida Leonor Guardia hat dieser Produktion ein geradezu bunkerhaftes Bühnenbild zimmern lassen, aus dem es – zunächst – keinerlei Ausflucht gibt. Wenn sich die hintere Wand schließlich neigt, gibt sie ein knöcheltiefes Wasserbecken frei, das für die Wolga dann doch ein wenig zu niedlich wirkt. Diesbezüglich wurde anderenorts schon mehr Aufwand betrieben, der unterm Strich überzeugender war.

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Kurt Rydl (Savël Prokofjevič Dikój), Sabine Brohm (Fekluša), Christa Mayer (Marfa Ignatěvna Kabanová), Simeon Esper (Tichon Ivanyč Kabanov), Ilya Silchuk (Kuligin), Nicole Chirka (Gláša), liegend: Amanda Majeski (Katěrina, genannt Káťa)  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Kurt Rydl (Savël Prokofjevič Dikój), Sabine Brohm (Fekluša), Christa Mayer (Marfa Ignatěvna Kabanová), Simeon Esper (Tichon Ivanyč Kabanov), Ilya Silchuk (Kuligin), Nicole Chirka (Gláša), liegend: Amanda Majeski (Katěrina, genannt Káťa)  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

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Dafür jedoch haben in Dresden nicht nur die Sächsische Staatskapelle unter dem argentinischen Gastdirigenten Alejo Pérez sowie der von Jonathan Becker perfekt einstudierte Staatsopernchor gesorgt, sondern vor allem das durchweg überzeugende, von Eva Butzkies in stimmig charakterisierende Kostüme gekleidete Solistenensemble. Wo sonst hat man eine vokal und agierend derart betörende Varvara wie hier mit dem Ensemblemitglied Štěpánka Pučálková, wo leistet man sich einen Kurt Rydl als so bassig wie brutal donnernden Kaufmann Dikój, wo holt man sich einen derart agilen Boris wie hier mit Magnus Vigilius als Gast, wo kann man auf eigenes Personal zurückgreifen, um auch alle weiteren Partien qualitativ stimmig zu besetzen?

Diese „Katja Kabanowa“ ist ein intimes Kammerspiel, das viel über versteckte Lust erzählt, also auch über Verlogenheit und scheinheiliges Getue. Wird darin das alte wie das heutige Russland nicht erst recht und viel deutlicher erklärt als mit jeder noch so gut gemeinten Analogie?

Termine „Katja Kabanowa“ – 1., 6., 10., 19. Mai 2024

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