Bejun Mehta (44), als Sohn eines Pianisten und einer Sopranistin in North Carolina (USA) geboren, spielte nach dem Stimmbruch Cello und sang als Bariton. An der N. Y. City Opera debütierte er 1998 als Countertenor.

Foto: Marco Borggreve

STANDARD: Beenden Sie das Interview, wenn ich Sie nach dem Verwandtschaftsverhältnis zu Zubin Mehta befrage?

Bejun Mehta: Nein. Zubins Vater und mein Großvater waren Brüder. Ich verstehe das Interesse, denn es kommt nicht so oft vor, dass zwei - oder in meiner Familie drei - Menschen in einem künstlerischen Beruf erfolgreich sind. Und es ist auch nicht mühsam, weil Zubin etwas ganz anderes macht als ich. Und wir gehören unterschiedlichen Generationen an. Wir haben keine Konkurrenz. Wir musizieren auch miteinander.

STANDARD: Als Sohn einer Musikerfamilie: Gab es eine andere Chance, als Musiker zu werden?

Mehta: Gab es. Aber Musik lag immer in der Luft, seit den ersten Lebenstagen umhüllte sie mich. Mein Vater als Pianist übte ständig, mein Bruder als Geiger übte ständig. Musik ist für mich so natürlich und lebensnotwendig wie Luft und Wasser.

STANDARD: Träumen Sie auch Musik?

Mehta: Ich erinnere mich selten an Träume. Aber Musik ist immer irgendwie in meinen Gedanken. Normalerweise, also neunzig Prozent der Zeit, finde ich das wunderbar, zehn Prozent allerdings mühsam. Um abzuschalten, drehe ich den Fernseher an und schaue die allerdümmsten und schlechtesten Sendungen an.

STANDARD: Warum schlecht?

Mehta: Im Theater, in den Museen - überall dort, wo Kunst ist, ist auch Musik. Künstler, gleichgültig ob Maler, Dichter, Musiker oder Sänger, streben nach Selbstausdruck, nach Qualität, nach Wahrhaftigkeit. Schlechte TV-Sendungen sind oberflächlich und nach Schema F gemacht. Da gibt es keine Kunst, folglich keine Musik.

STANDARD: Wie ehrlich, wie hart sind Sie sich selbst gegenüber?

Mehta: Sehr! Aber ich will nicht den Eindruck vermitteln, ich hätte keinen Genuss an der Arbeit. Im Gegenteil! Wenn ich tiefer und immer tiefer in die Materie eingedrungen bin, bereitet mir das eine unglaubliche Freude, ich hoffe, das merkt man auf der Bühne.

STANDARD: Ich denke bei dieser Frage auch daran, dass Sie als Bariton begonnen und dann wieder aufgehört haben, weil Sie sich nicht gut genug fanden.

Mehta: Das war eine schmerzhafte Erkenntnis. Aber ich war und bin einfach kein Bariton. Man sagt ja des Öfteren über uns Counter tenöre, wir seien eigentlich Tenöre, hätten aber gelernt, durch bestimmte Techniken die Stimme höher zu machen. Das stimmt nicht. Man ist Countertenor, genauso wie man Sopran oder Mezzosopran ist.

STANDARD: Warum haben Sie dennoch als Bariton begonnen?

Mehta: Countertenöre galten in meiner Generation als merkwürdig. Es ist noch nicht lange her, dass wir die Countertenor-Ghettos verlassen und die größten Bühnen der Welt, ja, erobert haben. Noch vor zehn Jahren saßen die Leute kopfschüttelnd im Publikum. Jetzt befinden wir uns in Konkurrenz zu allen Sängern. Und so soll es sein! Unsere Stimmen funktionieren wie die der anderen. Aber in meiner Generation kam kein Gesangslehrer auf die Idee, dass ich ein Countertenor sei. Auch ich selbst nicht.

STANDARD: Aber Sie waren jung!

Mehta: Das stimmt. Doch daran lag es nicht, sondern daran, dass ich kein Vorbild hatte. Als Sänger knabe sang ich bis zur Pubertät mit vielen furchtbar schlechten Countertenören. Dieser Klang war mir immer im Ohr. Erst als ich einen Artikel über den Countertenor David Daniels las, machte es klick. Es war ganz genau meine Geschichte.

STANDARD: Sehen Sie sich als Vorbild für die nächste Generation?

Mehta: Ja, ich würde sagen, wir waren Pioniere. Nun kommen Studierende zu mir, die mit Countertenor beginnen. Da gab es keinen Kampf, was man übrigens auch ihrer Stimme anmerkt. Früher hatten Gesangslehrende die Idee, es gebe eine eigene Technik. Das ist Unsinn. Erst in den 1990ern erkannte man, dass wir die Belcanto-Technik verwenden sollten, wie Mezzosopran und Sopran - und ehrlich gestanden alle guten Sänger.

STANDARD: Wird ein Countertenor im Laufe der Jahre dunkler, voller?

Mehta: Gute Frage! Das werden wir alle zusammen erst entdecken. Früher herrschte die Meinung vor, mit vierzig sei die Stimme eines Countertenors kaputt. Das ist erwiesenermaßen falsch. Ich bin jetzt Anfang 40, meine Stimme hat nichts an Frische, an Volumen eingebüßt.

STANDARD: 2005 haben Sie in Salzburg in Mozarts "Mitridate" debütiert, seither gehören Sie zu den Stammkünstlern der Festspiele.

Mehta: Ohne Zweifel hat meine internationale Karriere hier begonnen. Ich hatte damals große Angst, alle waren da: die Weltstars und die Besten und die, die Weltstars und die Besten in einer Person sind. Für mich galt: Sink or swim.

STANDARD: Nun ist Placido Domingo als Bajazet Ihr Widerpart in der Händel-Oper "Tamerlano". Ist es schwierig, sich neben einer Ikone wie ihm zu behaupten?

Mehta: Es ist ein Privileg! Natürlich ist er ein Mythos, eine Ikone. Aber gleichzeitig ist er Mensch und Sänger, der in der Probe auch seine Ängste zeigt. Das ist ein Zeichen seiner wirklichen Größe, von dieser Menschlichkeit lerne ich.

STANDARD: "Tamerlano" wird konzertant aufgeführt. Ist diese Konzentration auf Wort und Musik mitunter spannender als aufwändige Regien?

Mehta: Ja. Punkt. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 9.8.2012)