Sir Harrison Birtwistle, Doyen der britischen zeitgenössischen Komponisten, mehrfacher Ehrendoktor, 1988 von der Queen geadelt: Seine Oper "Gawain" ist Auftakt des Salzburger Opernprogramms.

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Am Freitag hat "Gawain" Premiere. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis wird dabei den Gegensatz zwischen Naturreligion und Christentum thematisieren. Warum der verstorbene Aktionskünstler Joseph Beuys dabei großformatig ins Bild kommt, ist eines jener Regierätsel, die sich in der Felsenreitschule erst während der Vorstellung lösen werden.

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Salzburg - Eigentlich hätte György Kurtàg für diesen Salzburger Festspielsommer eine Oper komponieren sollen. Intendant Alexander Pereira sprach vorsichtshalber immer von einem Plan B, sollte Kurtàg nicht fertig werden. Dieser Plan B tritt nun in Kraft - und klingt nicht nach Notlösung, sondern nach vorzüglicher erster Wahl.

Der deutsche Dirigent Ingo Metzmacher und der lettische Regisseur Alvis Hermanis, die im Vorjahr als umjubeltes Dreamteam Bernd Alois Zimmermanns Monumentaloper "Die Soldaten" für die Felsenreitschule maßschneiderten, erarbeiten heuer ebenfalls in der Felsenreitschule Harrison Birtwistles Oper "Gawain" (Libretto: David Harsent), die 1991 im Londoner Covent Garden uraufgeführt wurde. Pereira setzt die mythenreiche, zur Artuslegende gehörende Geschichte von Gawain und dem grünen Ritter diesen Freitag als erste Opernpremiere der Saison an, umrahmt von einem Birtwistle-Konzertschwerpunkt.

STANDARD: Wie geht es Ihnen, wenn Sie Ihre Stücke im Konzerthaus, auf der Opernbühne hören?

Birtwistle: Ich höre vor allem, was ich anders hätte machen können, und bin oft unzufrieden. Aber würde ich alles perfekt machen können, würde man mich wohl Ludwig van Beethoven nennen.

STANDARD: Man nennt Sie Sir Harrison, seit der Erhebung in den Adelsstand gehören Sie zum Establishment.

Birtwistle: Ich vielleicht, aber nicht meine Musik.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Musik verursache Probleme. Was meinen Sie damit?

Birtwistle: Sagen Sie's mir. (lacht) Die Menschen fühlen sich durch neue Musik angegriffen, verunsichert. Sie haben ein anderes Verhältnis zu zeitgenössischer Musik und zeitgenössischer Kunst. Ein Bild kann man täglich anschauen, Neues darin entdecken. Bei Musik geht das nicht, das ist das Besondere. Sie zu hören braucht Zeit.

STANDARD: Wie wichtig ist Zeit überhaupt beim Komponieren, in der Musik?

Birtwistle: Verdammt wichtig. Das beginnt beim Entsehungsprozess: Ein Maler kann mit einem raschen Pinselstrich ein Bild malen. Ich muss Note für Note schreiben, da gibt es keine Abkürzungen oder genialen Gesten. Aber Musik spielt auch mit der Zeit, kann zeitliche Grenzen überwinden.

STANDARD: Durch Wiederholungen, Variationen?

Birtwistle: Ja. Das ist in der aktuellen Musik zwar nicht sehr modern. Mich interessiert es sehr.

STANDARD: Kann man - wie kann man - Komponieren lernen?

Birtwistle: Gar nicht. Und falls doch, lerne ich immer noch. Es war jedenfalls von klein auf das Einzige, was mich interessierte. Damals lernte ich Klarinette, aber ich war nicht gut. Man sagt ja immer: Übung macht den Meister. Stimmt nicht! Übung macht nur die Untalentierten ein bisschen besser.

STANDARD: Sie haben vorher Malerei und Musik verglichen. Interessiert Sie Kunst?

Birtwistle: Sehr. Vor allem der Kubismus. Als ich unlängst gebeten wurde, ein Stück für Gitarre zu schreiben, fiel mir Picassos "Construction for a Guitar Player" ein. Ich machte es wie er, schrieb sechs Musikstücke, schnitt sie aus, puzzelte sie zu einem einzigen Musikstück zusammen und nannte es "Construction for a Guitar".

STANDARD: Kubisten stellten auf einem Bild ein Ding, ein Objekt aus verschiedenen Perspektiven gleichzeitig dar. Gibt es da Analogien zu Ihrer Musik?

Birtwistle: Ich sehe keine unmittelbare Verwandtschaft. Sicher ist, dass Wissenschafter in den Kubismus im Nachhinein mehr hineininterpretierten. Auch über meine Musik wissen manche Leute mehr als ich, entdecken Dinge, die ich nie beabsichtigt oder gesucht habe. Aber wenn sie es entdecken, ist es die Wahrheit, egal, ob ich es bewusst oder unbewusst geschrieben habe.

STANDARD: Wie wichtig ist der Zufall für das Komponieren?

Birtwistle: Ich plane Musik nicht am Reißbrett, ich bin nicht wie ein Architekt, der etwas zeichnet, plant, ehe er es ausführt. Beim Komponieren kreiert man eine Situation, die man sich vorher nie hätte ausdenken können. Es ist wie eine Reise, allerdings ohne Reiseführer und Plan. Sondern eine, auf der man sich treiben lässt, mal dies entdeckt, mal jenes.

STANDARD: Und bei einer Oper ist das Libretto eine Art Reiseführer?

Birtwistle: Ja, dann ist die Route vorgegeben. Deshalb schreibe ich an sich lieber Musik, bei der ich mich frei fühle. Ich suche immer die Herausforderung. Ich dachte lange nicht daran, ein Violinkonzert zu schreiben, und tat es nur, weil ich mir nicht sicher war, ob ich es konnte. Komponieren ist die Annäherung an eine Idee, deren hundertprozentige Verwirklichung erreicht man nie. Aber mit jedem neuen Stück habe ich wieder die Chance, meine Ideen und Träume zu verwirklichen.

STANDARD: Machen Sie es wie Hitchcock, der ein Notizbuch neben dem Bett liegen hatte, um aufzuschreiben, was er träumte?

Birtwistle: Nein. Die Ängste und Albträume verlieren am Tag ihre Wirkungskraft.

STANDARD: Ihre Oper "Gawain" erzählt eine archaische Geschichte voller Mythen, Dramen, Liebe, Verrat, Kämpfen, Ritterlichkeit.

Birtwistle: Am Musiktheater kann man Dinge machen wie in keiner anderen Kunstsparte. Ein Film über Mythen ist albern, heute mit all der technischen Perfektion noch alberner als früher. Das Beste ist da immer noch der Original-"King Kong": Die Puppe, die man über das Modell des Empire State Building nach oben bewegte, sieht aus wie ein Baby, dem die Windeln fehlen. Das Remake ist technisch perfekt, aber der Film hat seine Magie verloren. Theater funktioniert wie ein Zaubertrick: Ich ziehe einen Ball aus Ihren Ohren - Sie wissen, es ist unmöglich, aber Sie lassen sich verzaubern.

STANDARD: Reden Sie mit Regisseuren und Dirigenten während des Probenprozesses über das Stück?

Birtwistle: Nein, nie! Sie können tun, was sie wollen. Und ich darf es dafür nachher eventuell auch nicht mögen. Sie können, wenn sie es wollen, auch unter Wasser inszenieren. Wütend werde ich nur, wenn Regisseure mein Stück dazu missbrauchen, um ihre eigenen Ideen zu transportieren. Es ist mein Stück! Die Geschichte muss erzählt werden. Allerdings fragen mich die Leute oft zu Details meiner Werke. Aber ich kann mich nicht immer an alles erinnern.

STANDARD: Soll ich das schreiben?

Birtwistle: Klar! Warum nicht? (lacht) Ich bin kein Buch, in dem man alle Antworten finden kann. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 24.7.2013)