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Opern- und Kunstgenuss in einem: Alvis Hermanis verlegt den "Trovatore" ins Museum, die Sänger haben historische und zeitgenössische Kostüme.

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Der lettische Regisseur Alvis Hermanis.

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STANDARD: 2003 gewannen Sie mit Gogols "Revisor" den Young Directors Award; 2012 feierten Sie Ihr vielumjubeltes Opernregiedebüt in der Felsenreitschule mit Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten", voriges Jahr folgte Harrison Birtwistles "Gawain" - und nun inszenieren Sie erstmals klassische Oper im Großen Festspielhaus...

Alvis Hermanis: ... und das ist noch nicht das Ende! Für 2016 ist in Salzburg schon Die Liebe der Danae mit Franz Welser-Möst geplant. Ich bin jetzt kein Opernneuling mehr, in Berlin werde ich mit Barenboim Tosca machen, Faust in Paris. Aber Alexander Pereira gab mir die erste Chance, er ist mein Gottvater im Opernbereich. Es war schon ziemlich mutig, einem völligen Anfänger im Opernmetier ein so kompliziertes Stück wie Die Soldaten anzuvertrauen. Als ich damals sagte, ich wolle lebende Pferde auf der Bühne, gab er grünes Licht.

STANDARD: Diesmal singen zwei der weltbesten und berühmtesten Opernstars. Ist es eine andere Herangehensweise, wenn man mit Anna Netrebko und Placido Domingo arbeitet?

Hermanis: Schon. Ich habe den beiden bereits letzten Sommer mein Regiekonzept unterbreitet. Normalerweise würde ich das nicht tun. Beide unterstützten von Anfang an meine Ideen. Domingo und Netrebko sind wirklich Halbgötter, aber ihre menschlichen Qualitäten sind noch beeindruckender als die künstlerischen. Sie sind bei den Proben kollegial, von geradezu betörender Offenheit, neugierig - fast wie Anfänger, Studierende. Ein von sich völlig überzeugter Künstler ist ja unspannend, leblos. Nur die Möchtegern-Künstler haben Starallüren. Der Zweifel, die Unsicherheit, davon bin ich überzeugt, sind notwendige Ingredienzien für einen guten Künstler.

STANDARD: Apropos Unsicherheit: Haben Sie, wenn Sie mit einer neuen Produktion beginnen, Angst, sie könnte misslingen?

Hermanis: Vor ein paar Wochen sprach mich in meiner Heimatstadt Riga auf einer Tankstelle ein anderer Autofahrer an: Mein Auto sei schöner als seines, ich würde offenbar gut verdienen, er wolle auch Theaterdirektor werden, sagte er; daher wolle er wissen, welche Voraussetzungen er dafür erfüllen müsse. Ich antwortete, das Wichtigste sei, ständig zu bluffen. Das ist kein Witz. Man kann sich nie völlig sicher sein, wie eine Produktion wird. Aber die anderen an der Produktion beteiligten Menschen sollen natürlich glauben, dass der Regisseur völlig überzeugt vom Gelingen seiner Vision ist. Deshalb ist Bluffen wichtig.

STANDARD: Was, wenn einer der Sänger nun während der Proben mit Ihrer Version nicht einverstanden gewesen wäre?

Hermanis: Ich bin von meiner Ausbildung, meiner Mentalität, meiner Blutgruppe her selber Schauspieler. Ich weiß, wie es einem Schauspieler, einem Sänger am Probenbeginn geht. Und ich bin nicht stur, ich mag keine Konflikte, keine Kämpfe. Ich versuche immer, eine Lösung zu finden, die vielleicht wie ein Kompromiss aussieht, sich aber als die bestmögliche Lösung entpuppt. Ich habe keine ästhetische Handschrift, sondern versuche immer, Regeln zu durchbrechen, vor allem meine eigenen. Mich interessiert, wie man historische Stoffe zeitgemäß visualisieren kann, ohne aber den historischen Kontext zu opfern.

STANDARD: Wie geht das bei der doch sehr verrückten und vertrackten Geschichte des "Trovatore"?

Hermanis: Ja, die ist wahrlich eigentümlich. Es gibt angeblich einen Wirt in Italien, der jedem eine Flasche Wein spendiert, der die Geschichte sinnvoll erzählen kann. Andererseits heißt es, nichts sei leichter, als Il trovatore zu inszenieren: alles, was man brauche, seien vier gute Sänger. Die habe ich, neben Domingo und Netrebko ist Francesco Meli als Manrico ein wirklich fantastischer Tenor; und Marie-Nicole Lemieux ist nicht nur eine großartige Sopranistin, sondern auch eine derart gute Schauspielerin, dass ich sie sofort für eine Theaterproduktion engagieren würde. Ich habe die Handlung in ein Museum für alte Malerei verlegt. So können wir die zwei Realitäten von Gegenwart und Vergangenheit mischen, jeder Sänger hat zwei Kostüme, eines aus der Jetztzeit und ein historisches. Mit der Malerei erzählen wir eine Parallelgeschichte. Mit einem Ticket kann das Publikum ein Museum besuchen und gleichzeitig großartige Musik hören.

STANDARD: Wie lange haben Sie den "Trovatore" gehört, ehe Sie sich entschlossen, die Regie zu übernehmen?

Hermanis: Am Tag nach der Premiere von den Soldaten bot mir Pereira den Trovatore an. Wieder tags darauf fuhr ich mit dem Auto nach Hause. Salzburg - Riga: Das sind fast 2000 Kilometer; und die ganze Zeit hörte ich die Musik. Aber um eine Visualisierung zu finden, brauchte ich letztlich ein ganzes Jahr.

STANDARD: Ist es ein Unterschied, ob man zeitgenössiche oder klassische Oper inszeniert?

Hermanis: Für einen Musiker ja, aber nicht unbedingt für einen Regisseur. Die Regeln, wie man eine Geschichte visualisiert, sind ähnlich, ob es sich um einen historischen oder zeitgenössischen Stoff handelt. Mein Traum ist, der altmodischste Opernregisseur im 21. Jahrhundert zu werden, denn ich liebe Geschichte.

STANDARD: Bei "Soldaten" und "Gawain" war Ingo Metzmacher der Dirigent, diesmal dirigiert Daniele Gatti: Was ist der Unterschied zwischen den beiden?

Hermanis: Beide Male war es sehr produktiv, aber mit Gatti ist es vollkommen anders gewesen. Ingo Metzmacher bin ich für das bedingungslose Vertrauen dankbar, das er mir als Opernregie-Neuling entgegenbrachte. Er hat mich vorgeschlagen, weil er am Akademietheater meine Inszenierung Eine Familie gesehen hat. Gatti hingegen bin ich dankbar, dass er sich so voller Enthusiasmus in den Vorbereitungsprozess eingebracht hat. Ich verbrachte mehrere Tage in seiner Wohnung in Mailand, um gemeinsam die Szenen durchzugehen. Zunächst war ich irritiert, diese Art der Arbeit war ich überhaupt nicht gewohnt. Aber seine Ratschläge waren alle sehr hilfreich. Wäre er als Dirigent nicht so gefragt, würde ich ihn sofort als meinen Assistenten beschäftigen (lacht).

STANDARD: Haben Sie überhaupt noch Zeit für Ihr eigenes Theater in Riga?

Hermanis: Natürlich. Ich bin faul genug! Das Wichtigste an einem wirklich guten Chef, egal in welcher Branche, ist es ja, Dinge organisieren und delegieren zu können. Ich arbeite so wenig wie möglich, ich bin ein Familienmensch, habe sieben Kinder, das jüngste ist gerade einen Monat alt. Ich opfere nicht mein ganzes Leben dem Beruf. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 9./10.8.2014)