Michiel Dijkema zum Operettenaufwand: "In der Zeit, die ich zur Vorbereitung von "Pariser Leben" benötigt habe, hätte ich einen ,Fliegenden Holländer', eine ,Tosca' und eine halbe ,Salome' geschafft!"

Foto: Robert Newald

STANDARD: Da ist ja so einiges los in Offenbachs "Pariser Leben".

Dijkema: Dieses Stück hat so unglaublich viele Figuren! Es kommen in jedem Akt neue dazu. Als ich es das erste Mal gelesen habe, hab ich es überhaupt nicht verstanden. Ich musste es sieben Mal lesen, bevor ich Hauptfiguren und Nebenfiguren unterscheiden konnte. Wobei manche Nebenfiguren mehr zu singen haben als die Hauptfiguren!

STANDARD: Das klingt nach harter Arbeit für einen Regisseur.

Dijkema: Ich muss als Regisseur die Geschichte so erzählen, dass ihr der Zuschauer folgen kann, ohne zu sehr verwirrt zu werden. Es besteht bei dieser Operette die Gefahr, dass man zum Schluss den Faden verliert. Was aber auch den Librettisten so gegangen ist! Man kann in ihrem Briefwechsel nachlesen, dass sie mit dem vierten und dem fünften Akt weniger zufrieden waren als mit den ersten drei. Letztendlich wurde in der Pariser Fassung der vierte Akt dann auch gestrichen.

STANDARD: Sie machen hier an der Volksoper die fünfaktige Fassung, basierend auf der österreichischen Erstaufführung des Werkes 1867 am Carltheater, und ergänzen sie noch mit einigen Nummern.

Dijkema: Genau. Offenbach hat oft eigene Werke nach der Uraufführung umgearbeitet. Mich hat es gewundert, dass dieses Stück auch ohne den vierten Akt funktioniert - weil in ihm der Grund für alle Turbulenzen dargestellt wird, die Liebe von Gardefeu zur Baronin. Man sollte zwar als Regisseur nie schlauer sein als die Autoren, aber Ausnahmen sollten erlaubt sein. Und ich glaube, Pariser Leben ist so eine Ausnahme. Wir haben Teile des vierten Aktes der Wiener Fassung mit dem nicht realisierten vierten Akt der Pariser Fassung kombiniert und mit Nummern Offenbachs ergänzt, die unseres Wissens noch nie gespielt wurden.

STANDARD: Es wurde ja auch am Text gearbeitet: Die von der Volksoper erstellte Übersetzung ist in ihrer Deftigkeit und Frivolität näher am französischen Original von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, als es die bisherigen Übertragungen waren.

Dijkema: Das Stück war zur Zeit seiner Entstehung sehr frech. Nicht nur vom Text her, sondern weil es, was bei Offenbach eher die Ausnahme war, im Paris der damaligen Gegenwart spielt. Die Gegenwartsnähe ist für dieses Werk etwas Spezifisches, und ich fand, wenn man es nun werktreu inszeniert, dann muss es ebenfalls im Hier und Heute spielen.

STANDARD: Sie siedeln die Handlung des Werkes also in der Gegenwart an. Aber Paris bleibt der Handlungsort?

Dijkema: Ja. Aber es wird auch gewisse Anspielungen auf Wien geben.

STANDARD: Apropos Wien: In der Woche vor der Premiere hat in der Staatsoper der Opernball stattgefunden - eine Veranstaltung von recht operettenhaftem Charakter. Das Interesse an der Operette selbst schwindet leise dahin, aber die Lust, sich in aufwändigen Roben zu champagnisieren und dem Alltag zu entfliehen, scheint eine ewige zu sein.

Dijkema: Auf jeden Fall. Aber die Diskussion, ob die Operette nun tot ist oder nicht, interessiert mich nicht. Man merkt doch bei den Operettenaufführungen, dass sich das Publikum mitreißen lässt - es kommt nur darauf an, die Stücke wirkungsvoll zu inszenieren. In Berlin, Dresden und auch hier in Wien gab es in den letzten Jahren große Erfolge diesbezüglich.

STANDARD: Welche sind die speziellen Qualitäten Offenbachs? Sogar Chefzyniker Karl Kraus war von "Pariser Leben" begeistert, für Egon Friedell waren Offenbachs Werke Schmuckstücke.

Dijkema: Offenbach gelingt es, eine ungeheure Energie auf die Bühne zu bringen. Dann greifen Musik und Text ideal ineinander, auch die Wechsel von Witz und Ernst geschehen virtuos. Die eigene Gesellschaft wird auf kabarettistische Weise vorgeführt; satirische Szenen gehen dann aber auch wieder gleitend über in Szenen, die berühren. Aber seine Stücke sind mit einer sehr umfangreichen Vorarbeit verbunden: In der Zeit, die ich zur Vorbereitung von Pariser Leben benötigt habe, hätte ich einen Fliegenden Holländer, eine Tosca und eine halbe Salome geschafft! Zum einen ist die technische Vorplanung beachtlich: Es gibt viel Personal, große Gruppenszenen, reichlich Kostümwechsel. Und man muss immer sorgsam darauf achten, wo der Klamauk aufhört und der Ernst beginnt.

STANDARD: "Pariser Leben" ist ja als "Stück, vermischt mit Gesang" bezeichnet; bei der Uraufführung kamen größtenteils singende Schauspieler zum Einsatz. Hier an der Volksoper arbeiten Sie aber wahrscheinlich mit professionellen Sängern aus dem Ensemble?

Dijkema: Ja. Damals war der Typus des singenden Schauspielers sehr verbreitet. Aber die Partien sind zum Teil gesanglich sehr anspruchsvoll. Das eine schließt das andere nicht aus: Es ist ein Stück, das man mit gut singenden Schauspielern wie auch mit Sängern machen kann, die spielen können. (Stefan Ender, DER STANDARD, 21.2.2015)