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Bühne und Konzert Abschied in Hamburg

Sie ist eine Beherrscherin des Betriebs

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Lebensmittelpunkt Südengland, erstmal ohne feste Verpflichtungen: Die australische Dirigentin Simone Young Lebensmittelpunkt Südengland, erstmal ohne feste Verpflichtungen: Die australische Dirigentin Simone Young
Lebensmittelpunkt Südengland, erstmal ohne feste Verpflichtungen: Die australische Dirigentin Simone Young
Quelle: picture alliance / dpa
Eine Frau, auf die man zweimal schauen muss: Die australische Dirigentin Simone Young verlässt nach zehn Jahren als Intendantin und Generalmusikdirektorin die Hamburgische Staatsoper. Eine Begegnung.

Irgendwie scheint eine große Ruhe und Gelassenheit in dieses Gesicht eingekehrt, das zu anderen Zeiten durchaus schreckhaft, angespannt, konzentriert, vor allem ungeduldig blicken kann. Jetzt schaut Simone Young mit fast verschleiertem Blick in die Ferne und scheint wirklich auf sich zukommen zu lassen, was die Zukunft so für sie bereithält: „Vor allem acht Wochen Ferien im Jahr, die sind erst einmal fest eingeplant“, sagt Generalmusikdirektorin und Intendantin der Hamburgischen Staatsoper, die nach zehn arbeitsreichen Jahren nun Abschied von der Alster nimmt und am Sonntag ihre vorerst letzte Opernvorstellung in Hamburg dirigiert.

Ja, wirklich Abschied. Die Wohnung ist schon gekündigt. Neuer und alter Lebensmittelpunkt wird das Haus in Südengland sein, wohin sie auch vorher schon immer und viel zu selten zum bschalten enteilt ist: „Nahe am Flughafen Gatwick und doch total ländlich. Meine eine Tochter, die mich eben zur Großmutter gemacht hat, ist mit einem Schotten verheiratet, die andere war schon die vergangenen beiden Jahren auf einem englischen Internat und studiert jetzt Musik in London. So ist das perfekt.“

Simone Young hingegen findet sich jetzt freischwebend wieder. Sie hat erst einmal keinen neuen Job angenommen. „Es reicht jetzt mit dem Deligieren, Budgetpläne genehmigen, selbst kürzen, was man sich vorher so freudvoll ausgedacht hat, ganz allgemein Verantwortung haben. Es war toll, ich habe diese nicht immer leichten zehn Jahre sehr genossen, und ich würde es – im gleichen Alter – unbedingt noch einmal genauso machen. Aber jetzt lasse ich sehr entspannt los. Das war mir auch schon vor fünf Jahren klar, als ich den Vertrag verlängert habe. Vor allem muss ich jetzt nicht mehr um fünf Uhr aufstehen, um in Ruhe meine Partituren zu studieren, bevor die andere Arbeit drankommt.“

Simone Young lebt eine sehr entspannte Weiblichkeit

Anders als viele ihrer männlichen Kollegen, Alphatierchen am Dirigentenpult allesamt, also erst einmal keine feste Verpflichtung für die 54-jährige Australierin, die ja vorher schon in gleicher Funktion für zwei Jahre in Sidney gewirkt hat und sich immer noch zu Gute halten kann, dass sie neben Marin Alshop die einzige Dirigentin ist, die sich im Mainstream des Klassikbetriebes wirklich durchgesetzt hat. Was aber kein Thema mehr für sie ist. Sie lebt gerade im Alltag in fließenden Issey-Miyake-Faltengewändern, Riemchensandalen und immer offenem Haar eine sehr entspannte Weiblichkeit.

So sitzt Simone Young jetzt auch in der Fördererlounge der Hamburgischen Staatsoper und stellt sachlich, fast zurückhaltend das Buch vor, das ihre Mitarbeiter als Chronik und Hinterlassenschaft dieser Dekade Hamburgischen Opern- und Musiklebens kompiliert haben. Und erinnert sich etwa an ihren ersten Opernbesuch mit 14 Jahren in Sidney, wo es sie als Schülerin gepackt und sie dann konsequent und früh erfolgreich ihren Weg ans Pult gegangen ist.

Talent zur Freundschaft als weibliche Dirigierqualtität

Gibt es nicht weibliche Dirigierqualitäten? „Durchsetzen müssen wir uns mit unserer Interpretation wie die Männer“, sagt sie, „vielleicht aber ein Talent zur Freundschaft?“ Ihr jedenfalls scheint das gegeben, denn obwohl sie ihre Gastiertätigkeiten stark reduziert hatte, Hamburg wirklich zum Lebens- und Arbeitsmittelpunkt gemacht hatte („nur zweimal im Jahr nach Australien, das musste sein, meine Eltern sind alt und die Kinder sollten den Kontakt zu den Verwandten auf keinen Fall verlieren“), kann Simone Young jetzt scheinbar bruchlos dort anknüpfen, wo sie aufgehört hatte.

„Ich werde mich in der Oper wieder in meinem alten, europäischen Wirkungsbereich zwischen Wien, München, Berlin bewegen. Dresden kommt neu hinzu, wo ich mich kommende Saison noch einmal mit ,Mathis der Maler’ beschäftigen darf, wie zu meinem Auftakt in Hamburg. Eine weitere Bindung habe ich inzwischen mit der Oper Zürich, wo mein alter Arbeitskumpan Andreas Homoki ja jetzt Intendant ist. Wir haben beide als Assistenten an der Oper Köln einst unsere erste professionelle Produktion gestemmt. Die Bande haben gehalten.“

Ich bin sehr zufrieden, einige bei uns wirklich abgespielte Repertoire-Klassiker wie ,Butterfly’, ,Carmen’, ,Traviata’ in einer zeitgenössischen und trotzdem gültigen Ästhetik erneuert zu haben
Simone Young, Hamburger Opernintendantin

Die Bande werden wohl auch mit Hamburg halten. „Kent Nagano, mein Nachfolger, möchte unbedingt, dass ich wieder komme. Mein Kalender wird wohl so ab 2018 dazu ja sagen.“ Jetzt möchte Simone Young erst mal mal auch ihre Konzertkarriere wieder etwas in Schwung bringen, vor allem in Amerika, China und Japan.

Kein Problem damit, jetzt nicht mehr das letztgültige Entscheidungsrecht zu haben, sich wieder unterordnen zu müssen? „Eigentlich nicht. Es ist natürlich zweischneidig. Man muss zwangsläufig Kompromisse machen, kann sich anderseits ganz auf die musikalische Seite konzentrieren. Wobei ich immer jemand war, dem die Szene, die Bühne wichtig war. Und wenn es geht, arbeite ich gern mit Sängern auch zwischendurch am Klavier, ich bin darin nicht sehr gut, aber man erreicht so viel schneller ein Ergebnis. Deswegen begleite ich auch gern mal Sänger bei Liederabenden, das ist ein intimer Moment der Zusammenarbeit vor Publikum, der ungemein wichtig für eine Beziehung ist. Auch wenn ich dafür ziemlich üben muss.“

Mit Wagner und Verdi zum Kritikerlob

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Fleißig war Simone Young in Hamburg. Fast 500 Auftritte listet die Buchchronik auf. War sie auch erfolgreich? Sie sieht es natürlich so. Verweist auf den Wagner-Schwerpunkt, gebündelt im Wagner-Jahr zum „Wagner-Wahn“, auf die einzigartige, in drei Wochen abgeschossene Trilogie früher Verdi-Opern, ebenfalls 2013, die ihr endlich auch überregional einhellig Kritikerlorbeer eingetragen hat.

„Ich bin sehr zufrieden, einige bei uns wirklich abgespielte Repertoire-Klassiker wie ,Butterfly’, ,Carmen’, ,Traviata’ in einer zeitgenössischen und trotzdem gültigen Ästhetik erneuert zu haben, bin durchaus stolz auf die Bemühungen mit Werken des 20. Jahrhunderts, insbesondere die Britten- und Janacék-Reihen. Wichtig war mit da Nachspielen jüngerer Opern wie Höllerers ,Der Meister und Magarita’, Brett Deans ,Bliss’ und Reimanns ,Lear’. Ich hätte freilich gern mehr große Uraufführungen herausgebracht, doch das war ein Finanzierungsproblem, obwohl auch im kleinen Rahmen Einiges gestemmt haben.“

Wir haben immer eine sehr gute Auslastung gehabt, die Resonanz des Publikums und der Politik war fast immer positiv. Wir sind international durchaus in den Medien vorgekommen.
Simone Young, Hamburger Opernintendantin

Warum fand das aber nicht die entsprechende Resonanz in der überregionalen Presse, ja warum unkte man sogar, die Hamburgische Staatsoper würde an Bedeutung verlieren? „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht“, gibt sich Simone Young kämpferisch, jetzt funkeln auch die Augen. „Wir haben immer eine sehr gute Auslastung gehabt, die Resonanz des Publikums und der Politik war fast immer positiv. Wir sind international durchaus in den Medien vorgekommen, haben trotz enger Finanzbedingungen, vier DVDs und eine Vielzahl von CDs herausgebracht. Es sind viele neue Regisseure hier vorgestellt worden, vielleicht nicht unbedingt die angesagten Lieblinge des Feuilletons. Um ich habe mich bemüht, die besten der elf Konwitschny-Inszenierungen etwa weiter im Repertoire zu halten, wie den ,Tristan’ der Berghaus oder den ,Fidelio’ von Hans Neuenfels. Ich selbst bin keine Bilderstürmerin, vielleicht habe ich deshalb oft nach Regisseuren gesucht, die das Publikum nicht überfallen, sondern mitnehmen? Ich finde, es hat sich ausgezahlt.“

War sie am eigenen Haus zu präsent? „Ich wollte mich kümmern, sichtbar sein, keine Frühstücksdirektorin, sondern wirklich Verantwortung tragen. Die Balance ist vielleicht schwierig, aber da bin ich konsequent“, meint sie. Ja, es gab zwischendurch mal eine in Buhrufen schon beim Reinkommen ans Pult sich manifestierende Kampagne von wenigen, ziemlich rüpelhaft Unzufriedenen. Aber Simone Young hat auch das durchgestanden.

Simone Young ist kompetent auf vielen Feldern

Vielleicht ist sie nicht die allergrößte Dirigentin, aber Simone Young ist kompetent auf vielen Feldern, eine Beherrscherin des Betriebs. Die braucht man immer mehr. (Selbsternannte) Stars gibt es genug. Und dann auch wieder sehr uneitel. Ihren Hamburger Abschied hat sie im Konzert bereits mit Franz Schmidts spätromantischem Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ genommen, das sie unbedingt mal wieder im deutschen Norden aufführen wollte.

Am 5. Juli folgt als Nachspiel noch ein vom Publikum zusammengestelltes Wunschkonzert. Und am Sonntag dirigiert sie mit „Simon Boccanegra“ aus ihrem zweiten Intendantenjahr eine vor allem von Dirigenten geschätzte alterweise Verdi-Oper. Dessen Partitur, sie wie so viele andere auch, im Faksimile oder sogar im Archiv-Original in Mailand oder Bayreuth studiert hat. „Das ist mir wichtig, man tritt so ganz anders in Kontakt mit dem Werk, wenn man die Originalnoten betrachtet.“ Danach ist Party für das frischernannte Ehrenmitglied des Hauses.

Wie sie jetzt geht? „Senza rancor“ – „ohne Reue“. So wie die Mimì in „La Bohème“ singt, „auch eine Frau, auf die man zweimal schauen muss“. Also ein wenig wie Simone Young. Weiblich, aber durchaus ihren Mann stehend.

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