Olivier Tambosi: „Im Gefängnis gibt es keine Windmühlen“

Szenenbild aus „Der Mann von La Mancha“.
Szenenbild aus „Der Mann von La Mancha“.(c) Barbara Palffy/Volksoper
  • Drucken

Olivier Tambosi inszeniert das Musical „Der Mann von La Mancha“ in der Volksoper – und will dabei „Theater mit den einfachsten Mitteln“ machen. Bei seinen Schauspielern schätzt er Kreativität und Eigenverantwortlichkeit.

Es ist eine Geburtstagsaufführung. Der Gefeierte heißt Don Quijote und ist, wiewohl berühmt als „Ritter von der traurigen Gestalt“, doch einer der Senioren unter den Integrationsfiguren der europäischen Geistesgeschichte. Als Musicalfigur ist er gerade erst 50 geworden. 1965 kam der „Mann von La Mancha“ am Broadway heraus – und erlebte en suite weit über 2000 Vorstellungen.

Drei Jahre später folgte die Erstaufführung im Theater an der Wien. Diese steht in den lokalen Annalen. Wer mit der jüngeren wienerischen Theaterhistorie auch nur einigermaßen vertraut ist, weiß vom Sensationserfolg, den Burgtheater-Star Josef Meinrad in der Titelrolle feierte. Wer nicht live bei einer der vielen Wiederholungen dabei war, hat zumindest Theater- und Musikfreunde davon schwärmen hören.

Seither gab es auch in Wien immer wieder Versuche mit dem „Mann von La Mancha“, zuletzt einen viel beachteten mit Karlheinz Hackl an der Volksoper. Damals gab der spätere Prinzipal des Hauses, Robert Meyer, den Sancho. Diesmal schlüpft Boris Pfeifer in diese Rolle. Denn Meyer ist, versteht sich, mittlerweile zum Don Quijote herangereift. Der Schauspieler/Direktor hat sich dafür eines Regisseurs versichert, der für ebenso frische wie energiegeladene szenische Deutungen altbekannter Werke steht: Olivier Tambosi.

Geboren in Paris, aufgewachsen in Wien – und sozusagen sozialisiert auf den Stehplätzen der Opern- und Konzerthäuser –, präsentiert sich Tambosi im Gespräch als Begeisterter, entflammt mit Haut und Haar fürs Musiktheater. Und da vor allem für die Oper, jedoch: Als das Musicalangebot der Volksoper hereinflatterte, hat er nicht lang überlegt. „Ich habe die originale Wiener Produktion nie gesehen, kenne sie aber aus dem Fernsehen. In das Stück hab' ich mich anlässlich einer Produktion in London geradezu verliebt. Es ist grandios. Die Autoren haben Cervantes in den Mittelpunkt gestellt und zeigen ihn in der schrecklichen Situation eines Verhörs bei der spanischen Inquisition.“

Damit bekomme die Geschichte, so Tambosi, einen überzeitlichen, immer aktuellen Aspekt, gleichgültig, ob es um „eine staatliche oder eine religiöse Diktatur geht. Es ist gut, ab und zu daran zu erinnern, dass auch religiöse Intoleranz nicht nur aus anderen Kulturen zu uns kommt.“ Theatralisch reizt den Regisseur nicht zuletzt, „dass Don Quijote im Stück von seinen Mitgefangenen ins Verhör genommen wird, und dass er sie verführen kann, mitzuspielen, wenn er ihnen seinen Roman erzählt.“ So entsteht Theater mit einfachsten, mit den ursprünglichsten Mitteln.

„Sie warten auf den Tod!“

Das hat, so weiß Tambosi, „bereits vor der Uraufführung dazu geführt, dass die Autoren mit dem Produktionsteam im Clinch lagen, weil sie sich alles verbeten haben, was Broadway-Inszenierungen so attraktiv fürs Publikum macht: Sie wollten nicht, dass da riesige Windmühlen hingebaut werden und eine spanische Landschaft mit Ziehbrunnen. Im Gefängnis gibt es das alles nicht.“

Was die Anforderungen an die Personenführung noch einmal steigert: „Es ist schlecht, wenn sich alle Gefängnisinsassen sichtlich in Profischauspieler verwandeln, sobald sie die ,Don Quijote‘-Szenen zur Aufführung bringen sollen. Das sind doch Menschen in einer Extremsituation. Sie warten auf den Tod, manche vielleicht ein paar Stunden lang, manche ein Leben lang in völliger Ungewissheit!“ Entsprechend „haben wir das Stück quasi ins Nichts gestellt und versuchen, die Kreativität aller anzustacheln: Wie können wir, ohne einen reichen Theaterfundus zur Verfügung zu haben, ein solches Stück spielen?“

Eigenverantwortlichkeit ist dem Regisseur Tambosi ohnehin ein Anliegen: „Ich habe schon viele – zugegeben, auch sehr gute – Produktionen gesehen, bei denen die Schauspieler letztlich alle wie Marionetten des Regisseurs agiert haben.“ Dergleichen mag er gar nicht, auch dann nicht, wenn es perfekt funktioniert. Im Gegenteil: „Wir lassen bei den Proben sogar Sachen weg, bei denen man merkt, dass sie ,inszeniert‘ wurden.“

Womit auch die Frage beantwortet wäre, wie schwierig es eigentlich ist, einen Publikumsliebling wie Robert Meyer, der noch dazu der Intendant des Hauses ist, zu „inszenieren“. Tambosi: „Man merkt während der Arbeit überhaupt nicht, dass er der Direktor ist. Er könnte genauso gut ein Gast am Haus sein. Und er ist natürlich fantastisch in dieser Rolle, in der er sein Talent, mit Sprache sehr viel machen zu können, voll ausleben kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.