Christian Spuck zeigt an der Deutschen Oper Wagners „Fliegenden Holländer“. Ein Interview.

Mitten im Premierenjubel auf der Bühne der Deutschen Oper, händehaltend mit Donald Runnicles, rief der Dirigent ihm zu: Wir machen zusammen den „Fliegenden Holländer“! Die Erfolgsgeschichte liegt jetzt drei Jahre zurück. Regisseur Christian Spuck, eigentlich Ballettchef an der Oper Zürich, hatte Berlioz’ „Fausts Verdammnis“ inszeniert. Aber dann hatte Spuck doch lange gezögert, ob er den „Holländer“ in Berlin machen will. Am heutigen Sonntag ist nun die große Wagner-Premiere an der Deutschen Oper.

Was ist für Sie der fliegende Holländer?

Christian Spuck: Er ist ein Geist aus einem Schauermärchen, das Wirklichkeit wird. Ich glaube nicht, dass er ein Mensch ist. Er ist eine Figur, die angetrieben wird durch die Sehnsucht nach Erlösung. Aufgrund eines Fluchs darf er nur alle sieben Jahre an Land gehen – in der Hoffnung endlich sterben zu können, wenn er eine Frau findet, die ihm treu ist. Er glaubt nach vielen gescheiterten Versuchen, dass Senta jetzt diejenige sein könnte, die ihn befreit. Das Thema ist Treue.

Wie weit haben Sie sich mit Richard Wagner auseinandergesetzt?

Ich habe gelesen, dass bei Wagner die Begegnung von Senta und Holländer schon die Vorwegnahme vom Liebestod sei. Da fängt es für mich an interessant zu werden. Ich kann darin keine Liebe sehen. Es ist vom Holländer ein ganz narzisstischer Vorgang, sich durch eine Frau zu befreien. Bei Senta trifft er auch auf einen narzisstischen Sehnsuchtsgedanken. Sie will sich aus der Enge der Spinnstubenwelt befreien. Zwei narzisstische Lebensentwürfe treffen aufeinander. Mit tragischem Ausgang.

Gehört Narzissmus nicht zum typischen Künstlerbild?

Ich glaube, dass Senta eher etwas von Künstlern hat als die Holländer-Figur. Aber verallgemeinern kann man das sowieso nicht. Jeder Künstler hat einen anderen Wunsch, der Welt zu entfliehen oder sich darin selbst zu erkennen. Beim Holländer bleibt es die Sehnsucht, sich von seinem Fluch der Unsterblichkeit zu befreien. Das ist der Motor.

Es ist Ihre sechste Opernproduktion, die zweite an der Deutschen Oper. Was machen Sie inzwischen anders?

Interessanterweise hilft mir die Opernerfahrung bei meinen Ballettproduktionen. Wenn ich hier mit einem fantastischen Solistenensemble zusammenarbeite, dann haben die Sänger bereits zehn oder zwölf „Holländer“-Produktionen hinter sich. Sie kennen die Oper in- und auswendig, sie kennen es besser als ich. Im Vergleich zu Tänzern stellen sie viel früher die Frage, wie ihre Figur angelegt ist. Sie fordern sofort einen Gestaltungsbogen ein. Ich weiß jetzt, dass ich auch die Tänzer früher abholen muss, damit sie mit mir gemeinsam ihre Rollen reflektieren.

Die Wagner-Oper verlangt von Ihnen etwas anderes als eine Choreografie?

Ja, es ist mehr eine schauspielerische Arbeit. Wobei ich schon sehr auf Körpersprache und Bewegung im Raum achte. Und manchmal ist es für die Sänger auch schwer mit mir, weil sie immer eine inhaltliche Begründung fordern, warum sie wann wo stehen sollen. Für mich ist manchmal wichtiger, eine Spannung im Körper zu erzeugen, die in der Musik vorhanden ist.

Welche Musik hören Sie selber privat?

Ich höre wahnsinnig gerne House Music und Techno. Ich mag diese Musik und empfinde sie als entspannend. Es ist ein Gegenpol, weil ich von morgens bis abends mit klassischer und zeitgenössischer Musik zu tun habe. Aber ich liebe klassische Musik und lasse mir in Zürich auch keine Opernpremiere entgehen. Dennoch gibt es nichts Schöneres, als mal mit elektronischer Musik im Kopfhörer durch Berlin zu laufen.

Sind Sie öfter in Berlin?

Ja, nicht nur wenn ich hier inszeniere. Ich mag Berlin sehr gerne.

In Berlin wird gerade viel über die Zukunft des Staatsballetts geredet. Die Tänzer mussten sich erst von der Oper emanzipieren. Aber jetzt, so sagt die künftige Ballettintendantin Sasha Waltz, müssen sie wieder mehr die Integration versuchen.

Bis in die 70er- Jahre waren die Ballettensembles oftmals nur da, um die Tanzeinlagen in den Opern und Operetten abzusichern. Daneben durften sie ab und an einen Ballettabend machen. Die Compagnien kämpften um ihre Eigenständigkeit. Mittlerweile bilden fast überall die Tänzer eine eigene Sparte. Ich glaube nicht, dass es um Integration geht. Wenn Choreografen geholt werden, um Oper zu machen, hat der Tanz eine ganz andere Bedeutung. Er ist keine Unterhaltungseinlage mehr. Wenn Sasha Waltz Opernproduktionen macht, dann hat der Tanz darin eine ganz andere Berechtigung.

Es wird in Berlin auch diskutiert, wie viel im Repertoire muss klassisch, wie viel modern sein?

Ich habe als Tänzer bei Rosas begonnen, das Ensemble war zeitgenössisch. Dann folgte das Stuttgarter Ballett, wo es immer den Brückenschlag zwischen klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz gab. Eine Compagnie muss heute diese Brücke leisten. Wenn ich in Zürich Tänzer engagiere, müssen sie im Klassischen genauso gut sein wie im Modernen. Die Kunst ist es, die Mischung aufrechtzuerhalten. Es ist schon schwierig, an einem Abend „Giselle“ und am nächste Tag eine Neukreation zu tanzen.

Weil das klassische Spezialistentum dabei verloren geht?

Nein, glaube ich nicht. Es kann sich sogar gegenseitig befruchten. Aber man muss sehr sorgfältig damit umgehen, weil der klassische Tanz sehr zerbrechlich ist. Der Körper muss exakt trainiert werden, das braucht eine unheimliche Kontinuität. Man kann nicht mal sechs Wochen nur zeitgenössisch tanzen, dann geht die klassische Brillanz sofort verloren.

Gibt es im zeitgenössischen Tanz noch unentdecktes Bewegungsvokabular. Oder ist es bereits abgeschlossen?

Nein, es ist wie in der Musik, es gibt immer wieder Neues, anderes zu entdecken. Wenn man etwas für abgeschlossen hält, ist die Tür zu. Damit nimmt man sich jede Utopie. Etwas neu zu erfinden, passiert nicht über Nacht. Es geht nicht darum, ein weiteres Bein oder einen Arm anzukleben, sondern das Vorhandene neu zu kombinieren.

Was erwartet das Publikum vom Ballett?

Das Züricher Publikum erwartet zuerst gute Unterhaltung. Es will emotional berührt werden. Es will nicht in Passivität versinken wie es bei der Unterhaltung im Fernsehen der Fall ist. Unser Publikum ist unheimlich wach und sucht die Reflexion. Menschen machen Geschichten über Menschen. Alle großen Stoffe leben von Konflikten. Das wird eingefordert.

Sie sind Ballettchef und als Opernregisseur unterwegs. Sind Sie mit 47 Jahren angekommen?

Wenn ich angekommen bin, dann kann ich auch aufhören. Ich freue mich, dass es in Zürich richtig gut läuft. Es war viel Arbeit. Ich muss in Zukunft etwas finden, was für meine Tänzer und mich eine Herausforderung darstellt. Ich schaue lieber auf das, was nicht funktioniert als auf das, was gut läuft. Der Zweifel ist immer aufregender als das Selbstlob.