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Bühne und Konzert Robert Carsen

Dies ist der eleganteste Opernregisseur der Welt

Leitender Feuilletonredakteur
epa03022444 A theater handout photo shows Robert Carsen, the Canadian director of 'Don Giovanni' during rehearsals at the Teatro alla Scala in Milan, Italy, 02 December 2011. EPA/TEATRO ALLA SCALA / HO HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES | epa03022444 A theater handout photo shows Robert Carsen, the Canadian director of 'Don Giovanni' during rehearsals at the Teatro alla Scala in Milan, Italy, 02 December 2011. EPA/TEATRO ALLA SCALA / HO HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES |
Der kanadische Opernregisseur Robert Carsen inszeniert an allen großen Theatern der Welt
Quelle: picture alliance / dpa
Mit Robert Carsen wird die queere Ästhetik der Komischen Oper zu Berlin komplett. Bisher fehlte ihr der hohe Ton, Melodrama, Eleganz, Edelschick. Das alles kommt jetzt mit Korngolds „Die tote Stadt“.

Als erstes komplimentiert er gleich mal die Pressedame raus. Eine reizende Person, keine Frage, jedoch überzählig. „Für ein persönliches Gespräch bin ich gern mit meinen Gesprächspartnern allein. Wenn noch jemand weiteres einfach nur zuhört, fühlt es sich für mich gleich an wie Theater: Wir spielen vor einem Publikum!”

Das nenne ich mal ein originelles Entrée. Und ein etwas ambivalentes, denn sofort schlussfolgert man ja: Also vor mir allein spielt der Herr nicht Theater? Ich bitte doch sehr um eine kleine Performance, wenn ich mich schon in dieses Haus bequeme.

Backstage ist die Komische Oper, diese wahrscheinlich orginellste Stätte aktuellen Musiktheaters in ganz Europa, nämlich nicht so doll. Immerhin verfügt sie hinter der Kantine noch über ein Extrazimmer, in dem man seine Ruhe hat, hausintern „Casino“ genannt.

Det is Berlin

Der international gefeierte Regisseur Robert Carsen, eben mit den Endproben zu der langerwarteten ersten Premiere in der neuen Speilzeit beschäftigt, kennt die Kemenate selbst noch nicht. „Casino?“ Ein wenig ungläubig schaut er sich in dem kahlen Raum um. Tja, det is Berlin: Von Billardstischen oder schummriger Spielhöllenatmo sind wir hier weit entfernt.

Überhaupt kann man die gut verborgene, aber dennoch zwischen den Zeilen ablauschbare Enttäuschung dieses grazilen, unglaublich jungenhaft aussehenden Mittsechzigers nachvollziehen, der den Pariser Schick gewohnt ist und nun mit Berliner Graubrot konfrontiert wird.

„Die tote Stadt“ heißt die Oper, die er hier gerade vorbereitet, in einer Gegend, in der Berlin sich selbst als eine solche tote Stadt darbietet, mit der runtergerockten Ödnis von Mitte und dem Carree zwischen Linden, Beerenstraße und der spießigen DDR-Architektur des Westin Grand Hotels.

Erich Wolfgang Korngold Die tote Stadt Oper in drei Bildern [1920] Musikalische Leitung: Ainārs Rubiķis Inszenierung: Robert Carsen Bühnenbild: Michael Levine Kostüme: Petra Reinhardt Choreographie: Rebecca Howell Dramaturgie: Maximilian Hagemeyer Chöre: David Cavelius Kinderchor: Dagmar Fiebach Licht: Robert Carsen, Peter van Praet Video: Will Duke Auf dem Bild: Aleš Briscein (Paul) im Video: Sara Jakubiak (Marietta) Foto: Iko Freese / drama-berlin.de Veröffentlichung bei Nennung des Fotografen/der Fotografin für ANKÜNDIGUNGEN der Produktion/Veranstaltung an der Komischen Oper Berlin honorarfrei. Reproductions for PROGRAM ANNOUNCEMENTS covering the production at the Komische Oper Berlin are free of charge, if the photographer is fully credited. Bitte ein Belegexemplar an/ Please send a copy to: Komische Oper Berlin Pressestelle Behrenstr. 55-57 10117 Berlin presse@komische-oper-berlin.de
Die Frau im Hintergrund überstrahlt alles: Szene aus der Oper "Die tote Stadt" von Erich Wolfgang Korngold an der Komischen Oper Berlin in der Regie von Robert Carsen
Quelle: Iko Freese / drama-berlin.de

Doch tapfer preist Robert Carsen die deutsche Hauptstadt als „Ort der Begegnung“, als „Laboratorium“, in dem „Vergangenheit und Gegenwart sich gegenseitig befruchten“.

Wo alles „noch immer im Werden“ zu sein scheint, während in Paris jedes Ding „die Würde selbstbewusster, althergebrachter Pracht“ vor sich hertrage. Verglichen damit komme ihm Berlin „erfrischend“ vor.

Stylishe Inszenierungen

Nun muss man allerdings gleich sagen, dass der Kanadier, der seine größten Triumphe in der französischen Hauptstadt gefeiert hat, aber auch in Salzburg, Wien, München groß herausgekommen ist, nicht zum ersten Mal in Berlin arbeitet.

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Vor allem seine stylishe Inszenierung der Strauss’schen „Ariadne“ an der Deutschen Oper setzte vor zehn Jahren neue Maßstäbe in raffiniertem Psychologismus. Mit den Mitteln der Lichtregie wusste Carsen maximale Effekte von berührender Schicksalshaftigkeit vor allem in der Zeichnung der Ariadne herauszuholen.

Der von links einfallende Schein als Schockelement, aber auch als Verbindung mit dem transzendenten „Au-delà“, das war in der „Ariadne auf Naxos“ so ein prägendes Stilelement, wie es in seiner legendären „Capriccio“-Aufführung in der Pariser Salle Garnier die Showtreppe war.

Charismatische Frauenfiguren

Auf ihr stellt sich Madeleine im Hinuntersteigen die Fragen nach dem Vorrang der Musik vor der Literatur oder umgekehrt. Mit jeder Stufe abwärts gewann Renée Fleming in der Titelpartie mehr Klarheit: weiblicher Selbstgenuss als erkenntnisfördernder Prozess.

Nun hat der Regisseur wieder so eine charismatische Frauenfigur am Wickel, denn „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, die man immer gern als Drama eines Mannes inszeniert, der sich innerlich von seiner gestorbenen Frau nicht trennen kann und sich in einer „Kathedrale des Gewesenen“ einrichtet, interessiert Carsen eher wegen der Doppelrolle der „reinen Magd“ Marie, die der Held Paul in der quirlingen Tänzerin Marietta wiederkehren sieht.

Prächtiger Pathologenadel

„Natürlich ist auch Paul eine wahnsinnig spannende Figur“, fängt der anfänglich etwas abgespannte wirkende Regisseur jetzt Feuer, „Korngold hat ihm ja so ziemlich alle Psychosen der Epoche mitgegeben, die Paranoia, die Schizophrenie, kurzum den ganzen prächtig ausgeprägten Pathologenadel Sigmund Freud’scher Provenienz.“

Aber das eigentliche Geheimnis dieses gewaltigen Melodrams sei, sagt er, doch Marie/Marietta. „Wir erleben sie sowohl in der Vorlage zur Oper, Rodenbachs Roman ,Bruges la Morte’, als auch in der Adaption Korngolds vor allem als Männerfantasie, als Projektionsfläche. Aber sie hat natürlich auch ihr Leben, ihre eigene Persönlichkeit.“

Erich Wolfgang Korngold Die tote Stadt Oper in drei Bildern [1920] Musikalische Leitung: Ainārs Rubiķis Inszenierung: Robert Carsen Bühnenbild: Michael Levine Kostüme: Petra Reinhardt Choreographie: Rebecca Howell Dramaturgie: Maximilian Hagemeyer Chöre: David Cavelius Kinderchor: Dagmar Fiebach Licht: Robert Carsen, Peter van Praet Video: Will Duke Auf dem Bild: Sara Jakubiak (Marietta) und Ensemble Foto: Iko Freese / drama-berlin.de Veröffentlichung bei Nennung des Fotografen/der Fotografin für ANKÜNDIGUNGEN der Produktion/Veranstaltung an der Komischen Oper Berlin honorarfrei. Reproductions for PROGRAM ANNOUNCEMENTS covering the production at the Komische Oper Berlin are free of charge, if the photographer is fully credited. Bitte ein Belegexemplar an/ Please send a copy to: Komische Oper Berlin Pressestelle Behrenstr. 55-57 10117 Berlin presse@komische-oper-berlin.de
Alle huldigen Marietta (Sara Jakubiak). Szenenbild aus der Oper "Die tote Stadt" von Erich Wolfgang Korngold an der Komischen Oper Berlin in der Inszenierung von Robert Carsen
Quelle: Iko Freese / drama-berlin.de

Das weibliche Ich hinter der Rolle, die Rolle als weibliches Ich, kurzum das Changieren von Identität zwischen Selbstsein und Zuschreibung, das ist es, was Robert Carsen produktiv macht. Ungewöhnlich gebildet und umfänglich interessiert für einen Opernregisseur, greift er dabei hin und wieder auch in die reale Historie oder in die Kulturgeschichte aus.

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Seine Pariser Ausstellungen über die ungeliebte französische Königin Marine Antoinette („l’ Autrichienne“), aber auch über „Impressionismus und Mode“, „Gartenkunst von Monet bis Matisse“ oder die Sängerin und Schwulenikone Dalida darf man auch als gewaltige Tiefbohrung verstehen, was den Zauber weiblicher Lebenswelten angeht.

Und auch das nächste Projekt, das Carsen im kommenden Frühjahr erneut nach Berlin führen wird, an die Deutsche Oper dieses Mal, wird sich abermals mit einer Frauenfigur befassen, deren Oberflächenschönheit nur notdürftig die eigenen Qualen zu kaschieren vermag.

„Ozeane von Perceval“ (nach einem unvollendeten Roman von Theodor Fontane) lautet der Titel dieser zeitgenössischen Oper von Detlev Glanert, die im Motiv der Melusine, also der Meerjungfrau, die von irdischer Liebe ins Menschentum erlöst werden will, ein weiteres Mal das Drama der durch den Mann definierten und behinderten Frau durchspielen wird. Denn darum kreist das kreative Zentrum Robert Carsens.

Immer schön crazy bleiben

Damit eränzen sich die Anliegen Robet Carsens und Barrie Koskys auf das Schönste. Kosky, dem jetzt, nach der Wiederaufnahme seiner „Meistersinger“-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen, auch der verstockteste Walt-Wagnerianer konzedieren muss, dass er die wohl temperamentvollste, witzigste Lesart dieser Oper in ihrer 165-jährigen Aufführungsgeschichte vorgelegt hat, Kosky also steht für das Komödiantische, fürs Groteske, auch das Grand Guignol.

Natürlich kann er dazu noch Ausstattungsrevue und Sophistication der Operette. Doch hat das alles immer einen Drall ins Grelle, Schrille, wovon ja auch sein Faible für Kleinkunst-Komödianten wie die Geschwister Pfister zeugt, solange sie nur schön crazy sind.

Canadian opera director Robert Carsen poses for a photo Tuesday April 26, 2011 inside the lobby of the Four Seasons Centre. Carsen is making a long-awaited return to Toronto for Sunday's opening of Gluck Orfeo e Euridice. Tara Walton/ Toronto Star (Photo by Tara Walton/Toronto Star via Getty Images)
Demnächst auch wieder an der Deutschen Oper Berlin beschäftigt, mit der Uraufführung von Detlev Glanerts Oper "Ozeane von Perceval" nach Motiven von Theodorf Fontane: Robert Carsen
Quelle: Tara Walton/Toronto Star via Getty Images

Was Kosky bislang fehlte, um die ganze Bandbreite queerer und diverser Ästhetik auszumessen, ist in der Tat der hohe Ton, das Melodrama, die Eleganz, ein Edelschick, der selbstredend auch zum schwulen Kosmos gehört, auch wenn sich das im proletaroiden Berlin noch nicht herumgesprochen haben sollte.

Für diesen Touch, der jetzt zum ersten Mal und nicht von ungefähr mit dem ganz großen Spätromantik-Seelendama „Die tote Stadt“ an diesem Haus seine schweren Fittiche ausbreitet, steht Robert Carsen.

Erst mit diesem Meister des Melodram ist die berlinische Dramaturgie an der Komischen Oper komplett. Möge die Zusammenarbeit von Kosky und Carsen noch viele Folgen zeitigen.

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