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Bühne und Konzert Wiener Opern-Uraufführung

„Unsere aktuelle Gesellschaft lehrt uns das Gruseln“

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Der Dichter und der Komponist: Durs Grünbein (l.) neben Johannes Maria Staud Der Dichter und der Komponist: Durs Grünbein (l.) neben Johannes Maria Staud
Der Dichter und der Komponist: Durs Grünbein (l.) neben Johannes Maria Staud
Quelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Ein Paar wie Strauss und Hofmannsthal? Der Komponist Johannes Maria Staud und der Lyriker Durs Grünbein haben für die Wiener Staatsoper eine Oper geschrieben. Es geht um das zerrissene Europa von heute.

An der Wiener Staatsoper gibt es am 8. Dezember nach langen Jahren wieder eine große Uraufführung. In ihrer dritten gemeinsamen Musiktheaterarbeit „Die Weiden“ beschäftigen sich Durs Grünbein und Johannes Maria Staud nach Vorlagen von Algernon Blackwood, Joseph Conrad und Howard Phillips Lovecraft mit einer, so Grünbein, „Expedition in das Herz Europas, eines neuerdings wieder zerrissenen Kontinents“. Zwei Paare werden die Rückkehr in ein östliches Land nicht überleben, die Flut steigt, die Natur ist auf dem Vormarsch. Wir haben beide Autoren zu ihrem Werk befragt.

WELT: Wieso glauben Sie noch an die Oper?

Johannes Maria Staud: Weil es für mich immer noch die perfekte Form ist, Musik, Gesang und Szene zusammenzubringen. Es gibt kein Genre, das emotional mehr berührt. Deswegen traue ich mich inzwischen auch als gebranntes Kind der Postmoderne, Melodien zu schreiben, denn das kann ich.

Durs Grünbein: Die Oper geht weniger mit dem Wort um. Die Sprache zerreißt das Wort, die Oper hebt es auf.

WELT: Aber ist das nicht gerade für Sie als Lyriker ein Widerspruch, sich mit einer für gewaltige Räume gedachten Kunstform zu beschäftigen?

Grünbein: Ich bin immer wieder berührt, wie zart und konzentriert sie aber auch sein kann. Außerdem schätze ich diese Struktur. Das Prinzip Chor zum Beispiel, wie setze ich den ein? Da gibt es nicht selten etwas Balladenhaftes. Das ganze poetische Register der abendländischen Dichtung lässt sich sehr gut auf eine Libretto-Situation anwenden.

Staud: Und da komme ich dann als Komponist dazu, mir ist diese Entstehung von etwas Gemeinsamem wichtig. Ich sage, was ich noch brauche, wir ringen darum, er kommentiert meine musikalische Empfindung, dieser Austausch ist toll. Hoffentlich entsteht etwas Neues, nicht nur ein Rückgriff.

WELT: Herr Staud, sind Sie wirklich so pingelig wie Verdi, der von seinen Librettisten hier noch acht Takte, da eine Zeile forderte?

Staud: Unbedingt! Ich bin recht unbequem in so einer Arbeitssituation, fordere vehement. Aber das hat dann immer Diskussionen zur Folge. Und das ist der Input, den ich hier brauche und bekomme. Sonst ist Komponieren ja eine sehr einsame Arbeit.

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WELT: Wie haben Sie sich eigentlich gefunden?

Grünbein: Wir sind 2003 vom damaligen Leiter des Berliner Musikfestes, André Hebbelinck, verkuppelt worden. Und das hat funktioniert. Heute, nach unserer dritten Oper, sehen uns viele schon als Fortsetzung des Duos Hofmannsthal/Strauss, was uns amüsiert, aber so ganz von der Hand zu weisen ist es auch nicht! Wir sind einander vorgestellt worden und eine halbe Stunde später waren wir im Arbeitsgespräch.

Schlaglichter einer Uraufführung

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Staud: Obwohl mir, so rein stilistisch, Brecht/Weill lieber wäre. Was ich aber schön finde, es gibt zwischen uns absolutes Vertrauen, aber auch unnachgiebige Kritik.

Grünbein: Obwohl wir selten wissen, wo es gemeinsam hingeht. Wir gehen inzwischen sehr bewusst ins Offene, aber wir können inzwischen darauf setzen, dass uns zusammen etwas einfällt. Deshalb sind wir bereits am Reden über ein viertes Projekt.

WELT: Wagt man beim dritten Mal mehr Abenteuer?

Staud: Wir versuchen jedenfalls immer, etwas zu machen, was wir vorher noch nicht riskiert haben. Und diesmal sollte es ein Stoff sein, der bis in die Gegenwart reicht.

Grünbein: Zunächst wollten wir uns mit etwas Natur-Unheimlichem beschäftigen, bald aber landeten wir damit in unserer aktuellen gesellschaftlichen Situation. Die lehrte uns nämlich viel mehr das Gruseln. Wir hatten dann nur die Schwierigkeit, solches in eine Oper zu transformieren, denn wir wollten ja nicht nur für den Tag schreiben, dafür ist der Entstehungsprozess eh zu langsam. Aber es sollte ein Zeitdokument werden, das man möglicherweise auch noch in 100 Jahren als solches begreift und rezipiert. So das Ideal.

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WELT: Herr Staud, Sie haben als Österreicher an der Wiener Staatsoper einerseits ein Heimspiel, müssen sich aber auch mit einer besonders traditionsbelasteten Institution auseinandersetzen. Wie geht das?

Staud: Ich bekomme hier tolle Qualität, das ist ein Jackpot, ich habe wirklich großartige Sänger. Das Haus hat mir ermöglicht, hier erstmals mit Elektronik zu arbeiten, was ich ja schon länger mache. Man war sehr kooperativ, hat sich auch von dem Thema nicht abschrecken lassen, alle ziehen mit. Die Bitte der Direktion war nur, eine Oper mit einer erkennbaren Fabel zu kreieren. Damit hat man bei uns offene Türen eingerannt.

WELT: Ein Tiroler und ein Sachse schreiben eine politische Oper für Wien, in der es um den Rechtsruck geht.

Grünbein: Überall gibt es diese symbolischen Plätze, in Wien ist es der Heldenplatz, in Dresden der Theaterplatz. Mit guten wie schlechten Erinnerungen. Ich bin da ja auch in so einen Strudel geraten, man wird schnell von den Medien positioniert, auch wenn man es selbst noch gar nicht gemerkt hat. Ich möchte nicht immer wieder für die Sachsen sprechen, aber eine gewissen Renitenz, egal welcher politischen Farbe, scheint hier doch im Charakter zu liegen. Und wenn man viele Dinge vor der eigenen Haustür erlebt, dann fallen sie einem natürlich auch im Nachbarland Österreich auf. Natürlich hat so unser beider Herkunft die inhaltliche Zuspitzung verschuldet. Ich lasse mich aber ungern in ein Lager drängen. Ich bin ein Beobachter gesellschaftlicher Prozesse.

Szenenfotos: Rachel Frenkel (Lea), Tomasz Konieczny (Peter), Andrea Carroll (Kitty), Thomas Ebenstein (Edgar), Sylvie Rohrer (Fernsehreporterin), Udo Samel (Krachmeyer), Monika Bohinec (Leas Mutter), Herbert Lippert (Leas Vater), Wolfgang Bankl (Demagoge) Die Fotos können bei Angabe der Credits kostenlos für aktuelle redaktionelle Berichterstattung verwendet werden. Credits: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Kein Mythos, eine Fabel von heute: Szene aus "Die Weiden" an der Wiener Staatsoper
Quelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WELT: Aber wird man da nicht gerade in Österreich als Piefke kritisiert?

Grünbein: Ich zeige ja nicht mit dem Finger auf die gegenwärtige Nationalregierung, das wäre zu einfach. Und wenn ich da eine Figur habe wie den demagogischen Komponisten Krachmeyer, dann lasse ich den auf opernhafte Weise agieren. Ein Typus, der findet sich hier wie da. Ich will nicht despektierlich sein, höchstens satirisch. Das ist ein uraltes Bühnenmittel.

WELT: Wolfgang Rihm hat mir mal gesagt, er schreibe am liebsten Opern über mythische Dinge, das werde nie unmodern. Sie machen das Gegenteil!

Grünbein: Das war bewusst unser Ausgangspunkt.

Staud: Auch Puccini war sehr zeitgenössisch, nur hat er es geschafft, dass er auch heute noch gern gehört wird. Oder denken Sie an Beethovens „Fidelio“. Das Freiheitsthema ist immer aktuell. Das waren für uns Vorbilder.

Grünbein: Ich finde die Oper ja eher jung, wenn ich sehe, mit was für uralten Formvorlagen ich sonst umgehe. Und in den viel gespielten Opern erlebt man, wie gegenwärtig die Präsenz eines Repertoires noch ist.

WELT: Erreichen Sie aber nun im Opernhaus jene, die sie eigentlich mit den „Weiden“ ansprechen wollen?

Grünbein: Gesellschaftliche Multiplikationsrelevanz sollte man der Kunst nicht absprechen. In der Wiener Staatsoper finden Führungen statt, hier wird dauernd fotografiert. Und nun findet Aktualität statt. Ich hoffe doch, dass dies auch von denen, die hier nur Historie suchen, bemerkt wird.

WELT: Rechnen Sie mit Widerspruch?

Staud: Darüber denke ich nicht nach. Ich hoffe nur, dass man sich mit dem Gehörten und Gesehenen beschäftigt. Hinterher darf man Bravo schreien oder Buh.

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