Späte Rückkehr: Harry Kupfer inszeniert nach 17 Jahren wieder an der Komischen Oper. Ein Gespräch bei den Proben zu Händels „Poros“

Mit Brittens Kammeroper „The Turn of the Screw“ hatte sich Harry Kupfer als langjähriger Chefregisseur von der Komischen Oper verabschiedet. Nach nunmehr 17 Jahren ist er an die Behrenstraße zurückgekehrt. Am heutigen Sonnabend hat seine Inszenierung von Händels Barockoper „Poros“ Premiere. Ein Gespräch am Rande der Proben.

Herr Kupfer, warum haben Sie mit Ihrer Rückkehr ans Haus so lange gezögert?

Harry Kupfer: Ich habe nicht gezögert. Es ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Wenn man mich will, muss man fragen. Intendant Barrie Kosky hat es getan und jetzt bin ich da. Ich fühle mich hier sauwohl. Das Haus funktioniert, man hat keine Querelen mit der Intendanz. Ich dachte, ich bin gestern weggegangen und komme heute wieder.

Waren Sie denn als Zuschauer mal in der Komischen Oper?

Ja, ich besuche regelmäßig Vorstellungen. Mit Kosky ist das Haus wieder nach vorne gegangen. Bei seinem Vorgänger Andreas Homoki lagen die Auslastungen bei 50 Prozent, jetzt ist das Haus voll. Koskys Spielplanpolitik ist genau richtig, die Platzierung zwischen den beiden großen Opernhäusern. Er hat verstanden, dass es in Berlin nicht um Konkurrenz geht, sondern darum, etwas Spezifisches für dieses Haus zuzulassen. Nennen wir es die leichte Muse.

Wie verliefen Ihre Gespräche mit Kosky?

Er hat mir freie Stückwahl gelassen. Ich habe ihm gesagt, dass ich gerne Händel machen möchte. Oper kostet ja immer viel Geld. In jedem Theater erlebe ich immer wieder, dass etwas zu teuer ist und man soll deshalb Abstriche machen. Hier lief es wunderbar.

Was hat sich für Sie am Haus am meisten verändert?

Der künstlerische Zeitgeschmack, Produktionen müssen heute moderner sein. Was aber nicht mit modisch zu verwechseln ist. Am Hause habe ich fast nur Koskys Inszenierungen gesehen, der Rest hat mich weniger interessiert. Koskys Sichtweisen unterscheiden sich deutlich von meinen, aber das ist gut so. Die Erde hat sich weitergedreht. Hauptsache, es werden keinen Maschen abgezogen.

Wie nehmen Sie die Berliner Opernsituation insgesamt wahr?

Wenn ich mich dazu äußere, werde ich morgen erschlagen. Diese Mätzchen, die manchmal in den beiden großen Opernhäusern gemacht werden, dazu möchte ich nichts sagen. Es gibt hervorragende Produktionen, aber eine „Entführung“ mit Mähdrescher auf der Bühne oder dass Sänger nur noch durch Löcher einer Dekoration gucken, dafür habe ich kein Verständnis. Zu meiner Zeit war das Gefälle der einzelnen Produktionen in den Häusern noch nicht so groß.

Händels „Poros“ haben Sie erstmals als Regieassistent in Halle kennengelernt. Was ist von diesen Jugenderfahrungen in Ihre Neuinszenierung eingeflossen?

Damals habe ich gelernt, wie man mit den als statuarisch verschrieenen Opern umgeht. Man kann sie lebendig machen. In Halle wurden die Barockopern damals fast wie Operetten bejubelt, es gehörte zur großen Händel-Renaissance. Man begann den Unterschied zwischen Rezitativen, die die Handlung vorantreiben, und Arien, in denen die emotionale Haltung zur jeweiligen Situation ausgesungen wird, aufzuheben. Die Arien wurden durchtextiert und nicht mehr Textzeilen fünfmal wiederholt. Das Modell haben wir jetzt übernommen. Wir haben eine neue deutschsprachige Fassung der Wiener Autorin Susanne Felicitas Wolf.

Wird die Oper nicht dadurch verändert?

Die Musik bleibt unangetastet. Es verändert sich nichts, außer das die Texte für den Zuhörer besser verständlich werden, was gerade bei den hohen Sopranen immer ein Problem ist. Auch als Regisseur hat man es etwas leichter.

Auf der Bühne ist jetzt die Union Flag zu sehen. Erzählen Sie den Indienfeldzug des antiken Eroberers Alexander des Großen etwa als britisches Kolonialstück?

Das Stück ist 1731 in London uraufgeführt worden. Es war auch der Beginn der Ostindien-Kompanie, die durch Handel, Bestechung und Korruption langsam den indischen Kontinent eroberte. Also passt das Stück da genau hin. Man muss nichts verändern, es wird lediglich nicht mehr über Schwerter und Helme geredet. Die Oper beschreibt den Beginn der Kolonialisierung Indiens. Man kann Parallelen zum Heute ziehen. Aber das muss man dem Publikum nicht ums Maul schmieren. Das ergibt sich aus der Handlung.

Was sind Alexander, Poros und die verführerische Mahamaya in Ihrer Inszenierung?

Poros und Mahamaya ist ein Königspaar zweier indischer Kleinreiche. Und wie in einer Barockoper üblich steht die Liebesgeschichte im Zentrum. Er ist ein eifersüchtiger König, der die Klugheit seiner Frau nicht begreift und immer wieder alles, was sie auf diplomatische Weise mit den Eroberern versucht hinzubekommen, in seiner Eifersucht kaputt macht. Der britische Diplomat, der bei uns Sir Alexander heißt und die Ostindien-Kompanie anführt, versucht mit sanfter Gewalt und Schläue, über den Handel Verbindungen zu den Großen des indisches Reiches zu knüpfen. Später wird die britische Kolonialmacht das Sagen übernehmen.

Was ist Ihre Lieblingsfigur im Stück?

Eigentlich die Mahamaya, weil sie eine unglaubliche Persönlichkeit ist. Sie ist eine weiche, liebende Frau. Ich mag den Feminismus nicht, ich mag Frauen, die sich zu ihrem Frausein bekennen und daraus ihre Stärke gewinnen.

Sie sind inzwischen 83 Jahre alt. Wie halten Sie als Regisseur das durch?

Mit meinen gesundheitlichen Problemen, die jeder in meinem Alter hat, versuche ich vernünftig zu leben. Ich habe gute Ärzte. Wichtig ist, dass ich Proben gut durchhalten kann. Damit habe ich im Moment keine Schwierigkeiten.

Sie planen immer zwei bis drei Jahre voraus, haben Sie einmal gesagt?

Das mache ich nicht mehr. Maximal zwei Jahre und mit der Ankündigung, dass wir es noch ein bisschen offen lassen. Ich möchte kein Theater in Schwierigkeiten bringen, weil ich ausfalle und es zu spät für einen Ersatz ist.

Die Komische Oper soll ab 2022 aufwändig saniert werden. Halten Sie das aus Ihrer Probenerfahrung heraus für notwendig?

Aber ja. Man schaue nur auf die brüchige Decke im Zuschauerraum, die abgespannt ist, weil bereits Putz runterkommt. Es gilt, das Haus in seiner alten Schönheit zu erhalten. Ich würde mir auch wünschen, dass der Denkmalschutz eingreift und das schwarz verhunzte Bar-Foyer wieder in den hellen lichten Aufgang zurückbauen lässt.