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Dirigentin Joana Mallwitz: „Salzburg ist das Glückspaket“

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„Es ist ein wichtiges Zeichen, diese Produktion herauszubringen“: Joana Mallwitz (34), Nürnberger Generalmusikdirektorin.
„Es ist ein wichtiges Zeichen, diese Produktion herauszubringen“: Joana Mallwitz (34), Nürnberger Generalmusikdirektorin. © Foto: Barbara Gindl/dpa

„Wir feiern es, dass wieder gespielt wird“, sagt Joana Mallwitz. In Salzburg debütiert die gerade heftig gehypte Dirigentin mit Mozarts „Così“.

Salzburg - Nur zwei Opern haben es ins Pandemie-Programm der Salzburger Festspiele geschafft, die heuer 100. Geburtstag feiern: „Elektra“ von Richard Strauss und „Così fan tutte“. Mit der Mozart-Oper debütiert Joana Mallwitz, Nürnbergs Generalmusikdirektorin, im Großen Festspielhaus. Premiere der Corona-bedingt gekürzten Fassung ist am 2. August, dem zweiten Festivaltag. Eine besondere Ehre – und ein angemessenes Engagement. Die 34-Jährige gehört gerade zu den aufregendsten Pult-Persönlichkeiten,

Bei welcher „Così“-Nummer sagten Sie: Die darf keinesfalls gestrichen werden?

Mallwitz: Erst einmal bei allen. (Lacht.) Regisseur Christof Loy und ich mussten schnell Entscheidungen treffen. Wir saßen zwei Tage und eine Nacht am Telefon, jeder mit seiner Partitur – und mit der Stoppuhr. Wir mussten ja auf etwa zwei Stunden, zehn Minuten kommen. Irgendwann dachten wir uns: Wir sollten nicht daran denken, was alles gestrichen werden kann. Wir sollten vielmehr versuchen, möglichst viel von Mozarts Geist in diese Version zu bekommen. Abgesehen davon wurde „Così“ zu Mozarts Zeiten wahrscheinlich nie komplett gespielt. Es gab für jeden Ort und jede Besetzung eine Fassung. Ich bin mir sicher, dass es Mozart auch in diesem Jahr in Salzburg geschafft hätte, „Così“ auf die Bühne zu bringen. Er war ein unglaublicher Praktiker und Pragmatiker. Das tröstet.

Sind Sie pragmatischer geworden in den vergangenen Jahren? Ein wenig weg vom Idealismus?

Mallwitz: Ich würde eher sagen, es verhält sich anders herum. Je besser die Bedingungen sind – in Salzburg ist es ja wirklich das absolute Glückspaket –, desto mehr kann man wagen und idealistisch sein.

Wie realistisch ist diese Verwechslungskomödie mit dem brutalen Frauentausch? Oder ist es „nur“ eine abstrakte Angelegenheit, die Vorführung eines Liebes-Labors?

Mallwitz: Diese vom Realismus gesteuerten Fragen à la „Warum erkennen die Frauen ihre verkleideten Männer nicht?“ stellen sich für mich nicht. Ich denke, dieses Stück ist ein Extrakt aller Dinge, mit denen ein Mensch im Laufe einer Beziehung konfrontiert wird, die nicht unbedingt eine Partnerschaft sein muss. Verliebtheit, Verletztsein, Verwechseln der Gefühle und so weiter. Und deshalb ist „Così“ vielleicht viel zeitloser als andere Mozart-Opern.

Welche Rolle spielt im Probenprozess die Corona-Zeit? Arbeitet man mit einem anderen Ethos, weil man alles unbedingt durchbringen will?

Mallwitz: Es fühlt sich schon besonders an. Noch überwiegt die Freude, dieses Stück erarbeiten zu können, gegenüber der Aufregung. Es ist so ein schönes und wichtiges Zeichen, die Produktion herauszubringen. Was es für mich so besonders macht: Ich ziehe mich in einer Vorbereitungsphase normalerweise immer sehr auf mich und das Stück zurück. In Salzburg gehört dies gerade automatisch zum Proben-Prozess dazu, was auch an fehlenden Kontakten zur Außenwelt liegt. Man tut, sieht und fühlt nichts anderes. Eine Extrem-Konzentration, die man sich eigentlich immer wünscht. Das ist auch eine Art Glück.

Wie begegnen Sie der Situation, dass Ihnen mit den Wiener Philharmonikern ein Orchester gegenübersitzt, das sich als natürliche Autorität bei Mozart versteht?

Mallwitz: Mit diesem Orchester, das ein solches Wissen und eine solche Klangschönheit besitzt, an der „Così“ arbeiten zu dürfen, ist ein großes Geschenk. Ich habe keine Sorge, dass es nicht die größtmögliche Offenheit geben wird. Natürlich habe ich genaue Vorstellungen, bin aber eher neugierig darauf, wie das Orchester diese mit seinem Klang füllt. Ich möchte einen frechen, musikantischen Mozart, der aber mit echtem Cantabile gespielt wird und sich immer am Ausdruck der Sänger orientiert. Und all das wird mit jedem Orchester und mit jedem Solisten anders klingen.

Im vergangenen Jahr ist für Sie viel passiert. Von zwei Magazinen zur „Dirigentin des Jahres“ gewählt, viele Artikel und noch mehr Aufmerksamkeit: Was hat das mit Ihnen gemacht? Müssen Sie sich und der Umwelt jetzt noch mehr beweisen?

Mallwitz: Natürlich habe ich das alles wahrgenommen. Und mittlerweile habe ich Hilfe, weil ich es allein nicht schaffe, zum Beispiel Interview-Anfragen zu koordinieren. Bis zum Corona-Lockdown habe ich extrem unterschiedliche Produktionen dirigiert, bei denen es auch mal Kämpfe gab, also eine ganz normale Saison mit all ihren Höhen und Tiefen. Nach wie vor bin ich am Staatstheater Nürnberg gerne zu Hause und werde da auch die nächsten Jahre bleiben. Gut, jetzt schaut alles auf diese so besondere „Così“. In all dem muss man sich wie immer aufs Neue beweisen – von daher hat sich eigentlich nicht so viel geändert.

Mozart in Salzburg, Debüt, Festspiele, eine von nur zwei Opernproduktionen: Was ist das für ein Druck?

Mallwitz: Interessanterweise spüre ich den noch gar nicht so. Vielleicht, weil ich es selbst noch nicht richtig fassen kann. Es geht gerade vor allem darum, dass mit Blick auf Corona wirklich nichts passieren darf. Trotzdem überwiegt die Freude darüber, dass es überhaupt stattfindet. Alle, auch das Publikum, bewegt doch das Gefühl: endlich wieder Mozart und Strauss! Es wird endlich wieder Live-Musik gemacht und nicht, wenn auch zwangsweise, das Internet überschwemmt. Wir feiern es, dass wieder gespielt wird.

Sie haben in Nürnberg viele „Corona-Formate“ entwickelt. Ab wann war das möglich, wann hatten Sie den Lockdown-Frust überwunden?

Mallwitz: Am Tag des Lockdowns sollte ich an der Bayerischen Staatsoper ein Akademiekonzert dirigieren. Als dies nur wenige Stunden zuvor abgesagt wurde, war das ein extremer Schock. Doch bald war da die Erkenntnis: Wir müssen jetzt was tun. Mir war klar: Jetzt ist für mich Nürnberg-Zeit, weil ich dort GMD bin. Also haben wir zum Beispiel eine Video-Produktion über Beethovens siebte Symphonie mit einem sehr großen Aufwand erstellt. Oder Wandelkonzerte angeboten, mit denen wir durchs Theater geführt haben. Wenn wir in der Corona-Zeit mit digitalen Formaten experimentieren, so der Gedanke, dann darf das nicht als Ersatz fürs Live-Konzert verstanden werden. Es sollte vielmehr die Menschen neugierig auf ein Konzert machen! Außerdem finde ich es zu wenig, in diesen Zeiten für 50 Besucher einfach ein Klavier auf die Bühne zu stellen und jemanden etwas singen zu lassen. Aus der besonderen Situation etwas Neues schaffen, darum geht es.

Es gibt viele Künstler, die sich in extremer finanzieller Not befinden. Andere, vor allem Festangestellte, haben den Lockdown und die Vollbremsung auch genossen. Konnten Sie zwischendurch loslassen?

Mallwitz: Als GMD in Nürnberg habe ich eine subventionierte Stelle und bin verantwortlich fürs Orchester und dafür, was mit dem Haus passiert. Ich durfte mich also nicht ins Private zurückziehen. In diesen Monaten gab es eine neue Art von Stress. Ich habe manchmal von acht Uhr morgens bis zwei Uhr nachts Dinge geregelt. Ich habe mit jedem Orchestermitglied telefoniert. Es ging dabei nicht nur um die persönliche Situation, sondern um Vorschläge und Ideen. Ich bin noch nie so lange am Computer gesessen, allein um Projektbeschreibungen zu entwickeln. Wir haben für den Herbst über zwei Dutzend Dispositionen. Das Thema: Wenn ein Projekt nicht funktioniert, was machen wir stattdessen? All diese Vorschläge kommen nicht von den Entscheidungsträgern, dafür sind wir verantwortlich. Es bringt nichts, einfach zu sagen: Ihr müsst uns wieder spielen lassen.

Fühlten Sie sich von der Politik im Stich gelassen, weil das Wort Kultur anfangs kaum in den Mund genommen wurde?

Mallwitz: Wir am Staatstheater Nürnberg nicht. Eben weil es auch in unserem Interesse war, selbst Vorschläge zu entwickeln. Ich weiß aber, dass dies bei den Freiberuflern eine ganz andere Situation war und ist. Vielleicht ist es ja so, dass diese Krise dem Stadttheater allgemein mit seinem Ensemble-System zu neuer Blüte verhilft. Mehr regional denken, für die Menschen vor Ort Projekte entwickeln... Prinzipiell ist das deutsche Ensemble-Wesen ein großer Schatz, was aber nicht bei allen im Bewusstsein verankert ist. Ich scheue mich davor, von positiven Effekten der Corona-Zeit zu sprechen, weil die negativen extrem überwiegen. Und trotzdem: Wenn wir uns selbst ein Stück weit überdenken, unsere Arbeit neu hinterfragen, dann kann das dem Kulturleben doch nur guttun.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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