Ein «Klima der Angst»? Die Oper Zürich erfragt die Stimmung in ihrer Belegschaft

Das Opernhaus hat eine Umfrage zum Betriebsklima und zu den heiklen Themen Machtmissbrauch und Belästigung durchgeführt. Die Ergebnisse sollten Anlass geben, den grundlegenden Wandel im künstlerischen Betrieb voranzutreiben.

Christian Wildhagen
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Das Opernhaus Zürich – vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.

Das Opernhaus Zürich – vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.

Andrin Fretz / OHZ

Gleich drei Ereignisse haben die Leitung des Opernhauses Zürich während der vergangenen Wochen offenbar gründlich aufgeschreckt. Zum einen veröffentlichte der Schweizerische Bühnenkünstlerverband (SBKV) eine vielbeachtete Umfrage, wonach 79 Prozent von 331 Teilnehmern – allesamt Mitglieder des SBKV – angaben, in den letzten zwei Jahren Formen von Belästigung erlebt zu haben.

Zum anderen wurden am Opernhaus selbst nicht näher spezifizierte Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen den Operndirektor Michael Fichtenholz erhoben, der inzwischen sein Ausscheiden aus dem Betrieb zum Ende der Spielzeit 2020/21 erklärt hat. Die Vorwürfe hatten zu einer unabhängigen Untersuchung durch eine externe Fachstelle geführt. Und nicht zuletzt sorgt seit einiger Zeit ein geplanter Beitrag in der SRF-Sendung «Kulturplatz» für Aufregung, der am 7. April ausgestrahlt wird. Möglicherweise im Zusammenhang mit den Vorgängen um den Operndirektor soll darin vonseiten eines anonym bleibenden Insiders von einem «Klima der Angst» am Opernhaus die Rede sein.

Die Oper Zürich hat die Vorgänge zum Anlass genommen, das Betriebsklima und mögliche Fälle von Belästigungen, Mobbing und Diskriminierung in den eigenen Reihen nun mit einer eigenen grossangelegten Umfrage zu untersuchen. Solche Untersuchungen sind im Theater- und Opernbereich bis jetzt – leider – alles andere als üblich, zu schweigen von der transparenten Veröffentlichung der internen Ergebnisse.

«Nicht nur ein Job»

Von insgesamt 781 Befragten haben 649 Personen – 49 Prozent Frauen, 51 Prozent Männer – an der anonymisiert durchgeführten Umfrage teilgenommen; das entspricht einer Quote von 83 Prozent. Dabei beteiligten sich in den beiden Kernbereichen Kunst und Technik jeweils deutlich über 200 Befragte, im Bereich der Administration 164. Rund die Hälfte gehört dem Opernhaus bereits mehr als zehn Jahre lang an.

Gefragt wurde unter anderem nach einer Einschätzung des Betriebsklimas und nach der «Gesamtzufriedenheit». Die Antworten fallen erfreulich aus, das Opernhaus bewertet sie als «sehr positive Rückmeldungen». Demnach kommen von 649 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immerhin 84 Prozent gerne zur Arbeit. Für 88 Prozent ist die Arbeit «nicht nur ein Job», und 80 Prozent würden das Opernhaus Zürich als Arbeitgeber weiterempfehlen. 87 Prozent der Befragten sind ausdrücklich «stolz», am Opernhaus Zürich zu arbeiten.

Die Arbeitsatmosphäre wird von 73 Prozent als positiv eingeschätzt. Dass die Kompetenz des Einzelnen und nicht etwa Geschlecht, Herkunft oder Alter im Vordergrund stehen, trifft für 74 Prozent zu. Knapp zwei Drittel der Befragten empfinden die Anerkennung, die sie für ihre Leistungen erhalten, als ausreichend.

Missbrauch und Belästigung

Deutlich weniger erfreulich fallen die Ergebnisse zum Thema «Machtmissbrauch» aus. Der Begriff wurde in der Umfrage definiert als das «Ausnutzen einer Machtposition, um anderen bewusst zu schaden, sie zu schikanieren oder sich selbst persönliche Vorteile zu verschaffen». Von den 649 Befragten sahen sich 173 Personen, also 27 Prozent, mit Formen von Machtmissbrauch konfrontiert: 39 haben diese Situation einmal erlebt, 111 mehrmals und 23 Personen regelmässig.

Bei der Befragung gaben 118 Personen an, Formen von Schikane erfahren zu haben, 44 empfanden, dass ihnen bewusst geschadet werden sollte. Als Hauptverursacher sahen 130 der Befragten ihre Vorgesetzten an, 54 bestimmte Kollegen, und immerhin 46 Personen benannten Gastkünstler wie Dirigenten, Regisseure oder Choreografen.

Von Belästigungen fühlten sich während der vergangenen drei Jahre insgesamt 79 Personen, also 12 Prozent, betroffen. Die häufigste Art der Belästigung ist die verbale Belästigung, von der 58 Teilnehmer berichtet haben. Formen körperlicher Belästigung haben nach eigener Aussage 20 Befragte erlebt. Explizit nach sexuellen Übergriffen war in der Erhebung nicht gefragt worden.

Verhaltenskodex

Diese Zahlen, die es kaum erlauben, von einem «Klima der Angst» zu sprechen, will die Leitung des Opernhauses trotzdem zum Anlass nehmen, einen Wandlungsprozess voranzutreiben, der bereits vor drei Jahren eingeleitet worden sei. Man sehe es als «vornehmliche Aufgabe» an, für eine wertschätzende Arbeitsatmosphäre zu sorgen, ein geschärftes Bewusstsein für Missstände zu entwickeln und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei von Belästigung und Machtmissbrauch sei, teilte das Opernhaus mit.

Verwiesen wird auf eine Weiterbildungsinitiative für Führungskräfte und Mitarbeitende, die sich auf die Themen der Zusammenarbeit wie Konfliktmanagement, Achtsamkeit und Kommunikation fokussiert habe. Ausserdem hat das Opernhaus Weisungen zu den Themen «Sexuelle Belästigung» sowie «Mobbing und Diskriminierung» erlassen, die als Verhaltenskodex für alle bindend seien und Missstände präventiv vermeiden sollen.

Man kann die Leitung des Hauses nur darin bestärken, entschlossen auf diesem Weg weiterzugehen. Die interne Umfrage und ihre transparente Kommunikation nach aussen sind vorbildliche erste Schritte, an denen sich andere Kulturinstitutionen ein Beispiel nehmen können – und sollten.

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