Pinar Karabulut inszeniert Turnages Oper „Greek“ auf dem Parkdeck der Deutschen Oper. Es ist ihr Operndebüt.

Die Deutsche Oper hatte ihr Parkdeck als Aerosol-freien Spielort entdeckt und dort kurzfristig Wagners „Rheingold“ light aufgeführt. Es war ein überraschender, international beachteter Erfolg in der Pandemie, als weltweit plötzlich alle Opernhäuser zu waren. Jetzt, ein Jahr danach, steht die nächste Open-Air-Premiere auf dem Parkdeck bevor. Mark-Anthony Turnages Oper „Greek“ wird ab dem 27. August sieben Mal aufgeführt. „Ich glaube, dass ich im April das erste Mal auf dem Parkdeck war, um mir alles anzuschauen. Ich war überrascht, wie groß es dort ist“, sagt Regisseurin Pinar Karabulut: „Es erinnert mich an eine Mischung aus einem griechischen Tempel und einem italienischen Renaissance-Palast. Die Säulen haben bei mir einen Assoziationsraum aufgemacht. Der Ort selbst hat schon etwas Episches. Das hat mich verwundert, weil es eigentlich nur ein Parkplatz ist.“

Vor einer Durchlaufprobe findet unser Gespräch statt. Die Regisseurin setzt sich auf die Bühne, die eindeutig ausgefeilter und bunter ist als der schnelle Pandemie-Ersatz im Vorjahr. „Ich habe gesehen, dass in der ,Rheingold’-Produktion alle vier Seiten mit bespielt wurden, auch die Garderobenfenster“, sagt Pinar Karabulut. „Wenn man an einem Ort, der keine klassische Bühne ist, Oper oder Theater inszeniert, sollte man auch aus dem klassischen Guckkasten-Modell rausgehen. Bei uns sind es weniger die Fenster, sondern der Zuschauerraum drumherum.“ Wie zur Illustration fährt plötzlich ein buntes Cabriolet übers Parkdeck.

„Greek ist eine Überschreibung des Ödipus-Stoffes. Jonathan Moore und Steven Berkoff hatten die Schraube weitergedreht, den Mythos extrahiert und ins Londoner East End der 1980er-Jahre versetzt“, sagt die Regisseurin. Die Uraufführung der Oper, die auf die Tragödie „König Ödipus“ des Sophokles zurückgreift, fand im Juni 1988 bei der 1. Münchener Biennale für Neues Musiktheater statt. „Eigentlich ist es die Margaret-Thatcher-Zeit mit all der Armut und dem Rassismus. Unsere Hauptfigur Eddy will da raus und den Weg nach oben schaffen. Es gelingt ihm auch und er übernimmt das Café von einem Mann, den er vorher umgebracht hat.“

Die Bühne auf dem Parkdeck ist eine Art Pop-up-Buch

„In unserer Inszenierung, die ich gemeinsam mit Kostümbildnerin Teresa Vergho und Bühnenbildnerin Michela Flück mache, streuen wir das Mythologische wieder auf die Handlung drauf. Es entsteht eine zweidimensionale plakative Welt“, sagt die Regisseurin. „Das Bühnenbild ist eine Art Pop-up-Buch, wir alle finden uns wieder in einer mythologischen Schicksalsgeschichte. Die Oper ist auch sehr comichaft. Das hat der Komponist Mark-Anthony Turnage bereits in seine Musik eingeschrieben.“ Aber die Inszenierung sei zeit- und ortlos. „Wir spielen in einer artifiziell überhöhten Welt.“

Es ist das Operndebüt der Theaterregisseurin. Aber Pinar Karabulut weiß ihre Königsdisziplin klar zu benennen. Es gehe darum, einen unterhaltsamen Abend zu schaffen, der gleichzeitig einen politischen Gedanken anstößt. „In ,Greek’ geht es um die Freiheit des Individuums, es gibt verschiedene Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder. Das Thema der häuslichen Gewalt ist ins Stück hineingeschrieben. Es sind viele politische Momente drin. Aber es wird auf der Bühne keine Thatcher-Figur oder eine Trump-Perücke zu sehen sein, was eine Zeit lang auf den Bühnen modern war.“

Vom Kostümbild wechselte sie schnell ins Regie-Fach

Viel Humor hat sie. „Ich komme aus Köln, da lachen alle nur und sind gut drauf.“ Das sagt sie als Regisseurin, die 2016 ins Leitungsteam des Britney, der Außenspielstätte am Offenbachplatz des Schauspiel Köln, kam. Geboren wurde sie 1987 in Mönchengladbach, ihre Eltern waren aus der Türkei gekommen. Sie erzählt von der Theater AG, aber ein Erweckungserlebnis hatte sie eigentlich nicht. In ihrer Familie ist sie die erste Theaterfrau. „Ich hatte angefangen, in der Kostümbildabteilung des Theaters Mönchengladbach zu arbeiten. Ich habe schon in der ersten Produktion gemerkt, dass es mich nicht wirklich interessiert, sondern vielmehr das Regie-Fach.“ Während der Spielzeit ist sie gewechselt und hat Regie-Hospitanzen gemacht.

Aber dann studierte sie Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Neue deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Dadurch, dass ich die erste in meiner Familie bin, wusste ich gar nicht, dass man Regie studieren kann. Alle großen Regisseure, die ich gegoogelt hatte, hatten nie Regie studiert. Das Studium ist noch relativ jung.“ Sie sieht darin eine Generationsfrage. „Wenn man heute im Schauspiel in die Biografien der 30-jährigen schaut, dann haben sie fast alle Regie studiert.“

Kleinere Arbeiten im Gorki Studio und an der Volksbühne

Während ihres Studiums assistiert sie an den Münchner Kammerspielen und am Theater Neumarkt in Zürich. 2013 wird sie Regieassistentin am Schauspiel Köln. Ihre dortige erste Inszenierung „Invasion!“ von Jonas Hassen Khemiri wird zum Münchner Festival „Radikal Jung“ und zum Hamburger „Kaltstart“-Festival eingeladen. Für ihre Inszenierung „Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute“ von Dirk Laucke erhält sie den NachSpielPreis des Heidelberger Stückemarktes. In Berlin machte sie kleine Produktionen im Gorki Studio und an der Volksbühne.

Von ihrer atemlosen Fröhlichkeit darf man sich nicht täuschen lassen, die Regisseurin hat ein gesetztes Weltbild. Sie steht an der Seite der kleinen Leute, die sich gegen Benachteiligungen wehren müssen, um sich in der Gesellschaft zu verwirklichen. „Wenn Eddy seine Eltern verlässt, gerät er das erste Mal in Ausschreitungen. Er wird mit der eigenen Armut konfrontiert“, sagt Pinar Karabulut. „Er weiß überhaupt nicht, wie man mit der Polizei, den Menschen, der Politik umgeht. Er wird zwangsweise politisiert, weil er in die Welt hinausgeht. Er ist für mich eine sympathische Figur, die etwas naiv durch die Welt geht. Er versucht, jeden Gedanken positiv zu greifen.“

Die Kölner Regisseurin schaut sich gern alte Filme an

Auf die Frage, ob das Theater nicht immer auch politisch unkorrekt sein müsse, lässt sie sich nicht weiter ein. Das sei nicht ihre Art zu arbeiten, sagt sie und bringt ein Beispiel. „Ich schaue auch gern alte Filme oder alte Inszenierungen an. Fellini ist ein großartiger Filmregisseur, aber wenn er in jeder zweiten Szene eine Frau opfert, heißt das nicht, dass ich das reproduzieren muss. Ich will keine Gewalt gegen Frauen auf der Bühne zeigen. Ich würde das abstrahieren.“ Bemerkenswerterweise benennt sie keinen der großen Theaterregisseure als Vorbild. Da fällt beiläufig der Begriff von patriarchalischen Denkstrukturen. „Was mich mehr prägt, sind David Lynch, Fellini oder Michelangelo Antonioni, also mehr aus der Filmwelt kommende Regisseure.“ Auch Tanz und Bildende Kunst würde sie inspirieren.

Am Pult steht Dirigentin Yi-Chen Lin. „Greek“ auf dem Parkdeck ist ein Frauen-Projekt. Pinar Karabulut sagt, bei Bühne, Kostüme und Ausstattung arbeite sie am liebsten mit Frauen. „Es ist ein simpler Grund, es gibt die klassische Denke, Bühnenbild sei ein Männerberuf und Kostümbild ein Frauenberuf. Deswegen verdienen Kostümbildnerinnen auch weniger. Ich versuche, mit so vielen Frauen wie möglich zu arbeiten, um ihnen Chancen und Jobs zu geben. Es ist eine Form von Diversität hinter der Bühne. Ich bin für die Quote, damit auf Ungerechtigkeiten aufmerksam gemacht wird. Die Quote wird nur auf Zeit sein.“

Regisseure gehen recht unterschiedlich mit ihren Premieren um. Der eine sitzt in der Kantine, der andere läuft den Gang auf und ab, der dritte sitzt mit im Zuschauerraum. „Im Theater schaue ich mir meine Premieren nie an, weil ich zu aufgeregt bin. Ich kann nicht neben den Zuschauern sitzen“, gesteht Pinar Karabulut. „Meistens schaue ich mir die Premiere auf einem Monitor an und gehe erst in die dritte oder vierte Vorstellung. Jetzt aber täte ich es gerne. Ich kann mich an den Sängern nicht satthören. Sie sind so toll.“