Wird 2025 alles anders? Was dem künftigen Intendanten der Oper Zürich blüht

Eine Findungskommission regelt derzeit in aller Stille die Nachfolge von Andreas Homoki am Opernhaus – eine Debatte über die Zukunft der grössten Schweizer Kulturinstitution findet nicht statt. Dabei wäre sie wichtiger als Namedropping.

Christian Wildhagen
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Das grosse Aufräumen: Während der Spielzeitpause werden im Opernhaus Zürich Reinigungs-, Renovations- und Umbauarbeiten durchgeführt.

Das grosse Aufräumen: Während der Spielzeitpause werden im Opernhaus Zürich Reinigungs-, Renovations- und Umbauarbeiten durchgeführt.

Goran Basic / NZZ

Zu den goldenen Regeln der Regierungsbildung in Deutschland gehört der Vorsatz, dass bei Koalitionsverhandlungen zunächst über die Inhalte gesprochen wird, dann erst über Personen. In der Welt der Oper verläuft dieser Prozess in der Regel umgekehrt. Hier schaut man sich unter den amtierenden Grössen der international vernetzten Branche nach idealen Kandidaten um, wann immer an einem bedeutenden Haus der Posten des «Regierungschefs» neu zu vergeben ist. Inhalte sind dabei zwar auch gefragt, aber diese dramaturgischen Konzepte bilden am Ende doch oft nur die Begleitmusik zu einem Profiling-Prozess, der wesentlich auf prominente Köpfe und die mit ihnen verbundenen Erwartungen ausgerichtet ist. In Zürich konnte man dies zuletzt 2012 während des Wechsels von Alexander Pereira zu Andreas Homoki studieren.

Homoki wurde zum einen als neuer Intendant nach Zürich geholt, um den unter Pereira mächtig ausgeweiteten Opernbetrieb wieder auf ein normales Mass zu reduzieren. Diese heikle Redimensionierung hat er mit der für ihn charakteristischen Gelassenheit erledigt. Vor allem aber wurde Homoki von der Komischen Oper Berlin nach Zürich geholt, um dem hiesigen Haus mit einer gemässigt-modernen Regiesprache, für die er selber als erfolgreicher Regisseur seit den 1990er Jahren steht, ein fortschrittliches Image zu verleihen.

Andreas Homoki, seit Herbst 2012 Intendant des Opernhauses Zürich, wird seinen Vertrag 2025 auslaufen lassen.

Andreas Homoki, seit Herbst 2012 Intendant des Opernhauses Zürich, wird seinen Vertrag 2025 auslaufen lassen.

Annick Ramp / NZZ

Auch dies gelang ohne allzu grossen Widerspruch aus den Reihen des Publikums; schliesslich hatten die Verantwortlichen mit Homoki bewusst keinen ungehobelten Bilderstürmer ausgewählt. Hinter der aufgefrischten Fassade blieb vieles beim Alten, und das mit Grund: Gilt doch der klassische Zürcher Opernbesucher – zumal seit den glanzvoll-gediegenen zwei Jahrzehnten unter Pereira, die ästhetische Standards und Sehgewohnheiten etabliert haben – als ein scheues Wesen, das durch allzu kühne Experimente leicht zu verschrecken ist.

Neue Intendanz ab 2025

Das dürften auch die sieben Mitglieder der Findungskommission im Hinterkopf haben, die seit dem Spätsommer in streng gewahrter Klausur um eine Nachfolge für die Leitung der grössten Schweizer Kulturinstitution ringen. Andreas Homoki wird nämlich seinerseits nach dem Ende der Spielzeit 2024/25, nach dann fast dreizehn Jahren, seinen Vertrag regulär auslaufen lassen. Dem Vernehmen nach will die Kommission um den Verwaltungsratspräsidenten Markus Notter und die Zürcher Regierungspräsidentin Jacqueline Fehr noch vor den Feiertagen, spätestens aber zu Beginn des neuen Jahres ihre Lösung präsentieren. Bei dieser Berufung ist allerdings einiges anders als gewohnt.

So gibt es bisher keine klaren Favoriten, obwohl sich die Kommission auch diesmal wieder unter den amtierenden Intendantinnen und Intendanten führender europäischer Bühnen umgesehen hat (und wohl auch bei einigen Festivals und Konzerthäusern). Der Kreis ist überschaubar, aber anders als zur Zeit von Homokis Berufung drängen sich nur wenige derart stark profilierte Persönlichkeiten in den Vordergrund, dass man an ihrer potenziellen Wahl eine ebenso klare Weichenstellung für das Opernhaus ablesen könnte.

Dies umso mehr, als sich vier der interessantesten Kandidaten selbst aus dem Spiel genommen haben. Der Genfer Intendant Aviel Cahn, ein künstlerischer Erbe Gerard Mortiers und gebürtiger Zürcher, indem er erst Ende Oktober seinen Vertrag mit dem Grand Théâtre bis 2029 verlängert hat. Barrie Kosky, Homokis Nachfolger an der Komischen Oper und in Zürich unter anderem mit einem preisgekrönten «Macbeth» erfolgreich, indem er öffentlich bekundete, er wolle fortan freiberuflich arbeiten, jedenfalls dezidiert ohne die administrative Bürde einer Intendanz. Und schliesslich Laura Berman, vormals Operndirektorin in Basel, jetzt sturmumtost als Intendantin in Hannover, die von der Zürcher Findungskommission ebenso als externe Beraterin eingebunden wurde wie die Bernerin Nora Schmid, derzeit Chefin in Graz und designierte Intendantin der Dresdner Semperoper.

Bei keinem der vier ist eine Wahl vollkommen ausgeschlossen, aber das gehört ebenso in den Bereich der Spekulation wie das Auftauchen eines Überraschungskandidaten, etwa des Luzerner Festivalintendanten Michael Haefliger, der fraglos für weite Teile des Zürcher Publikums konsensfähig wäre. Haefligers Musiktheater-Ambitionen sind seit dem Kampf für eine «Salle Modulable» am Vierwaldstättersee bekannt.

«Oper der Zukunft»

Statt aber dem üblichen Muster zu folgen und Personalien vor den Inhalten zu diskutieren, könnte man sich einmal grundsätzlich fragen, welches Profil das Opernhaus nach 2025 entwickeln soll und welche Rolle es im Kulturleben spielen wird. Derartige Fragen haben sich hoffentlich auch die Mitglieder der Kommission vor oder bei ihrer Suche gestellt. Die «Relevanz der Oper der Zukunft» werde nicht nur auf der Bühne verhandelt, sondern massgeblich davon bestimmt, wie die Kulturinstitutionen ihren Verbund mit der Gesellschaft definierten, hat Serge Dorny, der neue (für Zürich damit gleichfalls verlorene) Intendant der Bayerischen Staatsoper, kürzlich in einem Grusswort geschrieben.

Es galt der am Dienstagmorgen angelaufenen Online-Reihe «Kulturbauten der Zukunft», die sich unter anderem mit der Herausforderung beschäftigt, wie man die überwiegend aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammenden Theaterbauten – die meisten obendrein dringend sanierungsbedürftig – öffnen kann für den ästhetischen und medialen Formenreichtum des 21. Jahrhunderts. Für Zürich hiesse das unter anderem, sich einmal dem durchaus unbequemen Thema zu stellen, ob man auch künftig starr an der vom historischen Fellner-und-Helmer-Prachtbau vorgegebenen Situation einer klassischen Guckkasten-Bühne festhalten möchte. Oder ob man dem wachsenden Bedürfnis heutiger Zuschauer nach mehr Teilhabe, nach immersivem Erleben, ja nach aktiver Partizipation nicht im wahrsten Sinne Raum geben will.

Welches Repertoire aber könnte man in einem derartigen Rahmen zur Aufführung bringen? Inwieweit dürfte man den in über 400 Jahren entstandenen Fundus an grossartigen Bühnenwerken solchen modernen und postmodernen Sichtweisen aussetzen? Die immer schon multimedial gedachte Kunstform Oper hielte dies ohne Frage spielend aus, doch fände sich dafür ein Publikum? Und liesse es sich weiterhin festlegen auf den immer schon von musealer Erstarrung bedrohten Kanon durchgesetzter Erfolgsstücke zwischen Monteverdi und Alban Berg? Wo bleibt eigentlich das Musiktheater unserer Zeit?

Und überhaupt: das Publikum. Es wird sich aller Voraussicht nach kaum mehr so berechenbar über ein festes Abonnementssystem an ein Haus und sein Programm binden wie noch im 20. Jahrhundert. Schon jetzt sind freiere Modelle gefragt, die dem individuellen Unterhaltungsbedürfnis und der Vielfalt der konkurrierenden Angebote besser Rechnung tragen. Sofern aber die Aufführung eines hoch komplexen Bühnenwerks im Wettbewerb mit anderen medialen Formaten konkurrenzfähig bleiben soll, müssen Vermittlungsangebote und Education-Projekte umfassend ausgebaut werden, sonst läuft die Oper Gefahr, als elitäres Genussmittel eines angeblich ohnehin vom Aussterben bedrohten Bildungsbürgertums abgestempelt zu werden.

Die Gefahr ist längst real: Schon heute gibt es Werke, die mit ihrem Anspruch, ihrem Sujet, ihrer Sprache nachkommende Generationen kaum mehr ohne umfassende Hilfestellungen erreichen. Schon deren blosse Dauer stellt angesichts der nachweislich immer kürzeren Aufmerksamkeitsspannen viele auf eine harte Probe; gemeint sind hier übrigens nicht nur fünf- und sechsstündige Wagner-Opern. Zudem sind ähnlich zentrale Werke wie Mozarts «Entführung aus dem Serail», Verdis «Aida» und Puccinis «Madama Butterfly» bereits in den Strudel der aufgeregten Identitäts-, Gender- und Kolonialismus-Debatten unserer Zeit geraten.

Die ersehnte Relevanz

Es hilft wenig, darüber in Kulturpessimismus zu verfallen. Der demografische, kulturelle und mediale Wandel wird die Opernhäuser so oder so einholen und auch zu Anpassungen ihrer Angebote zwingen. Die gern behauptete «gesellschaftliche Relevanz» dieser Institutionen, die schon während der Corona-Pandemie von einer weitgehend kulturvergessenen Politik Lügen gestraft wurde, wird sich dann noch einem ganz anderen Realitätstest unterziehen müssen, und man hofft, dass daraus nicht wieder ein Realitätsschock wird.

Plötzlich geht es dann nicht mehr nur um die unter Zürcher Opernfreunden bis heute mit Leidenschaft diskutierte Frage, ob das Opernhaus sich wieder stärker einer von der Musik und von möglichst hochkarätigen Sängern bestimmten Aufführungstradition zuwenden solle; oder ob man die ersehnte Relevanz nicht doch eher durch Sichtweisen und Darstellungsformen eines Musiktheaters erlangen könne, das Themen der Gegenwart an den bekannten Werken spiegelt. Diese Alternative, die man gern in den vermeintlichen Antipoden Pereira und Homoki verkörpert sah, wird sich dann gar nicht mehr stellen.

Wenn die Oper den gesellschaftlichen Wandel missachtet, wird sich für die Gattung wie für ihre personal- und kostenintensiven Institutionen alsbald ein Problem auftun, das existenziell bedrohlich werden kann. Nämlich: wie sie die Menschen überhaupt noch erreichen und von ihrer Notwendigkeit überzeugen will. Wer immer das Opernhaus vom Herbst 2025 an leiten wird – die Herausforderungen für ihn oder sie sind grösser, und sie sind dringlicher, als es sich Pereira und Homoki vermutlich je träumen liessen.

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