Regisseur Stefan Herheim stellte sich in der Deutschen Oper den Fragen von Kritikern und Publikum und brachte einiges Licht ins Dunkel.

Podiumsdiskussionen finden normalerweise eher unbeachtet statt, aber an der Deutschen Oper widmete man sich am Freitag Stefan Herheims Neuinszenierung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Dreimal war der Zyklus im Opernhaus gezeigt und im Publikum kontrovers diskutiert worden. Am Ende der „Götterdämmerung“ gibt es bei Herheim keine Gesellschaftsutopie zu erleben, lediglich eine Putzfrau erscheint auf der Bühne und fegt die Reste zusammen. Das hat offenbar viele aufgeregt.

„Es ist für mich kein unpolitisches Ende, wenn ich eine Putzfrau sehe, die Teil der Institution ist“, sagt Stefan Herheim. Angriffslustig wehrt sich der Regisseur dagegen, dass die Putzfrau auf eine klischeehafte Idee reduziert wird. „Keiner fragt danach, wer ist sie denn?“, so Herheim. „Es ist tatsächlich eine festangestellte Frau, die nächstes Jahr in Rente geht. Die ich sehr lieben gelernt habe und der ich das dreifache an Geld gönne. Für mich ist das ein Politikum.“

Der Regisseur kann für alles eine Erklärung geben

Unter den Besuchern im gut besuchten Foyer sind skeptische Blicke auszumachen. Als Erklärung für eine Götterdämmerung überzeugt der soziale Blickwinkel offenbar nicht. Aber Herheim legt nach und verweist auf die Musik, zu der die Putzfrau fegt. „Das ist für mich nicht belanglos.“ In der Musik gehe es um eine Hoffnung jenseits dessen, was jetzt als Hoffnung betrachtet werden kann. Herheims Regie, das wurde im Gespräch deutlich, ist tief aus der Musik geschöpft. Als Regisseur kann er für alles eine Erklärung geben. Aber sein „Ring“ bräuchte ziemlich viele Erklärungen. Das will Herheim natürlich nicht, aber verriet in dieser Runde überraschend viel.

Kofferberge, die an Auschwitz erinnern, prägen das „Ring“-Bühnenbild über weite Teile.
Kofferberge, die an Auschwitz erinnern, prägen das „Ring“-Bühnenbild über weite Teile. © Bernd Uhlig

Für die Diskussion hatte Intendant Dietmar Schwarz zwei Musikkritiker aufs Podium geholt. Albrecht Thiemann konfrontiert Dirigent Sir Donald Runnicles mit Tempofragen und seiner Stoppuhr. Die Gesamtaufführungsdauer des „Rings“ lag diesmal bei 14 Stunden und 21 Minuten. Runnicles meint fröhlich, er würde nicht langsamer dirigieren, weil Herr Thiemann es stoppen wolle. Ansonsten zeigt sich der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper diplomatisch, was die Neuinszenierung angeht. Selbst einer Nachfrage aus dem Publikum, worüber sich Dirigent und Regisseur uneins waren, weicht er höflich aus.

Anspielungen auf die Nazizeit sind irritierend missverständlich

Aber im Zentrum der Aufmerksamkeit steht sowieso Stefan Herheim. Die Musikkritikerin Julia Spinola wirft ihm vor, dass sich seine bildmächtige Inszenierung hochpolitisch geriere, aber letztendlich auf ein bloßes Spiel im Spiel zurückziehe. Zudem seien einige Anspielungen auf die Nazizeit irritierend missverständlich. Dazu gehören die Kofferberge, die das Bühnenbild über weite Teile des „Rings“ dominieren und an Auschwitz erinnern. Aber statt über Koffer und Auschwitz reflektiert der Regisseur lieber über Lücken und Zeichen. „Für mich ist das die Gegenwart, in der wir leben. Es sind Zeichen, bei denen ich nicht weiß, was sie zu bedeuten haben. In einer parlamentarischen Gesellschaft, wo auch die AfD drinsitzt und subversiv von unten herauf parlamentarische Prinzipien in Frage stellt. Da sind wir selbst in einen ,Ring’-Zyklus geraten mit unseren eigenen Widersprüchen.“

Die Szenen in Unterwäsche erregten im neuen „Ring“ einigen Unmut. Für die einen zu prüde, für andere altmodisch. Wenn nackt, dann doch richtig. Aber das scheint beim Regisseur anders angekommen zu sein. Da vermutet er beiläufig nur ein „spießiges Publikum“.