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Wenn Wotan das Kissen zerpflügt: Valentin Schwarz über seinen „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth

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Regisseur Valentin Schwarz
Erst 33 Jahre jung und schon mit dem größten Projekt der Opernwelt betraut: Valentin Schwarz schultert in Bayreuth vier Wagner-Dramen auf einen Streich. © Daniel Karmann

Am schönsten ist Bayreuth immer außerhalb der Festspiele. Valentin Schwarz kommt vom Parkplatz zum Festspielhaus heruntergeschlendert. Ansonsten verirrt sich an diesem Morgen noch kaum einer auf den Grünen Hügel. Überraschenderweise gibt es im Interviewraum keine Stühle. Kurzes Stutzen, dann sucht man sich eben eine Parkbank mit Blick aufs Allerheiligste der Wagner-Welt, obwohl es zwischendurch tröpfelt. Nicht nur an solchen Kleinigkeiten merkt man: Der Regisseur des neuen „Ring des Nibelungen“ nimmt die Sache eher von der pragmatischen Seite – auch wenn er plötzlich einen neuen Dirigenten zur Seite hat.

Haben Sie schon den Tag verflucht, an dem Sie in Verbindung mit Ihrem „Ring“ von einer Netflix-Serie sprachen? Alle reden jetzt vom „Netflix-Ring“.

Man wird ja gern falsch verstanden. Es geht hier nicht um die Ästhetik einer Fernsehserie. Was ich mit Netflix beschreiben wollte, das ist diese intensive Seh-Erfahrung, die man in Bayreuth hat. In einer Woche alles hintereinander anschauen, das erinnert mich tatsächlich an Binge Watching. Die andere Parallele: Wir haben hier ein Familienepos, in dem wir alle Figuren über Jahre hinweg begleiten dürfen. Und das ist ganz ungewöhnlich in der Operngeschichte, weil man diese Figuren in verschiedenen Stadien ihrer Persönlichkeitsentwicklung kennenlernt. 

Die „Götterdämmerung“ endet mit dem Weltenbrand – und dem Erlösungsmotiv. Gehen die 15 Stunden also gut aus?

Darüber haben sich viele große Geister den Kopf zerbrochen. Wagner wusste das selbst nicht so genau, er hat sich daran abgearbeitet in verschiedenen Fassungen dieses Schlusses. Man kann also von künstlerischer Freiheit sprechen beim Thema, wie man dieses Finale löst. Es gibt nicht nur die Musik- oder Textebene. Das ist das Moderne an Wagner. Wir werden sicher eine Aussage tätigen am Schluss, die ich natürlich nicht verrate. Aber dieser gemeinsame utopische Moment, der hier auftaucht, den kann man nicht ignorieren.

Inszeniert man die 15 Stunden von vorn nach hinten? Hatten Sie das Finale der „Götterdämmerung“ von Anfang an vor Augen?

Ja, weil man einen Bogen denken muss, vom „Rheingold“-Vorspiel bis zum Finale der „Götterdämmerung“. Diese Mode, für die „Ring“-Teile verschiedene Regisseure zu engagieren und damit das Trennende zu betonen, geht für mich in Bayreuth gar nicht auf. Hier muss man die vier Teile so zusammendenken, als seien sie ein Werk. Das war für uns konzeptionell entscheidend. Schließlich ist dies auch die Herausforderung beim „Ring“: dass man den Überblick behält.

Klaus Zehelein, früher Intendant in Stuttgart und Frankfurt, hat einmal eine „Ring“-Pause gefordert. Weil das Riesenwerk durch seine vielen Inszenierungen so gut wie ausgedeutet sei – und die Regisseure damit zur krampfhaften Suche nach dem neuen Weg genötigt würden.

Aber das unterscheidet den „Ring“ nicht von anderen Stücken. Schuld daran ist das vergleichsweise kleine Repertoire an den Opernhäusern. Wir sind hier tatsächlich bei der Frage angelangt: Was kann man mit diesen wenigen Werken noch anfangen? Ehrlich gesagt: Allein die Tatsache, dass Menschen wie Sie nach Bayreuth kommen und sich nochmals den „Ring“ angucken wollen, straft doch diese pessimistische Haltung Lügen. Besonders der „Ring“ führt zu Deutungen, die unterschiedlicher gar nicht sein können. Natürlich ist das ein großer Anspruch, Bilder zu finden, die tatsächlich noch nicht dagewesen sind, gerade an diesem Haus. Letztlich zeigt man immer einen „Ring“ in seiner Zeit. Und jedes Mal ist dabei das Vergehen von Zeit ein großes Thema. Das Festhalten an etwas Sinnhaftem, das uns überdauern möge. Was bleibt also von uns, von der Welt übrig? Im Grunde gibt es doch nichts Endgültiges, Bleibendes. Wir sind nur ein bisschen Sternenstaub. Und deshalb trotzdem einen Entwurf zu entwickeln, wie man es schafft, im Moment zu leben, dieses Thema geht uns doch alle an.

Brünnhilde ist die stärkste Persönlichkeit im „Ring“. Auch in anderen Wagner-Dramen gibt es vergleichbare Frauengestalten. War er Feminist?

Er nimmt es zumindest sehr ernst, dass die Gleichsetzung von Frauen mit Waren höchst problematisch ist. Man denke nur an Freia, die im „Rheingold“ mit Edelmetall aufgewogen wird. Wagner fordert eine Autonomie, eine Eigenständigkeit der Frauen ein – indem er ihnen auch die wunderbarsten Momente schenkt. Die verworfenen Seiten der Männer erleben wir bei ihm immer wieder. Wagner nimmt gerade im „Ring“ die Frauen viel ernster als andere Komponisten. Ohnehin ist er seiner Zeit voraus als Psychologe. Er sagt, es gibt kein Schwarz-Weiß mehr. Man darf auch nicht vergessen: Er hat nicht einfach einen Mythos vertont, sondern sich collagenhaft selbst etwas zusammengestellt. Insofern war er auch sein eigener Interpret.

Die ständigen Rückblicke im „Ring“, das dauernde „Was bisher geschah“ wird gern belächelt – weil wir doch alles schon gesehen haben. Was bedeuten diese Momente?

Es ist vielleicht wie bei einem riesigen Teleskop, durch das man intensiver auf dieselbe Sache blickt. Außerdem sind das in der Regel keine Monologe. Wotan erzählt zum Beispiel seiner Tochter Brünnhilde die Vorgeschichte. Oder man denke ans Rätselraten zwischen Mime und Wanderer. Dabei handelt es sich um etwas extrem Psychologisches: Seine eigenen Probleme vor anderen formulieren zu können, ist der erste Schritt, sich derer gewahr zu werden. Und das Spannende daran ist, wie sich die Haltung der betreffenden Person während des Gesprächs verändert.

Einerseits wollen Regisseure den „Ring“ immer ins Heute holen, andererseits müssen sie mythologische Requisiten wie Schwert, Speer und Tarnhelm berücksichtigen. Wie gehen Sie mit dieser Spannung um?

Dieser Anachronismus begegnet uns tatsächlich oft auf den Bühnen. Und der irritiert mich persönlich sehr. Ich finde es absurd, wenn wir eine Welt behaupten und diese anachronistisch zusammensetzen. Also müssen wir uns in gewissen Setzungen von diesen mythologischen Objekten emanzipieren. Eine Wortwörtlichkeit steht ja Wagner oft im Wege.

Sie sagen, dass Sie offen an eine Regiesituation herangehen und intensiv auf die Darsteller eingehen. Wie verträgt sich die Haltung mit dem streng getakteten Bayreuther Probenplan? Das ist doch hier eine Arbeit des permanenten Kompromisses ...

…und der permanenten Vorbereitung, allein was das Dispositionelle betrifft. Es empfiehlt sich eine sehr klare Haltung und Konzeption. Man muss sehr schnell auf den Punkt kommen. Andererseits tut Bayreuth gut, weil die meisten Mitwirkenden die Werke schon oft gemacht haben. Es gibt ein enormes Detailwissen. Man kann auf einem völlig anderen Level einsteigen und ist sofort auf einer Meta-Ebene. Gerade deshalb freuen sich die meisten über neue Ideen.

Rein arbeitstechnisch gesehen: Taten die zwei Jahre Corona-Aufschub Ihrem „Ring“ gut?

Konzeption, Bühne und Kostüme waren ja schon fertig. Wir waren in den Startlöchern. Es gab dann schon surreale Momente, als es wieder losging. Mancher hat geweint auf der Probebühne. Und gleichzeitig war da diese ungeheure Motivation.

Nun ist Ihnen nach Günther Groissböck mit John Lundgren schon der zweite Wotan abhandengekommen. Wie geht man damit um?

That’s opera life. Das kann immer passieren. Und das ist kein falsch verstandener Pragmatismus, sondern quasi Berufsvoraussetzung. Selbst noch zur Generalprobe kann ein Sänger ausfallen, damit muss man umgehen können. Man kann das sogar als Chance begreifen. In unserem Fall ist es so: Je dichter eine Inszenierung schon gewoben ist selbst bei einer Zentralgestalt wie Wotan, desto schneller kann sich der Neue einfügen. Der legt sich also sozusagen ins gemachte Bett. Und ob er da brav liegen bleibt oder die Kissen zerpflügt, ist dann die Herausforderung und macht Spaß bei der Beobachtung.

Waren Sie schon immer so cool, so pragmatisch?

Das kommt sicher von meiner Assistentenzeit, wo in der Opernarbeit viele Umbesetzungen stattfanden. Das passiert öfter, als man denkt. Und erhöht immer das Spannungslevel – auch fürs Publikum.

Ihre Eltern waren Musiker, Sie haben früh Geige gelernt und mit neun Jahren den „Fliegenden Holländer“ gesehen: War für Sie etwas anderes abseits der Musik möglich?

Das schon. Ich bin eben da hineingeboren und hineingewachsen und mochte das. Aber es gab auch andere Interessen. Und als Regisseur kann man ja alles, was man erlebt, als Inspiration für die eigene Arbeit nutzen. Das ist meine Entschuldigung für vieles, was ich tue.

Sind Sie froh, dass es die „Werkstatt Bayreuth“ gibt? Weil Sie in den kommenden Jahren die Möglichkeit zum Nacharbeiten haben?

Wenn ein Regisseur denkt, seine Inszenierung sei bei der Premiere fertig, hat er etwas falsch verstanden am Beruf. Theater ist etwas Lebendiges. Ich vertraue da ganz auf die Darsteller. Mein Credo für die Sänger ist immer: „Was ihr da gemeinsam auf die Bühne stellt, ist so unglaublich und so spezifisch. Ihr seid so drin in euren Rollen. Und wenn ihr findet, dass eine andere Geste besser ist, dann macht das bitte.“ Es ist essenziell, dass die Darsteller in ihre Freiheit entlassen werden.

Sie sind also kein Kontrollator.

Gerade weil es um Psychologisches geht, wäre es komplett widersinnig, alles final festzulegen. Jede Vorstellung wird ein bisschen anders. Und nächstes Jahr schauen wir wieder drauf – auf dass sich alles weiterentwickeln kann. Dazu zählt auch, dass man danach in der Kantine zusammensitzt und über alles redet.

Die meisten Regisseure sagen: Den „Ring“ mache ich nur einmal. Und Sie?

In nächster Zukunft kommt klarerweise keiner. Es gibt sicher Werke, bei denen sage ich mir: Das musst du auf jeden Fall noch mal machen. Zum Beispiel „Così fan tutte“. Außerdem: Den „Ring“ inszeniert man nur, wenn man in jeglicher Hinsicht fit ist. Es ist auch immer die Frage, wie selbstplagiativ man unterwegs ist. Und das kann besonders beim „Ring“ leicht vorkommen.

Fallen Sie danach in ein Loch? Was soll nach einem „Ring“ in Bayreuth denn noch kommen?

Ich weiß nicht. Ein mögliches Loch wird erst mal durch Urlaub im Süden gefüllt.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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