Daniel Barenboim:Rettung der Welt in Rekordzeit

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Daniel Barenboim ist berühmt für seine Aufführungen von Beethoven und Wagner. Jetzt muss er krankheitsbedingt allerdings pausieren. (Foto: Vyacheslav Prokofyev/imago images/ITAR-TASS)

Daniel Barenboim musste Richard Wagners "Ring" krankheitsbedingt absagen. Warum das Projekt trotzdem als Höhepunkt der Saison gilt.

Von Reinhard J. Brembeck

Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim, der im November 80 Jahre alt wird, ist ein Wiederholungstäter. Am Klavier hat er sich seit frühester Jugend immer wieder mit Ludwig van Beethovens 32 Klaviersonaten auseinandergesetzt, diesem alle Gefühlswelten umfassenden Klangkosmos. Den Zyklus spielte Barenboim schon als 17-Jähriger 1960 in Tel Aviv öffentlich, er nahm ihn dreimal auf, zuletzt zu Beethovens 250. Geburtstag. Als Dirigent hat Barenboim sich genauso manisch mit Richard Wagner befasst, besonders mit dessen in jeder Hinsicht monströsen Vierteiler "Der Ring des Nibelungen". Berühmt geworden sind Barenboims Bayreuther Aufführungen, die er von 1988 an absolvierte, genauso die Gesamtaufführungen in Berlin, wo er seit 1992 als Musikchef der Staatsoper unter den Linden arbeitet. Jetzt zum 80.Geburtstag wollte sich Barenboim einen neuen "Ring" gönnen, den er gleich dreimal im Oktober aufführen sollte. Das wären dreimal fünfzehneinhalb Stunden an insgesamt zwölf Abenden geworden, dieser "Ring" gilt schon im Vorfeld als das Opernereignis der beginnenden Saison. Daraus aber wird nichts, Barenboim ist krank und hat abgesagt. Er hat Christian Thielemann und den Staatsoperkapellmeister Thomas Guggeis gebeten, diese Serie zu übernehmen.

Guggeis wie Thielemann, so erklärt Berlins Staatsoperintendant Matthias Schulz am Telefon, seien keine Überraschungskandidaten, sie waren für Folgeaufführungen des "Rings" vorgesehen. Deshalb nimmt sich die Berliner Umbesetzung etwas weniger spektakulär aus als die im Sommer in Bayreuth, als kurz vor der "Ring"-Premiere der an Corona erkrankte Pietari Inkinen gegen Cornelius Meister ausgetauscht werden musste. Es gibt aber eine wirkliche Parallele zu Bayreuth. Denn nur dort wird der "Ring" binnen Wochenfrist neu produziert. Selbst die großen Häuser schaffen das Projekt meist nur in zwei Spielzeiten, manchmal brauchen sie sogar vier. Berlin aber macht jetzt den "Ring" in acht Tagen, das ist ein Rekord. Wobei dieser Wahnwitz laut Schulz gar nicht auf den für Kunstgroßleistungen empfänglichen Barenboim zurückgeht, sondern auf Regisseur Dmitri Tcherniakov, einen der fantasievollsten und spannendsten Opernmacher derzeit, den Barenboim schon zu Beginn von dessen Karriere nach Berlin geholt hat.

Tcherniakovs "Ring" ergibt ein Zukunftsinstitut, in dem die Rettung der Menschheit verhandelt wird

Denn Tcherniakov denkt den "Ring" anders als viele Kollegen als eine Einheit, die auch als solche zeitnah erlebt werden will. Er hat sich dafür, technisch aufwendig, 13 Räume bauen lassen. Das Ganze ergibt ein Zukunftsinstitut, in dem die Rettung der Welt und der Menschheit verhandelt wird, mehr will Schulz nicht verraten. Aber das passt bestens zu Wagners "Ring"-Konzept, das eine Befreiung der Menschheit von den Göttern beschreibt, ist andererseits aber auch typisch für Tcherniakov, der Opern gern im Umkreis esoterischer Zirkel spielen lässt, die einen Ausweg aus den Existenzkrisen der Welt suchen.

Vor sieben Jahren gab es die ersten Gespräche zu diesem "Ring". Matthias Schulz hat dafür extra Gelder aufgetrieben und Regisseure von Produktionen vor und nach diesem "Ring" dazu überredet, ihre Konzepte schon früher abzugeben, damit der "Ring" ungestört auf die Bühne kommen kann. Im Zentrum stehen dabei aber die Sänger. Michael Volle wird die drei Wotan-Rollen singen, der früh von Barenboim geförderte Heldentenor Andreas Schager die beiden Siegfriede, der ein bisschen von den Bühnen verschwundene Rolando Villazón den Liederling Loge. Und die wunderbare Anja Kampe wird die drei Brünnhilden als Debüt hinwuchten. Wer, wenn nicht Barenboim, hätte sie dazu überreden können?

Daniel Barenboim geht anders als viele Musikerkollegen mit seinen Erkrankungen sehr offen um, er hat zuletzt sowohl die Augen- wie die Rückenoperation öffentlich gemacht, genauso jetzt die seltene Blutgefäßentzündung Vaskulitis, die er auf Anraten der Ärzte dringend auskurieren muss. Laut Schulz möchte Barenboim durch diese Offenheit Spekulationen vorbeugen, wie gut oder schlecht es um ihn steht. Das ist, so Schulz, Barenboims hohem künstlerischen Verantwortungsgefühl geschuldet. Genauso, dass er Thielemann anrief und um Hilfe bat. Und Thielemann, neben Barenboim der intimste "Ring"-Kenner weltweit, sagte zu, obwohl er noch ein Konzert in Dresden und eine Tournee absolvieren muss. Für die ersten beiden Teile ist die Probenzeit deshalb etwas reduziert, beim Rest dagegen kann er bei allen großen Proben dabei sein.

Und Daniel Barenboim? Wenn alles gut geht, dann wird er seinen Geburtstags-"Ring" im April nächsten Jahres dirigierend nachholen.

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