Philippe Jordan geht nach fünf Jahren.

Johannes Ifkovits

In der Champions League der klassischen Musik ist man sehr auf seinen Ruf bedacht. Die Nichtverlängerung eines Vertrags kommt einer kränkenden Kündigung gleich. Andrés Orozco-Estrada trat etwa über Nacht als Chefdirigent der Wiener Symphoniker zurück. Er führte Differenzen mit dem Management an, während das Orchester den Grund darin ortete, seinerseits Orozco-Estradas Vertrag nicht mehr über 2025 hinaus verlängert zu haben. Affront!

Nun auch sein Vorgänger bei den Symphonikern: Der Schweizer Philippe Jordan hat in einem Kurier-Interview kundgetan, seinen fünfjährigen Vertrag als Musikchef an der Wiener Staatsoper nicht mehr prolongieren zu wollen. Seine Begründung zusammengefasst: Er zeigte sich enttäuscht vom so genannten "deutschen Regietheater". Eine wirkliche Zusammenarbeit von Bühne und Orchestergraben sei für ihn nicht mehr realisierbar. Zu oft habe er Regie als Zumutung für Publikum und Mitwirkende erlebt. Das alles sei natürlich nicht nur Wien-spezifisch gemeint ...

Manche nerven

Klar: Schlecht vorbereitete, unmusische Regisseure, die ein Werk nicht aus der Musik heraus entwickeln können, nerven. Diese Ausnahmen zum Hauptcharakteristikum heutigen Musiktheaters zu erheben, wirkt aber bei Jordan etwas gar unglaubwürdig. Als gäbe es nichts anderes. als hätt er nicht gerne etwa mit Barrie Kosky in Bayreuth zusammengearbeitet, der an der Staatsoper nunmehr schon zwei Produtionen herausgebracht hatte.

Bis dato kannte man Jordan jedenfalls als an Erneuerung interessierten Partner anspruchsvoller Regisseure, der als Musikchef an der Pariser Oper weltoffen agierte. Auch deshalb wird ihn ja Direktor Bogdan Roščić eingeladen haben, an der notwendigen Erneuerung der Wiener Staatsoper mitzuarbeiten.

Gute Auslastung

Das Haus ist dabei, zum spannenden Zeitgenossen zu werden, an Einrichtungen wie die Bayerische Staatsoper anzuschließen, die Nikolaus Bachler als Intendant belebte.

Das Wiener Konzept geht auch quantitativ auf: Im September kratzte die Staatsoper auslastungsmäßig an die 100 Prozent. Nebst altehrwürdigen Regieversionen (die Legende Tosca etwa) geht es grundsätzlich darum, alten Werken Relevanz zu verschaffen und sie von nicht mehr zumutbaren Klischees (Frauenbilder, Minderheitenkränkung, Kriegsverherrlichung ...) zu befreien.

Mit einer Ästhetik aus Zeiten, als Kutschen noch nicht ahnten, dass sie von Autos ersetzt würden, könnten nämlich bald Fragen auftauchen, warum in Opern verpackte gesellschaftliche Stereotype subventioniert werden sollen.

Der Direktor widerspricht

Dass Jordan sich nun als eher reaktionär outet, lässt auf eine tragikomische Flucht nach vorn schließen. Roščić jedenfalls widerspricht ihm. Nicht Jordan habe eine Verlängerung abgelehnt; es war er, der Direktor, der ihm keine weitere Amtsperiode zugestand. Der sehr plausible Hintergrund: Es ist längst Stadtgespräch, dass die Chemie zwischen dem Staatsopernorchester und dem Dirigenten nicht die beste war.

So etwas kommt vor, ist keine Schande. Als einer der international respektierten Dirigenten hätte Jordan denn auch einen weniger (auto)destruktiven Weg wählen können, gesichtswahrend aus dem Amt zu scheiden. Mit seiner Breitseite gegen das Musiktheater hat er hingegen seine eigene Arbeit und das Verhältnis zu Orchester und Direktion weiter beschädigt.

Wie Jordan in dieser Atmosphäre in den nächsten drei Jahren Projekte – wie im Dezember Wagners Meistersinger – stemmen will, bleibt insofern rätselhaft. Nerven aus stahl hat nicht jeder Künstler. (Ljubiša Tošic, 3.10.2022)