1. Startseite
  2. Kultur

„Ich liebe Deutsch“: François-Xavier Roth dirigiert „Lohengrin“ an der Bayerischen Staatsoper

KommentareDrucken

François-Xavier Roth
François-Xavier Roth debütiert mit Wagners Schwanenritter-Saga an der Bayerischen Staatsoper. © Julien Mignot

Andere Dirigenten sagen immer, dass sie sich vom Repertoire her nicht festlegen lassen, François-Xavier Roth lebt das vor. Der Franzose, Jahrgang 1971, ist einer der Neugierigsten und Vielseitigsten seiner Zunft. An der Bayerischen Staatsoper debütiert er mit Wagners „Lohengrin“.

Lohengrin-Szene
Führer oder Schützer von Brabant? Klaus Florian Vogt (Mi.) als Lohengrin in der Neuinszenierung von Kornél Mundroczó. © Wilfried Hösl

Fühlen Sie sich manchmal wie ein Trainer aus Frankreich, der den Deutschen bei Wagner oder Bruckner das Pathos austreiben soll?

Nein, im Gegenteil. Ich habe bei den „Lohengrin“-Proben viel über die reiche und besondere Ausdruckskraft der deutschen Sprache gesprochen. Es ist ein so theatralischer Text. Ich habe zum Beispiel dem Chor gesagt, dass ich als Franzose sehr neidisch auf diese Sprache bin.

Nicht Ihr Ernst.

Aber ja! Diese Vielfalt! Und wie Wagner diese Ausdruckskraft benützt! Daran haben wir beim „Lohengrin“ sehr gearbeitet. Und was das Stück ganz allgemein betrifft, interessiert mich: Wie können wir heute besser verstehen und umsetzen, wie neu diese Musik damals war? Wo genau kommt sie her? Wo liegen ihre Wurzeln?

Ist es schwierig, dieses Stück an einem Haus zu dirigieren, an dem Wagner zur DNA gehört? Kann man sich gegen Traditionen durchsetzen?

Bevor ich eine Entscheidung für ein Engagement treffe, analysiere ich viel: Wäre es sinnvoll, dass ich in diesem Haus dieses Projekt dirigiere? Keine Frage, es gibt hier eine starke Tradition. Allerdings wurde auch unter Kirill Petrenko eine neue Wagner-Richtung eingeschlagen. Ich habe außerdem schon in der ersten Probe gemerkt, wie sehr das Orchester bereit ist, etwas Neues auszuprobieren. Ein Stimmführer sagte mir: „Ich freue mich darüber, weil ich weiß, warum ich probe.“ Das fand ich schön. Es gibt also eine große Flexibilität.

Sie haben ein Orchester gegründet, das auf Originalinstrumenten spielt, Les Siècles. Überhaupt befassen Sie sich viel mit historischer Aufführungspraxis. Ist dann ein Dirigat an einem Traditionshaus wie München ein ständiger Kompromiss?

Nein. Ich bringe hier etwas von meiner Arbeit mit. Aber ich bekomme auch viel vom Bayerischen Staatsorchester. Es wäre doch dumm, nicht auf den Tugenden des Ensembles aufzubauen. Mein Weg zu Wagner begann mit der Arbeit an Bach und führte weiter über Beethoven, Weber und Schumann. Ich habe das unglaubliche Glück, dass ich beide Extreme der Musikgeschichte intensiv kennenlernen durfte: die Komponisten unserer Zeit und die der Alten Musik. Oft während der Proben habe ich zum Beispiel über Györgi Ligeti gesprochen. Schon Wagner hat dieses Orchesterklang-Magma erfunden, diese stillen, reichen Flächen. Da gibt es eine direkte Brücke zu Ligeti.

Es gab in diesem Sommer in Bayreuth eine Debatte darüber, ob Lohengrin am Ende wie notiert „Führer von Brabant“ singen soll oder doch und wie dort seit Langem üblich das unverdächtige „Schützer“. Was singt er in München?

„Schützer.“ Ich persönlich hätte als Franzose kein Problem mit „Führer“. In Deutschland gibt es aber andere Parameter, und die verstehe ich sehr gut.

Ist Ihnen Wagner eigentlich sympathisch?

Mich interessiert, wie er als Komponist unsere Welt verändert hat. Der Mann interessiert mich nicht. Nehmen Sie den französischen Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline. Es ist zum Teil problematisch und antisemitisch, was er geschrieben hat. Aber in anderen Werken ist er genial. Oder: Alle sagen, dass Debussy nicht gerade eine nette Person war – aber seine Werke... Am „Lohengrin“ finde ich so einzigartig, dass ein Mann wie aus dem Nichts kommt, einer Frau helfen will und dafür die Bedingung stellt, dass sie sich nicht nach seiner Herkunft erkundigen darf. Das ist unglaublich aktuell. Heute gibt es genau die gleichen Fragen: Was sind wir? Wie definieren wir uns? Woher kommen wir? Akzeptieren wir die anderen nur durch ihr bloßes Da-Sein? Können wir sie so lieben?

Sie werden 2025 Chef des SWR-Symphonieorchesters. Haben Sie Angst ums Ensemble angesichts der Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Nein. Weil wir deutlich machen können und noch mehr sollten, wie wichtig diese Ensembles für das Kulturleben sind, vor allem für die Vermittlung von Kultur – was wiederum zum Rundfunkauftrag gehört. Was mir Angst macht, ist ganz allgemein eine populistische Diskussion: Alles, was mit Kultur, mit Intelligenz im Allgemeinen und letztlich mit Werten zu tun hat, wird für verzichtbar erklärt. Ich hoffe auf eine Gesellschaft, in der wir alle an Intelligenz und Kultur glauben. Und für diese Ziele brauchen wir entsprechende Institutionen. Die Politiker müssen realisieren, dass wir Musik machen für alle Generationen. Und dass Musik ein Modell sein kann für ein Zusammenleben. Da ich von meinem Naturell her Optimist bin, habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben.

Sie haben in Köln die Konzertstruktur aufgebrochen. Es gab etwa ein Mitmach- oder ein Bürgerorchester, sie erläutern viel auf dem Podium. Andere tun das nicht. Haben die Musikmacher auch etwas versäumt?

Vielleicht waren wir in der Klassikwelt ein bisschen zu arrogant. Was ich faszinierend finde etwa an einer Bruckner-Symphonie: Sie dauert so lange, wie sie dauert. Sie kann also nie ein Fall für TikTok sein. Das ist unser Schatz. Und manchmal eine Schwierigkeit in unserer Zeit. Wir müssen klarmachen, dass eine solche Symphonie etwas für alle ist, nicht für einen Privatclub von reichen Abonnenten oder für solche, die sich intensiv damit beschäftigt haben. Dafür müssen wir auch ungewöhnliche Formate finden – was für uns Interpreten eine andere Rolle bedeutet. Ich habe in Köln einmal als Zugabe das Chanson „La Mer“ von Trenet gesungen. Alle meinten: „Das musst du öfters machen.“ Darauf ich: „Nein, das war einmal, und nun finden wir andere Experimente.“

Sind Sie oft neidisch auf Sänger?

Ja. Andererseits nein, weil ich nicht neidisch auf ihr Leben bin. Ich mag gern etwas trinken oder auch rauchen... Alle diese sehr gesunden Dinge, die nicht ganz zum Sängerleben passen.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Premiere am 3. Dezember, 17 Uhr; Internet-Übertragung auf staatsoper.tv.

Auch interessant

Kommentare