Bogdan Roščić will, dass sich der Opernball "solidarisch mit jenen zeigt, die derzeit ganz andere Sorgen haben".

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Ausnahmesituationen prägen seine Amtszeit: Erst musste Bogdan Roščić die Wiener Staatsoper durch mehrere Lockdowns navigieren, dann brach eine Energiekrise aus, und die Preise schnellten nach oben. Im Oktober schließlich eine Debatte um Musikdirektor Philippe Jordan, der bekundete, seinen Fünfjahresvertrag nicht verlängern zu wollen. Roščić widersprach: Er sei es gewesen, der Jordan nicht verlängere.

Vor der Premiere von Wagners Meistersinger äußert sich jetzt Roščić erstmals zur musikalischen Zukunft des Hauses. Das Interview gewährte er allerdings nur schriftlich. Nachfragen zu Jordan lehnte der Direktor ab.

STANDARD: Es heißt: Solange die Philharmoniker, also das Staatsopernorchester, gut spielen, die besten Stimmen vorbeischauen und die Dirigenten solide bis mitunter sehr gut sind, geht es der Staatsoper gut. Das reicht dann für den Weltruhm. Sie allerdings traten an, um das Haus zu erneuern. Wie weit sind Sie schon gekommen?

Roščić: So weit kommt’s noch, dass man die Staatsoper betrachten soll wie ein beliebtes Ausflugslokal mit super Aussicht, nach dem Motto: Solange das Öl in der Fritteuse ab und zu getauscht wird, kommen die Leute doch eh. Mit "das reicht" erreicht man wenig. Kunst ohne permanente Erneuerung gibt es nicht, für Theater gilt das doppelt.

STANDARD: Was bedeutet das inhaltlich konkret?

Roščić: Es beginnt bei der Musik. Ältere Aufnahmen zeigen, wie sehr sich Interpretationen schon innerhalb weniger Jahrzehnte ändern, nicht nur vokal, und nicht nur bei Mozart. Es geht weiter damit, was man überhaupt spielt – inklusive der Stellung eines Hauses zur Moderne: wie man es inszeniert, ausstattet, beleuchtet, wie man es präsentiert und mit dem Publikum darüber spricht … Alles ändert sich, ob man will oder nicht. Die Frage ist nur, ob man mitgeschleift wird oder etwas daraus macht. Wo wir damit stehen, sollen andere beurteilen.

STANDARD: In der Pandemie mussten Sie verstärkt das in Österreich situierte Publikum ansprechen, Touristen gab es keine. Wie nachhaltig war das, können Sie das lokale Publikum halten?

Roščić: Wir haben jetzt September und Oktober ausgewertet. Da waren es erstens wesentlich mehr internationale Gäste als im selben Zeitraum 2019, also vor der Pandemie. Aber vor allem sind da deutlich mehr heimische Käuferinnen und Käufer, zusammengenommen über 20 Prozent mehr. Das ist sehr wichtig, darum haben wir uns sehr bemüht. Denn pro Kunde wurden im Schnitt zwar etwas weniger Karten gekauft als vor der Krise, was ein klarer Hinweis auf wirtschaftlich schwierige Zeiten ist. Aber die weit höhere Anzahl der Käufer kompensiert das. Darum war etwa der September heuer für die Staatsoper finanziell der beste bisher verzeichnete, und die Saison geht sehr positiv weiter.

STANDARD: In vielen Häusern kommt das Publikum nicht mehr so zahlreich und, wenn, kurzfristiger.

Roščić: Kurzfristiger dürfte stimmen, aber wie kommen Sie auf "nicht so zahlreich"? Die Staatsoper hatte im erwähnten September eine Auslastung von fast 98 Prozent, im November ist man näher bei 99 Prozent. Alles kein Grund für Triumphgeheul, wir haben Rezession und Krieg, und die Pandemie nimmt in China wohl gerade noch einmal richtig Anlauf. Man soll sich da nicht zu sehr mit Zahlenspielereien beschäftigen. Aber wir müssen auch nicht permanent die Kultur krankreden.

STANDARD: Welche Veränderungen am Konzept müssen Sie wegen der explodierenden Kosten vornehmen?

Roščić: Aufgelaufen bis zum Jahresende liegen wir einnahmenmäßig 33 Prozent über Budget, und der Dezember hat erst begonnen. Bei den rapide steigenden Kosten, vor allem der dringend nötigen Inflationsabgeltung für die Belegschaft, hilft uns natürlich zusätzlich die Republik durch höhere Subvention. Das ist auch der einzige Weg, denn die Staatsoper ist so frugal geführt, dass substanzielle Einsparungen ohne Einschränkung des Angebots nicht möglich sind.

STANDARD: Müssen Sie auch Produktionen streichen oder verschieben wie Ihr Kollege in München?

Roščić: Nein.

STANDARD: Ihre Energiekosten müssen exorbitant sein. Was können Sie tun, außer die Heizung herunterzudrehen?

Roščić: Man kann genauso viel oder wenig tun wie alle anderen, die betroffen sind. Wir setzen ohnehin, soweit möglich, energiesparende Technologien ein. Es wird ein ursprünglich vom Denkmalamt abgelehntes Photovoltaikprojekt neu geprüft. Aber ansonsten heißt es Energie sparen. Neulich hatte ich im Büro 17 Grad, das war mir dann doch etwas zu tugendhaft. Eventuell muss ich mir den Ofen aus der Mansarde in der Bohème ausborgen.

STANDARD: Der Altersdurchschnitt der Staatsopernbesucher ist sehr hoch, man sagt, um zehn Jahre älter als in vergleichbaren Häusern. Konnten Sie ihn bereits senken?

Roščić: Die Staatsoper hat das Alter ihrer Gäste in der Vergangenheit nicht erfragt, man kann das nur auf Umwegen und lückenhaft feststellen. Aber es gibt ausreichend Belege, dass wir deutlich über vergleichbaren Häusern liegen. Auch daher kommen ja die vielen Maßnahmen der Erneuerung, Öffnung und Verjüngung. Allein das Einführen der Aktionen für unter 27-Jährige – man muss dafür nicht mehr Student sein wie früher – hat die Anzahl der verkauften Tickets in dieser Altersgruppe vervielfacht. Wie wir im neuen Ticketing-System das Alter besser erfragen, ist noch in Arbeit.

STANDARD: Eines Ihrer größten Anliegen ist die "Öffnung des Hauses". Wird man relevant für die Jungen, wenn man die "Meistersinger" von Keith Warner inszenieren lässt?

Roščić: Da sind Sie in den falschen Kategorien unterwegs! Die Kunst ist keine Ware, die sich auf ihre Zielgruppeneignung hin betasten lassen muss. Zweitens hat die Staatsoper für alle da zu sein, also muss man schon das gesamte Angebot betrachten. Relevant ist ein Haus, indem es die unvergängliche Aktualität der Werke immer neu zum Ausdruck bringt und allen Gruppen des Publikums den Zugang dazu ermöglicht. Und da hat ein neues, ein junges Publikum seine eigenen Kriterien. Es geht generell nie darum, irgendwelche Vorstellungen auf jung zu frisieren. Weder brauchen sie das, noch wäre das junge Publikum an so etwas interessiert.

STANDARD: Wagners "Meistersinger" werden von Musikdirektor Philippe Jordan dirigiert, dessen Amtszeit nach fünf Jahren enden wird. Wie gestalteten sich die Proben mit dem Wiener Staatsopernorchester? Das Verhältnis ist ja sehr belastet.

Roščić: Die Meistersinger von Nürnberg sind für jedes Theater eine der ultimativen Herausforderungen, und das ganze Team ist seit Wochen auf Hochspannung. Die Proben waren daher, ob mit oder ohne Orchester, so professionell und so ehrgeizig, wie es an einem großen Haus bei einem so wichtigen Projekt selbstverständlich ist.

STANDARD: Ist die Konstellation Direktor/Musikchef nicht ein sicherer Weg in den Konflikt? Beim Vorgänger hat es auch nicht friedlich geklappt.

Roščić: Nein, da ist kein Weg vorgezeichnet, und zwischen uns gibt es auch keinen Konflikt, ein solcher wäre zu lösen gewesen.

STANDARD: Wird der Posten des Musikchefs nachbesetzt?

Roščić: Der Posten des Musikdirektors war in Wien immer schon ein spezieller Fall, weil die musikalische Identifikationsfigur der Staatsoper sehr stark auch ihr Orchester ist. Das ist in dieser Form einzigartig. Und das Orchester hat, auch aus seiner zweiten Identität als Philharmoniker heraus, eigene Vorstellungen. Ein sehr berühmter Dirigent meinte zu mir: "Ihr Orchester will eben Promiskuität." Die Staatsoper war historisch wesentlich länger ohne Musikdirektor als mit, beide Modelle können große Vor- und Nachteile haben. Ab September 2025 wird das Haus keinen Musikdirektor haben. Ich konzentriere mich dann auf die intensive Zusammenarbeit mit einer Gruppe wichtiger Dirigenten.

STANDARD: Im Februar 2023 werden Sie voraussichtlich als Direktor Ihren ersten Opernball bestreiten. Im vergangenen Jahr präsentierten Sie statt einer Organisatorin ein dreiköpfiges Komitee. Welche Neuerungen erwarten Sie?

Roščić: Das präsentieren wir alles im Jänner. Der auffälligste Akzent ist sicher das Ausmaß, in dem der Opernball sich solidarisch zeigt mit jenen, die derzeit ganz andere Sorgen haben. Es ist eben kein Ball wie jeder andere, und man kann nicht so tun, als wäre ringsum alles wie immer. Da wird hoffentlich viel Geld zusammenkommen. Ich spüre den wohlwollenden Blick von Lotte Tobisch auf diesem Plan ruhen. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, Ljubiša Tošic, 2.12.2022)