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Nikolaus Bachler: „Intendanten sind feige geworden“

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Nikolaus Bachler
Nikolaus Bachler ist seit 2022 künstlerischer Leiter der Osterfestspiele und war von 2008 bis 2021 Intendant der Bayerischen Staatsoper. © Fritz Beck

Ab diesem Jahr ist er bei den Osterfestspielen Salzburg Alleinherrscher: Intendant Nikolaus Bachler hat die explosive Zusammenarbeit mit Christian Thielemann überstanden. Und dafür gesorgt, dass die Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko Baden-Baden verlassen und nach Salzburg zurückkehren. Ein Gespräch über die Festival-Zukunft, Kultur nach Corona und Gesinnungsprüfungen für Künstler.

Trauen Sie sich noch nach Baden-Baden?

Ja, weil dieser Vorgang für alle Seiten sehr in Ordnung war. Nach immerhin zehn Jahren Berliner Philharmoniker in Baden-Baden ist es ja auch nicht so, dass dort etwas abbricht. Außerdem gehört das Ensemble als Gründungsorchester irgendwie zur DNA der Osterfestspiele Salzburg.

Heißt das für Sie: Mission erfüllt?

Ich habe das nie als Mission gesehen. Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt durch meinen Kontakt zu Kirill Petrenko. Diese Gespräche haben sich über anderthalb Jahre gezogen, übrigens unbemerkt von der Öffentlichkeit. Nach zehn Jahren Staatskapelle Dresden mit Christian Thielemann in Salzburg war meine Mission, die Festspiele mit wechselnden Orchestern durchzuführen. Außerdem: Jedem ist doch klar, was hier eine Karte kostet. Und wenn man dann drei Monate später dieselbe Produktion mit Thielemann in Dresden für 60 Euro sehen kann, dann konnte das auf Dauer nicht funktionieren.

Einmal ausgefallen, einmal ein Ersatzfestival im Herbst: Wie ist die finanzielle Situation?

Die Lage ist ausgeglichen, wir sind schuldenfrei und haben keine finanziellen Probleme. Trotzdem ist die Situation angespannt, weil wir ein nahezu selbst finanziertes Festival sind. Eine solche Situation ist auch für mich neu, weil ich quasi eine Privatveranstaltung leite. Nicht umsonst ist Molière abends immer als Erstes zur Kasse gegangen. Welches Publikum zu uns kommt, wie ich alles finanziere bei immer höheren Kosten, wo das Geld herkommt, das alles bedeutet einen großen Aufwand.

Die Corona-Jahre haben auch Auswirkungen auf die Programmatik der Kulturinstitutionen. Karten für Entlegenes werden immer weniger gekauft. Die Osterfestspiele waren schon immer in einem Korsett von etwa 15 Opern gefangen. Wird das jetzt noch enger?

Enger kann’s nicht werden, weil es eben nicht mehr als 15 Blockbuster gibt. Was sich überall stark verändert, ist das Publikum und sein Verhalten. Auch wie kurzfristig man sich entscheidet für einen Kartenkauf. Abonnements oder Fördervereine sind eigentlich veraltete Mechanismen, die mit einer jüngeren Generation nicht mehr kompatibel sind. Zweites Problem: Die privaten Unterstützer sind fast nur ältere Leute. Die Jungen, das sieht man zum Beispiel in den USA, investieren lieber ins Silicon Valley. Und da Staatsgelder nicht mehr so fließen, werden sich für die Kultur erhebliche Probleme auftun. Und das Allergefährlichste ist: Zwei Jahre lang wurde immer alles, gerade der Besucherschwund, mit Corona begründet. Dabei ist dem gar nicht so.

Die Pandemie als Katalysator, der grundsätzliche Probleme der Kulturszene offenbart?

Absolut. Und dazu kommt, dass wir in den Theatern viele Leute sitzen haben, die keine Allround-Profis sind. Entweder kommen sie von der dramaturgischen Seite und sind zu wenig Unternehmer. Oder sie verstehen etwas vom Geld, sind aber kaum künstlerisch orientiert. Früher waren die Leute zehn Jahre in Augsburg, sind dann nach Stuttgart und so weiter. Es gibt einen sehr schönen Satz in „Leonce und Lena“ von Büchner: „Die Kategorien sind in der schändlichsten Verwirrung.“ So ist es gerade ein bisschen in der Kultur.

Wie zeitgemäß ist dann überhaupt noch ein Elitenfestival wie die Osterfestspiele?

Das hängt immer von den Projekten ab. Unseren „Tannhäuser“ jetzt könnten wir fünf- statt dreimal spielen. Aber eines müssen wir machen, und das kommt 2024 noch stärker als jetzt: Wir müssen neue Projekte für eine neues Publikum planen und die Preiskategorien hinterfragen. Auch wenn es bei den Osterfestspielen ein treues Publikum gibt, müssen wir ein bestimmtes Segment anbieten mit günstigeren Tickets. Letztlich muss jede Kulturinstitution lebendig bleiben, indem sie auf aktuelle Entwicklungen reagiert. Prinzipiell gilt aber gerade: Man muss viel mehr aufs Publikum schauen, als wir das in der Vergangenheit gewohnt waren. Das Kino hat das übrigens immer geschafft.

Aber wie vertragen sich die Veränderungen hier mit dem Zwang zum Blockbuster?

Es geht ja immer darum, und das haben wir auch in München bewiesen, wie man den Blockbuster interpretiert. Wie schaue ich heute auf ihn? Häuser wie Frankfurt, Brüssel und Stuttgart haben als erste gezeigt, dass es entscheidend ist, wie ich mit den Werken umgehe. Wir sehen doch gerade: Italien, das Mutterland der Oper, ist tot, was das Musiktheater betrifft. Die meisten Opernhäuser gibt es dort gar nicht mehr oder sie spielen sehr eingeschränkt. In Deutschland dagegen boomt der theatralische Bereich noch immer.

Besteht nicht die Gefahr, dass man die Kunst im Zugehen aufs Publikum vereinfacht, ihre Ecken und Kanten abschleift? Ein neuer Biedermeier?

Ich glaube das Gegenteil. Gerade wachsen doch Generationen heran, die sehr bildlich orientiert sind. Kaum etwas darf textlich sein. Alles muss sinnlich erfahrbar sein. Biedermeier geht natürlich gar nicht – man nehme nur die toll besetzte Wiener „Aida“, die aber so wirkte, als habe man Verona importiert. Es gibt kein Zurück. Wir müssen Wege finden, die die Menschen mitnehmen und die verständlich sind. Es geht um kein Spezialpublikum. Das bedeutet aber nicht simple Theatersprache. Außerdem befinden wir uns gerade in einem personellen Umbruch. Nehmen Sie nur die Dirigenten: Die große, wichtige Generation ist sehr alt oder nicht mehr da. Und von den jungen Künstlerinnen und Künstlern sind bislang sehr wenige in Spitzenpositionen hineingewachsen.

Wird es diese Idole überhaupt noch geben mit ihrer entsprechender Magnetwirkung?

In der Steiermark, wo ich herkomme, gibt es einen Spruch: „Neue Zeit, neue Leut‘.“ Es gab doch schon einen Riesenunterschied zwischen dem Maestro-Typ eines Toscanini und dem eines Abbado. Auch den Diktatoren-Intendanten gibt es eigentlich nicht mehr. Wir sind mehr angehalten zu überzeugen. Was sich nicht ändern wird: In der Kunst wird die Anziehungskraft immer vom Ausnahmetalent ausgehen. Doch wie das künftig ausschaut, wissen wir noch nicht. Es gibt keine neue Callas. Und die Wirkung einer Callas wäre heute eine ganz andere.

In unserem Interview zu Ihrem Münchner Abschied sagten Sie: „Für wirkliche Veränderungen ist diese Krise noch zu gering.“ Bleiben Sie dabei?

Ja. Weil wir so etwas Einschneidendes wie den Zweiten Weltkrieg eben nicht mitgemacht haben. Was die Kunst betrifft, fließt alles nicht in alte Bahnen zurück, die Veränderungen vollziehen sich aber langsamer. Es wird eben nicht so, wie es war. Alle kämpfen gerade und sind unsicher. Außerdem muss das Corona-Gießkannenprinzip irgendwann bezahlt werden. Wir sitzen immer noch im Restaurant und kriegen keine Rechnung. Die Briten sind gerade schrecklich radikal und streichen ganze Häuser.

Fühlen Sie sich deshalb bei den Osterfestspielen vielleicht sogar sicherer, weil dieses Festival immer mehr dem Kulinarischen verpflichtet war als „Arthouse-Kino-Häuser“, wie Sie diese mal genannt haben?

Sicher kann man sich nie fühlen. Es war immer mein Prinzip, dass ich genau wissen muss, an welchem Ort ich arbeite. Deshalb konnte ich die Bayerische Staatsoper auch nicht nach dem Arthouse-Prinzip leiten. Der Vorteil hier: Die Osterfestspiele sind überschaubar. Und wir sind ein freies Unternehmen, das wie jeder andere Betrieb agieren kann und muss.

Corona dürfte also für eine Art künstlerische Bereinigung sorgen. Es wird deutlicher, was geht und was nicht – das sieht man etwa im Schauspielbereich zum Beispiel an den Münchner Kammerspielen mit ihrer Auslastung von 58 Prozent im Gegensatz zum Volkstheater derselben Stadt.

Krisenzeiten sind immer Bereinigungszeiten. Christian Stückl als Intendant des Volkstheaters ist ein gutes Beispiel. Weil er auf die Menschen zugeht. In den 60er- und 70er-Jahren galt ja ein leeres Theater als ein gutes Theater. Und das können wir uns gerade nicht mehr leisten – in jeglicher Hinsicht. Im Grunde ist das Publikum der Gewinner unserer jetzigen Krise. Um mit Schiller zusprechen: „Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe.“

Muss sich die Kunst immer mehr politisch rechtfertigen? Etwa was das Engagement russischer Diven oder russischer Pultstars betrifft?

Nein. Ich würde mir wünschen, dass ein Künstler, der in einem fragwürdigen System lebt, eine Haltung dazu hat. Aber wer sind wir denn, dass wir von Künstlern Aussagen verlangen? Wenn ich mich in jemanden verliebe, mit ihm zusammenarbeite, dann hoffe ich, dass er ein humanistisches Weltbild hat. Aber Gesinnungsprüfungen in der Kunst - wo hört das alles auf? Wo fängt es an?

Und trotzdem müssen sich gerade Intendanten rechtfertigen, warum sie Anna Netrebko engagieren. Also gibt es doch einen Rechtfertigungsdruck.

Ja, schon. Aber mit dem muss man anders umgehen als verängstigt, versteckt und feige, wie es gerade passiert. Es gab und gibt zum Beispiel Schauspieler oder Regisseure mit einer furchtbaren politischen Haltung, mit denen wollte ich als Burgtheater-Intendant nicht zusammenarbeiten. Aber das ist meine Sache. Es kann doch keine Polit-Kontrollen an der Theaterpforte geben. Zum Thema Rolle der USA in Nicaragua gab’s das auch nicht.

Keiner hat jemals Lorin Maazel gefragt, wie er zu Guantanamo steht.

Zum Beispiel. Und das hat nicht mit der evidenten Grauenhaftigkeit eines Krieges zu tun. Sondern mit einer Scheinheiligkeit, die medial auch noch befördert wird. Ich sehe es sogar ganz anders: Die Kunst hat eher die Verpflichtung dagegenzuhalten. Und Wahrhaftigkeit einzufordern.

Dem entgegen steht aber, dass Differenzierung und Komplexität in der öffentlichen Debatte gerade nicht en vogue sind.

Wir leben in einer Zeit, in der Debatten tatsächlich ersterben. „Ich bin interessiert an Ihrer anderen Meinung und Sie an meiner“: Diese Debatte findet kaum mehr statt. Dagegen geht es ums Fertigmachen. Ich kann auch keine Talkshows mehr anschauen, weil die Leute dort gecastet werden wie in Shakespeares „Macbeth“: Ich brauche für den Guten noch einen Bösen und so weiter. Das führt doch zu nichts. Und hat auch mit den Sozialen Netzwerken und der ständigen Verfügbarkeit von vorgeblichen Meinungen zu tun. Das ist ganz gefährlich für die Demokratie. Vielleicht muss die Kunst hier eine Art Märtyrer-Rolle einnehmen.

Was glauben Sie: Wie groß sind denn diese Meinungsblasen überhaupt, die zum Beispiel Netrebko verdammen? Als sie vergangenen Sommer in Regensburg sang, gab es nur eine Mini-Demo vor dem fürstlichen Schloss.

Meinungsblasen mit entsprechenden Meinungsmachern gibt es immer. Nehmen wir ein anderes Thema, das Gendern. Ich glaube, 90 Prozent der Menschen wissen gar nicht, was Gendern ist. Das Problem ist bei all diesen Dingen, dass Meinungsmacher, so sehr sie auch in der Unterzahl sein mögen, trotzdem eine gewisse Auswirkung auf gesellschaftliche Prozesse haben. Und deshalb sage ich: Solche Debatten sind viel gefährlicher für die Demokratie als für die Kunst. Die ist viel stabiler. Vielleicht gibt es wie im Mittelalter mal hundert Jahre gar nichts. Aber dann ist die Kunst wieder da – weil sie zum Wesen des Menschen gehört.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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