Festspiele
Asmik Grigorian in Salzburg.
imago images/Manfred Siebinger

Opernsänger und -sängerinnen leisten Schwerstarbeit, dringen mit Regiemenschen tief in Werke ein und erarbeiten in wochenlangen Arbeitsphasen Details, damit aus Oper glaubwürdiges Musiktheater entsteht. Wachsen sie zu Stars heran – mit Reichweiten, wie sie etwa Elina Garanca oder Jonas Kaufmann erreichen, kann das Zeitengagement jedoch bescheidener ausfallen. Sechs Wochen ein Konzept erarbeiten, das dem Werk ungewohnte Aspekte abgringt? Nein, danke, heißt es dann mitunter.

Die 1981 geborene litauische Sopranistin Asmik Grigorian ist da anders. Kann schon sein, dass sie Nein sagt. Mittlerweile ein Weltstar, scheint sie dennoch gerne intensiv in Charaktere einzutauchen, wenn die Rahmenbedingungen für sie passen. Dann entsteht Besonderes, wie am Samstag bei den Salzburger Festspielen. Als Lady Macbeth hat sie ein markantes Porträt einer Frauenseele gezeichnet.

Fast wie Netrebko

Das hingebungsvolle Durchleuchten einer Rolle mit rein schauspielerischen Mitteln würde nicht reichen. Es braucht auch vokal Exzeptionelles, Stichwort Salome. Mit einer tadellosen Technik schaffte es Grigorian 2018 in der Inszenierung von Romeo Castellucci, eine besessene Frau mit vokalem Glanz zu verlebendigen. Damit gelang ihr, was zuvor nur Anna Netrebko 2002 in Salzburg bei Don Giovanni schaffte, nämlich ein globaler Durchbruch. Nicht, dass sie vor ihrem Salzburger Sensationsauftritt unbekannt gewesen wäre.

Salome allerdings gab ihr die Möglichkeit, sich fortan Rollen auszusuchen. Die Tochter eines armenischen Tenors und einer litauischen Sopranistin landete so in der Spitzenliga des anspruchsvollen Gesanges.

Wahrheit statt Schönheit

Wer sie zum Plausch trifft, hat eine allürenfreie Person vor sich, die auch von ihrer Bühnennervosität erzählt und davon, dass sie ohne ihrer Tochter Lea möglichst nicht verreist. In zweiter Ehe mit Regisseur Wassili Barchatow verheiratet, hat Grigorian auch einen Sohn aus erster Ehe. Das familiäre Umfeld ist ihr wichtig, um die Balance zu halten.

Sie hat ja einiges vor, als Künstlerin, die bei der Rollengestaltung im Zweifelsfall eher auf Wahrheit als auf süßlichen Schönklang setzt. Man wird sehen. Neue Rollen sind nie ohne Risiko. Schließlich kann sich Grigorian sogar Turandot und Norma vorstellen. Auch träumt sie davon, einmal im Leben Isolde darzustellen. Nun, wenn jemand, wie sie, Partien konsequent durchleuchtet, der wird auch erkennen, wo die eigenen Grenzen sind. (Ljubisa Tosic,30.7.2023)