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Aus der perfekten Perspektive: Die Staatsopern-Bilder von Wilfried Hösl

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Anna Netrebko in der Garderobe
Wie das Zitat eines berühmten Gemälde-Genres: Nur wenige Augenblicke blieben Wilfried Hösl für Anna Netrebko in ihrer Garderobe. © Wilfried Hösl

Die Bayerische Staatsoper ohne Wilfried Hösl? Nicht vorstellbar. Am Ende der Saison verabschiedet sich der Fotokünstler in den Ruhestand. Seine schönsten Bilder sind derzeit in einer Ausstellung zu sehen.

Mit die meisten Nerven hat ihn Anna Netrebko gekostet. Nicht weil sie sich allürenhaft einer Ablichtung verweigert hätte, im Gegenteil: Vor einer Münchner „Traviata“-Vorstellung, so gestattete sie, könne Wilfried Hösl gern zu ihr in die Garderobe kommen. Die Sopranistin befand sich damals im Karrieresteigflug, war aber noch kein Superstar. Erst zehn Minuten vor Aufführungsbeginn durfte Hösl die Tür zu ihr öffnen. Doch die Netrebko meinte bedauernd: erst einmal auf die Toilette. Sieben Minuten vor dem ersten Verdi-Takt war sie endlich bereit. Zeit für eine ultrakurze Foto-Session.

Wilfried Hösl
Selbstporträt: Wilfried Hösl vor einem seiner Bilder. © Wilfried Hösl

Was dabei entstand, ist derzeit im Marstall-Foyer des Münchner Nationaltheaters zu sehen. Eine junge Frau in Kostüm und Maske, umgeben von schier unzähligen Fotos großer Kolleginnen, die durch den Spiegel in Hösls Kamera blickt. Eine Anspielung auf ein Gemälde-Genre, mit dem wir in die Werkstatt eines Malers blicken. Wie ein Moment der flüchtigen Intimität, keine Inszenierung eines Fotokünstlers. Womit wir schon bei der Stärke dieses Mannes wären. Ein Hösl-Bild ist große Kunst, gerade weil es keine Kunst sein will. Eine scheinbare Momentaufnahme, mit signifikantem Vorwissen und bestechendem Handwerk gestaltet, die in einem Augenblick immens viel erzählt und enthüllt.

Aufwärmen für Ariodante
Aufwärmprogramm im noch leeren Münchner Nationaltheater vor einer Vorstellung von Händels „Ariodante“. © Wilfried Hösl

Eigentlich sollte Wilfried Hösl, Jahrgang 1957, schon im Ruhestand sein. Die Bayerische Staatsoper, an der er seit 1993 fest angestellt ist, bat ihn um eine Verlängerung bis zum ㈠Ende dieser Saison. Eine Staatsoper ohne Hösl-Bilder? Nicht vorstellbar. Zum Abschied ehrt das Haus diesen Fotografen nun mit einer Ausstellung. „Bühnenwelt – Weltbühne“ heißt sie und ist bis Ende Juli 2025 zu sehen. Ein Pflichtbesuch, nicht nur für Opernfans. Natürlich sind da die großen, bekannten Motive zu sehen. Das raffiniert ausgeleuchtete Stühle-Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann für Aribert Reimanns „Bernarda Albas Haus“. Oder die monumentale, schwarz-rote Kargheit in der „Elektra“-Inszenierung von Herbert Wernicke. Oder, relativ aktuell, die Nachbildung des „Hauses der Gewerkschaften“ in Moskau, wo Dmitri Tcherniakov Prokofjews „Krieg und Frieden“ ansiedelte. Das größte Bild zeigt einen Buben, der auf zusammengeschobenen Stühlen schläft. Es ist eine Szene aus Bergs „Wozzeck“. Eher ein Nebenmoment, der doch so viel aussagt über den Abend.

Rund 500 Premieren hat Hösl betreut

Genau das ist auch Thema der Ausstellung. Hösl geht hier weit über seine Tätigkeit als Dokumentar hinaus. Endlich darf er zur Gänze zeigen, was er kann. In drei Teile ist diese Schau gegliedert. In die Vorstellungsszenen (rund 500 Premieren hat Hösl betreut), in die Porträts von Künstlerinnen und Künstlern aus 40 Jahren sowie in „In maschera“ – Bilder, in denen Hösl mit dem Motiv der Theatermaske spielt, dabei auch surreale Wirkungen erzielt. Etwa, indem er Kostümpuppen ohne (!) die aufwendigen Kostüme Jürgen Roses zeigt oder in Überblendungen mit Fotos aus Auschwitz neue Seh-Räume eröffnet.

„Schon mehr als Dienstleistung“ solle sein Beruf sein, wie er findet. Eine Binse. Aber gerade weil Hösl-Bilder sich nicht als Selbstinszenierung vor die Aufführung und die Künstler schieben, sind sie so authentisch und einmalig. Und wer diesen Mann bei der Arbeit erlebt hat, wie er auch in Interview-Situationen zu verschwinden scheint, um doch alles mit der Kamera zu registrieren, der ahnt, warum diese Motive entstehen konnten. „Ich habe eben immer versucht, Aspekte zu beleuchten, die den Zuschauern nicht sofort oder gar nicht auffallen“, so sein schlichtes Credo.

Szene aus Wozzeck
Nebenmoment, der viel über die Aufführung erzählt: Szene aus Alban Bergs „Wozzeck“ in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg mit dem Sohn des Titelhelden. © Wilfried Hösl

Hösl, das merkt man seinem Turbo-Dialekt schnell an, stammt aus der Oberpfalz. Studiert hat er Fotoingenieurwesen in Köln. 1983 kam er ans Bayerische Staatsschauspiel, bis er vom damaligen Intendanten Peter Jonas an die Staatsoper abgeworben wurde. Entscheidend waren seine Fotos von Mozarts „Così fan tutte“ in der Regie Dieter Dorns und in der Ausstattung von Jürgen Rose. Immer wieder entließ ihn die Staatsoper auch für Auswärtsprojekte, Regisseure wie Christof Loy vertrauten gern auf die Kunst Wilfried Hösls. „Meine Situation war eine privilegierte. Ich hatte die Freiheit, mich zu entwickeln, wie ich wollte.“ Wer durch die Ausstellung flaniert, kann sich vor allem nicht sattsehen an den Porträts, die auf nie denunzierende Art das Wesen der Abgelichteten hervorholen.

Probleme mit Sängerinnen und Sängern, so sagt Hösl, habe es eigentlich nie gegeben. Gut, einige wenige Stars ließen sich die Bilder erst vorlegen. Und manchmal favorisierten die Dramaturgen andere Motive als der Fotograf. Wobei sich Letzterer, davon darf bei Hösls freundlich-bestimmter Art ausgegangen werden, schon irgendwie durchgesetzt hat. Über die Jahre wandelte er sich zum Opern-Nerd. „Zu meiner Überraschung wurde ich Wagner-Fan.“ Aus dem „Parsifal“ kann Hösl mühelos zitieren. Ein Instrument hat er übrigens nie gespielt, nur früher mal im Kirchenchor gesungen. Bis irgendwann der Punkt kam: „Gehst zur Probe oder zum Fußball?“

Edita Gruberova und Vesselina Kasarova
Probenszene: Edita Gruberova (re.) mit Vesselina Kasarova. © Wifried Hösl

Nicht nur drei Intendanzen hat Hösl an der Staatsoper mitgemacht, auch einschneidende Umstellungen von Schwarz-Weiß- auf Farbfotografie, vor allem auf Digitales. Letzteres habe ihn gerettet, „sonst wäre ich in meinen Negativen ertrunken“. Die nimmt er am Ende seiner Dienstzeit alle mit, weiß aber noch gar nicht, wo er die Kisten im eigenen Haus überhaupt unterbringen soll. Irgendwie, auch wenn er das nicht so ausdrückt, ist Hösl gute alte Schule geblieben. „Die Stoßrichtung der Theaterfotografie geht dahin, dass abseitige Motive ins Zentrum gerückt werden“, bedauert er. „Womit ich dagegen aufgewachsen bin: das rein Dokumentarische mit Subjektivität zu füllen.“ Und Videos auf der Bühne findet Hösl „das Langweiligste überhaupt für einen Fotografen“. Nur wenige Regisseure wie Castorf beherrschten dies. „Das Theater tut gut daran, sich auf Theatermittel zu besinnen.“

Jonas Kaufmann in Tosca
Jonas Kaufmann als Cavaradossi in einer Vorstellung von Puccinis „Tosca“. © Wilfried Hösl

Und jetzt? Nimmt Hösl langsam Abschied von der Staatsoper. Bei Premieren und Wiederaufnahmen wird er noch durchs Haus eilen oder aus der Loge fotografieren. Im Herbst erscheint ein Bildband im Münchner Schirmer/Mosel Verlag. Solange die Schau läuft, gibt es für Besucherinnen und Besucher in jedem Monat eine andere Postkarte mit einem Motiv zum Mitnehmen. Ein paar Hintersinnigkeiten hat er sich auch erlaubt: In der Schau finden sich Motive, die von den Fotografierten nicht freigegeben wurden, etwa ein sehr bezeichnendes einer sehr bezeichnenden Münchner Operngestalt. Aber auch solche Aufnahmen haben zu tun mit Hösls Begriff von Wahrhaftigkeit. „Ich war immer im Schatten, um den Lichtgestalten auf der Bühne den ihnen gebührenden Raum zuzuweisen. Mir war der Begriff Star-Fotograf immer suspekt. Für mich ist das einer, der Stars fotografieren darf.“

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