"Elektra": Eine flog übers Kuckucksnest

Elektra Eine flog uebers
Elektra Eine flog uebers(c) Oper Graz
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Grazer Oper: Die Neuproduktion der Richard-Strauss-Oper "Elektra" von Johannes Erath gerät zur platten Psychiatrie-Reportage.

Steinhof, Steinhof, mach's Türl auf, Elektra kommt im Dauerlauf?“ – So könnte man angesichts der Grazer Neuproduktion der „Elektra“ ein von André Heller tradiertes Wiener Spottverslein abwandeln. Wie bereits im doktrinär-oberlehrerhaften Programmheft dargetan („Durchsetzung der Deutungshoheit der Psychoanalyse“), erlag das Regieteam hilflos der Suggestion der örtlichen und zeitlichen Nähe zu Hofmannsthal und Freud.

Die diametralen Gegensätze zwischen der Psychoanalyse und der geistigen Welt von Hofmannsthal und Strauss ignorierend oder bewusst hemdsärmelig eliminierend, gerät diese Produktion zu einer Art unfreiwillig komischen Illustration der Moosbrugger-Szenen aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ mit abschließender Hommage an Hermann Nitschs Prinzendorfer Blutspiele – immerhin ist hierzulande Ende Jänner Sautanz-Zeit!

Eine Zitrone im Schwarzbuch des deutschen Regietheaters verdient, stellvertretend für das szenische Niveau des ganzen Abends, die Erkennungsszene. Vom Balkon herab tritt Orest ins Geschehen, und just während des wohl gewaltigsten As-Dur-Akkordfeldes der Musikgeschichte muss er den Weg vom Balkon auf die Bühne zurücklegen – Elektra ist vollkommen allein, niemand ist da, den sie wiedererkennen könnte!

Zu allem Überfluss senken sich über diese absurde Staffage erbsengrüne Gummibäume in das abgrundtief hässliche Bühnenbild – Dekonstruktion nennt man das heute, die mutwillige Zerstörung eines der allergrößten Momente des Musiktheaters.

Freilich auch am Schluss keine Spur von trunkener Ekstase oder tänzerischer Entfesselung, Tristesse macht sich breit, augenmüde und völlig ratlos bleibt man zurück.

Grazer Feinstaub liegt über allem

Mit atridisch-archaischer Tapferkeit kämpft Johannes Fritzsch gegen das szenische Desaster an und kann deshalb gar nicht an die orchestralen Sternstunden der „Frau ohne Schatten“ im Vorjahr anschließen. Eine Schicht Grazer Feinstaubs scheint über dem Klang zu liegen, die fließende Wärme der Chrysotemis-Musik ertönt in abgeblendetem Schwarz-Weiß-Klang. Solide und gewissenhaft einstudiert ist das alles, gewiss, aber, um ein legendäres Bonmot von Carlos Kleiber zu bemühen, verspürt man beinah den ganzen Abend hindurch musikalisch „zu wenig Nikotin im Rauch“.

Stephanie Friede gibt eine beeindruckend souveräne Elektra, ihre raubtierhafte vokale Angriffslust wird – leider weitgehend wortundeutlich – von weiten kantablen Bögen überwölbt. Gal James, in das allerlächerlichste Kostüm gezwängt, das in Graz je zu sehen war, lässt als sanfte Chrysotemis ihren lyrischen Sopran leuchtend erblühen, James Rutherford als Orest ist nicht weniger als eine Luxusbesetzung auf Weltklasseniveau, sein viriles Timbre tönt wie in Ehrfurcht gebietende delphische Bronze gegossen.

Manuel van Senden wird als Ägisth in die Rolle eines hilflosen Psychiaters gezwungen, tadellos die Mägde als keifende Klinikinsassinnen. Über die Verfassung der Stimme von Iris Vermillion mag man – aus gesangspädagogischer Sicht – geteilter Meinung sein, doch gelingt ihr ein grandioses Porträt der seelisch gepeinigten Klytämnestra: In den tiefen Lagen mehr deklamierend als tatsächlich singend und in den Höhen wunderbar hysterisch attackierend entsteht auch darstellerisch eine packende Deutung, die kaum überbietbar zu sein scheint – donnernder Applaus schließlich für diese Meisterleistung! Leider steht diese allein da im eben aufgeschlagenen Kapitel des Bandes „Vom Ursprung der heutigen Operntragödie aus dem Geist des Regietheaters“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2012)

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