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Abgründiges Seelentheater in Lammermoor

Manche Dramen lassen sich proben – andere nicht. Dass dem Stadttheater kurz vor der Premiere beinahe die «Lucia» abhanden gekommen wäre, gehört zweifellos zu letzteren. Silvia Dalla Benetta, die italienische Sopranistin, musste bei den Endproben krankheitshalber aussetzen. Laut gut unterrichteten Kreisen soll sich der deutsche Regisseur Kay Kuntze höchstselbst in das Gewand der «Lucia» geworfen haben – eine Travestie-Variante der besonderen Art. Nicht er allerdings, sondern eine Sängerin aus dem Chor hätte im schlimmsten Fall die Hauptrolle übernehmen sollen. So weit ist es dann doch nicht gekommen. Benetta bestritt am Samstag ihr Bern-Debüt – in einem vokalen Steigerungslauf, für den sie am Ende zu Recht mit Ovationen bedacht wurde. Kunstvolle Finsternis Ins Wasser fiel die Premiere trotzdem, gewissermassen. Denn Kay Kuntze lässt in seiner Inszenierung die Protagonisten von Donizettis Drama über weite Strecken im Regen stehen. Oder sind es Tränen, die in die kunstvolle Finsternis hinuntertropfen? So oder so: Mit (Pseudo-)Realismus hat das alles nichts zu tun. Kuntze und Bühnenbildner Duncan Hayler setzen auf die Macht expressiver Bilder, die von den Innenwelten der Figuren erzählen, vorab vom Kosmos der zwangsverheirateten Heldin, die zwischen die Fronten eines patriarchalischen Machtkampfs gerät und zur Gattenmörderin wird. An Seilen hängen teils steinige, teils stählerne Konstruktionen, die stets von neuem in Bewegung geraten und eine flüssige Inszenierung gewährleisten – erstaunlich, was die sanierungsbedürftige Theatertechnik noch immer hergibt. Kuntze nutzt die Elemente nicht nur für eine inspirierte Personenregie. Er schöpft daraus – auch dank der Lichtregie – eindrückliche Szenen, vor allem im dritten Akt, der konsequent aus Lucias Perspektive erzählt wird. Wie die Mörderin da kindlich-verschmitzt aus dem «Grab gewordenen Brautgemach» hervorlugt, wie sie den Vorhang des Himmelbetts niederreisst und den Blick auf ein Gemetzel freigibt: Das bringt nicht nur die Hochzeitsgäste (den engagierten Chor) zum Schaudern. Die Bildsprache zwischen Beengung und Befreiung, zwischen aggressiver Härte und Verletzlichkeit überzeugt auch deshalb, weil sie sich direkt aus der Metaphorik des Librettos speist. Selbst die Anspielung an da Vincis «Abendmahl» in der «Wahnsinnsszene» wirkt nicht aufgesetzt. Von der Regieidee, der armen Lucia noch ein Baby anzudichten, kann man das allerdings nicht behaupten. Erzählt wird weniger eine triste Liebesstory als eine tragische Geschwister- und Familiengeschichte, die mit dem Begräbnis von Lucias Mutter beginnt und im Begräbnis der Mutter gewordenen Tochter Lucia mündet. Fabelhafte Lucia Silvia Dalla Benetta, die zunächst noch etwas matt wirkt, zeichnet mit ihrer jugendlichen, zugleich tragfähigen Stimme eine fabelhafte Lucia – naiv und würdevoll zugleich. Facettenreich zeigt sich Robin Adams in der Rolle von Lucias Bruder Enrico Ashton: Hinter der eisernen Fassade des teuflisch-brutalen Lords verbirgt sich ein Gebeutelter, der zuletzt mit seinem Gewissen kämpft. Hoyoon Chung als Lucias Liebhaber gewinnt im Schlussakt gehörig an Kontur und wächst stimmlich über sich hinaus. Völlig eindimensional wirken dagegen Lucias priesterlicher «Erzieher» Raimondo (Carlos Esquivel) und der blasierte Arturo Bucklaw (Giacomo Patti). Dass die Produktion erst allmählich auf Touren kommt, liegt auch am Berner Symphonieorchester unter Srboljub Dinic, der im löblichen Bemühen um eine lyrisch-dezente Pianokultur mitunter bei der Langeweile landet – am deutlichsten beim ersten Auftritt der Lucia. Zwar fehlt es auch später noch an letzter Präzision, doch auch das Orchester beteiligt sich am beherzten Steigerungslauf, der in einem ebenso beherzten Schlussapplaus mündet. Oliver Meier;Vorstellungen: bis 16.Mai. www.stadttheaterbern.ch>