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Kultur

Ein Schwanenritter gegen die ganze Welt

"Lohengrin" von Richard Wagner an der Oper Kiel

Deutschland rüstet sich für den Krieg. König Heinrich wettert gegen die Gefahren aus dem Osten, er lässt Bilder vergangener Zerstörungstaten einblenden, um kampfeswillige Mannen zu rekrutieren. Die haben sich auf drei Tribünen zahlreich versammelt und wirken bereit, ihrem König im Dienste des Vaterlandes zu folgen. Kiels neuer "Lohengrin" spielt nicht in einem irgendwie mythischen Mittelalter, wie es Richard Wagner als echter Romantiker heraufbeschwor, in der Landeshauptstadt wird die Oper in Schwarz-Rot-Gold gespielt.

Eine kleine Nachhilfestunde in deutscher Geschichte kann im Regietheater schließlich nie schaden. Zumal bei Wagner, da passt das ja oft: Denn der zielte mit seinem Blick auf längst vergangene Zeiten zugleich auf seine Gegenwart, die Anfang der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts vorrevolutionär aufgeladen war. Altes Recht und neue Zeit sollten sich bald real politisch aneinander reiben. Als Katalysator der Veränderung sah der spätere Bayreuther Meister die Kunst, das heißt: sein Kunstwerk der Zukunft. Das sollte der Revolution ihren eigentlichen Sinn verleihen. In seinen fast immer scheiternden Helden verkörpert Wagner letztlich immer den Künstler, also sich selbst, und präsentiert uns somit immer wieder heroische Gegenfiguren zu einer lieblosen kapitalistischen "Welt des Hasses und des Haders".

Die hier in reinstem Schwanenweiß auftretende Lichtgestalt Lohengrin bringt aus der fernen Welt des Grals diese neue Botschaft mit. Sung-Kyu Park in der Titelpartie stolpert wunderbar unbeholfen die überlangen Treppenstufen hinunter ins kriegerische Brabant. Wie ein großes Kind, das in den falschen Film geraten ist, wirkt der rundgesichtige, junge koreanische Tenor. Und wir wissen nicht, ob diese Naivität der Unerfahrenheit des mit schönster Lyrik aufwartenden Sängers zuzuschreiben ist, der bislang im italienischen Repertoire reüssierte, oder ob Regisseur Georg Köhl den Protagonisten dezidiert so zeichnen wollte. Wie auch immer: Der Mann, der aus "Glanz und Wonne" des heiligen Grals auszog, die Ehre einer fälschlich beklagten Jungfrau namens Elsa (Katrin Adel als entzückend sopranglockige blonde Wagner-Maid) zu retten, ist jedenfalls sogleich unmissverständlich als die idealisierte Gegenfigur zur Gesellschaft zu erkennen.

Georg Köhl nimmt seinen Lohengrin als gottgesandten Strahlemann ernst, gibt ihn freilich im ersten Aufzug auch der Lächerlichkeit preis. Kündigt sich die Ankunft des Schwanenritters an, lässt der Regisseur statt der Kriegsbilder eine blaue Erdkugel einblenden, auf der ein holder Knabe in wolkenumflortem Gewand heranschwebt. Das ist herrlich kitschig. Gelungen ist dieser Regieeinfall: Lohengrins Kampf gegen Fiesling Telramund (Jörg Sabrowski wortklar und darstellerisch intensiv, ohne das Düster-dräuende der Rolle vokal zu beglaubigen) wird nicht per Schwert, sondern qua Akklamation des Chores entschieden. Wir lernen: Die Sehnsucht nach einem charismatischen Führer ist hierzulande ausgeprägt.

Wenn am Ende der Oper die Mobilmachung abgeschlossen ist und Lohengrin sich als Friedensbote outet, der die kampfbereiten Massen mitnichten in den Krieg führen darf, wird uns bewegend klar: Lohengrins Botschaft ist zu schön, um in dieser Welt wahr zu werden. Erzwingt die Regie nicht unbedingt eine Pilgerfahrt an die Förde, gibt es dennoch mindestens drei gute Gründe für einen Besuch in Kiel: Der von Barbara Kler vorzüglich einstudiere Chor hat eine so kraftvolle, homogene und spielstarke Präsenz, dass er seine Hamburger Kollegen abhängt. Mit Alexandra Petersamer ist eine Ortrud von Bayreuth-Format zu erleben. Raumbeherrschend schreitet sie in gefühllos intriganter Berechnung durch die Szene. Mit ihrem lodernd lauernden Tonfall, ihrem wirklich einmal hochdramatischen Wagner-Gesang und ihrer perfekten Diktion vertritt sie die alte Ordnung mit einer absoluten Autorität. Und Georg Fritzsch interpretiert die Partitur mit Kiels blechbläserpotenten, im Vorspiel allzu streicherzittrigen Philharmonikern ganz aus dem Geiste der frühromantischen Oper eines Carl Maria von Weber.

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