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Kultur

Als Bollywood noch in Frankreich lag

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Pariser Indien-Träume: Leo Delibes' "Lakmé" in der Oper Bonn

Ja, natürlich, Carmen knattert nach wie vor mit den Kastagnetten - als ewige Spielplan-Zweite nach der treudeutschen "Zauberflöte". Doch sonst kann man die Aufführungszahlen französischer Opern hierzulande mit der Lupe suchen. Besonders die der übel beleumundeten des 19. Jahrhunderts.

Das Schwere, die heftigen Grand-Opéra-Fünfakter à la Meyerbeer, Halévy oder Saint-Saëns werden nur selten exhumiert, über das Leichte, Moussierende, Charmante von Adam, Auber, Delibes, Offenbach und Massenet rümpft man allzu gern die Nase. Die Komische Oper Berlin und das Münchner Gärtnerplatztheater, die beiden auch dafür gegründeten Häuser, greifen kaum nach diesen Stücken; in Berlin wird immerhin gerade Aubers China-Lustspiel "Le Cheval de Bronze" für eine Premiere im März neu aufgezäumt. Auch Chabriers surreal witziger "L'Etoile" feiert gegenwärtig eine zarte Renaissance, und der schwierige, in Frankreich als Rebell verschriene Berlioz, den spielt man jenseits des Rheins schon aus Trotz.

An der Deutschen Oper Berlin haben erst kürzlich Georges Bizets pseudo-ceylonesische, raffiniert melodienselige "Perlenfischer" sogar konzertant ihr Publikum verzaubert. Wann aber hat die exotisch duftende "Lakmé" von Leo Delibes letztmals ihr fantastisches Indien-Parfüm an einem größeren deutschen Haus entfaltet? Deshalb wohl auch hat sich die finanziell bedrängte Oper Bonn ausgerechnet für dieses exotische Gewächs von 1883 starkgemacht. Und es im traditionellen, aber kitschfrei entschlackten Sari auf die Bühne geschickt, vor allem aber durch eine idiomatisch starke Wiedergabe seine nicht wenigen musikalischen Stärken betont.

Die handlungsmäßig einfache Oper über eine Brahmanen-Tochter, deren traditionsverhafteter Vater den Liebhaber seiner Tochter, einen englischen Offizier, umbringen will, bis sie sich schließlich mittels einer Stechapfelblüte vergiftet und für diesen opfert, würde von jeder rauen Regietheaterpranke allzu schnell erschlagen werden. Trotzdem lässt sie sich keineswegs auf die von der längst vergessenen Trillerdiva Lily Pons als Virtuosenstück missbrauchte "Glöckchenarie" reduzieren. "Lakmé" ist auch mehr als das sanft dahinsegelnde, vielfach zu Werbespot-Ehren (zuletzt bei der British Airways) gekommene Blumenduett "Viens, Malika". Der spritzige Ballettkomponist Leo Delibes war nicht umsonst einer der besten Instrumentatoren seiner Zeit.

So schlicht wie stimmig mischt sich gekonnt Kolonialismushintergrund mit schillernd fremdländischem Flair, der mit seinen Militärmärschen und Melismen, Bajaderen-Tänzen und schwerblütigen Duetten durchaus wie ein Vorläufer musicalgreller Bollywood-Träume anmutet. Ohne jede Spur indischer Authentizität entsteht ein nostalgisches Postkartenpanorama der Fernwehträume einer noch nicht globalisierten Zeit.

Leicht zu singen ist das nicht, doch Bonn war das Besetzungsglück hold. Mit apart verhangenem Timbre und lupenreiner Intonation springt Miriam Clark in der Titelrolle durch ihre Verzierungen, lässt der Figur Naivität und Glaubwürdigkeit. Rare Voix-Mixte-Kultur, die sich eben nicht in Lautstärke misst, bringt der zurückhaltende Rumäne Alexandru Badea für den eher passiven, aber kaum weniger anspruchsvollen Part des Gérard mit. Renatus Mészár als Nilakantha hasst etwas eindimensional und lässt seinen Bariton spröde strömen, und Kathrin Leidigs Mallika erweist sich als mezzosamtige Vokalbotanikerin.

Wie inszeniert man das? Mit Liebe. Und ohne sich als Regisseur allzu wichtig zu nehmen. Auf den ersten Blick mögen sich Paul-Emile Forneys malerische Arrangements in dem kahlen Schmuckgitterkasten von Benoît Dugardyn schlicht ausnehmen. Doch sie sind bedacht. Als Opernintendant von Nizza und Metz mit solchen Rührstücken vertraut, weiß er, wie man die heute behandelt. Die weißen Kolonialkostüme der Engländer gegen die wallende Buntheit der Inder (Giovanna Fiorentini hat sie eingekleidet) sind starke Kontraste, ebenso die flutende Masse der Eingeborenen hinter den am High-Tea-Tisch geduckten Besatzern. Der Raumteiler, der den Einheitsrahmen szenisch auflockert, trennt scharf die Sphären, besonders, wenn am Ende Gérard leben darf, sich dafür aber Lakmé opfert. So viel atavistischer Altruismus aus Liebe wird weggedreht, während auf der anderen Seite die hilflos in ihrem Wertesystem gefangenen Engländer in unserem Blickbereich verharren. Licht und Schatten, Nacht und Morgenstimmung schaffen mit einfachsten Mitteln zudem stimmige Effekte.

Leo Delibes' liebenswürdiges Meisterwerk findet einen eloquenten Anwalt in Stefan Blunier. Unter seinen empathischen Dirigentenhänden scheint und glüht das Beethovenorchester sensibel auf, folgt willig dem Luftwurzelwerk dieser schönen, feingliedrigen Partitur, überstrapaziert aber auch nicht ihre Werte. So braucht "Lakmé" keine Brechstange, um auf deutsche Musiktheater-Befindlichkeitsverhältnisse zurechtgebogen zu werden. Eine Wohltat.

Termine: 4., 8., 25. Februar, 18., 22. März, 1., 13., 20. April, 12. Mai, 1. Juni

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