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Verdis „Falstaff“: Das perfekte Dinner

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München - Brigitte Fassbaender inszenierte Giuseppe Verdis „Falstaff“ für ihr Tiroler Landestheater. Die Premierenkritik:

Abzusehen war das ja. Da ein Augenklimpern, dort ein (zu) langer Blick, dann auch noch ein Kuss auf den Hals: Falstaff und Mrs. Quickly, die taugen hier zum perfekten Paar. Nicht unbedingt, weil sie als Genussmenschen mit derselben Diät-Beratung arbeiten könnten. Nein, das Lebensdralle, die urgesunde Naivität, das verbindet sie. Und so lässt Brigitte Fassbaender ihre vorletzte Innsbrucker Inszenierung nicht mit einem entfesselten Tableau aller Beteiligten enden, sondern mit diesem Paar, das auf seine Zweisamkeit anstößt: Cheerio!

„Falstaff“, diese letzte geniale Wortmeldung Verdis in Sachen Oper, birgt Brandgefährliches. Eine winzige Prise Witz zu viel oder zu wenig, und der Abend endet als überwürzte Comedy oder als schale Leerstellen-Komik. Vor diesem Hintergrund ist der Chefin in ihrem Landestheater das perfekte Dinner geglückt. Nicht im schweißig-schwiemeligen Wirtshaus-Ambiente lässt Brigitte Fassbaender ihren „Falstaff“ spielen, sondern im lichten Ambiente eines englischen Nachkriegs-Clubs.

Kein abstoßendes Mannsbild-Gebirge hängt da seinem Weltschmerz nach. Bernd Valentins Schwerenöter ist ein tapsiger Charmebolzen mit Vorliebe für Großkariertes, ein britisches Riesenbärchen, das schon mal eine übermütige Stepp-Einlage wagt und das Windsors Weiber nicht nur aus Rachegründen gern ins Haus lassen. Zudem singt Valentin mit viriler, biegsamer Bariton-Eleganz, nie hohl auftrumpfend, vokal also ein (untersetzter) Bruder Don Giovannis – was für eine Glücksbesetzung.

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Kein Karikaturenalarm auch bei Falstaffs Gegenspielerinnen. Es ist eine Lust dabei zuzusehen, wie Alice (Christine Buffle mit feinherber Sopran-Eleganz), Kristina Cosumano (eine dezente Naturkomikerin) und Janina Baechle als nie zu überdosierte Quickly die Männerwelt samt Titelheld vorführen. Der aufgekratzte Charme der Fünfzigerjahre schwingt hier mit, vor allem eine Grundsympathie für alle Figuren, ein warmer Wohlfühlhumor, der vom Ambiente (Bühne: Helfried Lauckner) noch getragen und befördert wird: Alices Haus ist eine Blumentapetenorgie kurz vor der Geschmacksgrenze, von der Wand in Falstaffs Club grüßen Bilder mit Shakespeare-Wesen nebst Dichter und Verdi höchstselbst. Und „Hernes Eiche“ im Schlussbild ist kein düsterer Grusel-Ort, sondern – was sonst – ein gleichnamiger Pub. Michael D. Zimmermanns Kostüme sind dabei nicht nur satirisches Zitat der Fünfziger, sondern schlicht eine Augenweide.

Wie immer in Brigitte Fassbaenders Haus wird hochachtbar gesungen. Ums Zentralgestirn Bernd Valentin kreisen nicht nur die herrlichen Windsor-Weiber, sondern auch Susanne Langbein als höhensichere, soubrettig-süße Nanetta, die Pat-und-Patachon-Wiedergänger Sebastian Kroggel (Pistola) und Dale Albright (Bardolfo) sowie der fast überbesetzte Mark Adler (Cajus). Joshua Lindsay singt einen etwas reifen Fenton, und Costantino Finucci verlässt sich auf seinen körnigen Bariton, bleibt ansonsten meist Regie-resistent.

Im Graben hat derweil Christoph Poppen, früherer Chef des Münchener Kammerorchesters, den Turbo zugeschaltet. Das, was er mit dem reaktionsstarken Tiroler Symphonieorchester serviert, ist al dente. Eine knackige, immer offensive Deutung, die sich nur in den wenigen Lyrikliebesinseln beruhigt, gleichsam Atem zu schöpfen scheint für die nächste Turbulenz. Auch im Graben stimmen die Zutaten, kleine Irritationen, etwa in der Schlussfuge, dürften sich in den Folgeaufführungen geben.

Zu der lässt Brigitte Fassbaender altbritisches Dramen-Personal aufmarschieren: Falstaff wird gequält von Halbschwestern und -brüdern aus Shakespeare-Dramen. Einzig hier, beim finalen Irrsinn, scheint sich der Abend wie unschlüssig in der Kostüm-Orgie festzufahren. Was dann doch zu verschmerzen ist, allerliebreizender kann die Versöhnung schließlich nicht ausfallen – mit diesem (Kalorien-)verliebten Traumpaar.

Nächste Vorstellungen:

12., 19., 25., 29. Februar;

Telefon 0043/ 512/ 520 76 44.

Von Markus Thiel

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