„Rheingold“ in München : Im Strom der Leiber schwimmt der Mythos
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Riesenmordsache vor einem Haufen glänzender Barren: Thorsten Grümbel als Fasolt und Philip Ens als messerzückender Fafner in Andreas Kriegenburgs „Rheingold“-Inszenierung Bild: dpa
Mehr Mut zum Tauchen aber wäre erwünscht: Kriegenburgs und Naganos „Ring“-Beginn an der Bayerischen Staatsoper ist zwar eine solide Inszenierung, hängt jedoch zu sehr an alten Mustern.
Wagners „Ring des Nibelungen“ ist das Kunstwerk unserer Tage. Und dies keineswegs bloß im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2013, das schon jetzt landauf, landab berufene und weniger berufene Bühnen veranlasst, sich an diesem Opus maximum zu versuchen. Der „Ring“ sollte für uns heute weit mehr sein als ein renommeeträchtiges Spektakel: Denn Wagners gewaltige Erzählung vom Anfang und Ende einer Welt will als Gestalt gewordener Mythos immer auch Spiegel sein für die Machtmechanismen, sozialen Verwerfungen, Krisen und Visionen der eigenen Gegenwart.
Warum sieht man davon so wenig auf unseren Opernbühnen? Selten dürfte der destruktive, Menschen verformende und entwurzelnde Charakter eines global entfesselten Kapitalismus deutlicher geworden sein als im vergangenen Jahrzehnt. Ebendas aber ist Thema des „Rings“ - seit über 135 Jahren! Der Mut, Ross und Reiter namhaft zu machen, drastisch anzuklagen und auch die eine oder andere streitbare These wider den Zeitgeist zu riskieren, hat jedoch seit Wagners Zeiten eklatant abgenommen. Weil sich dergleichen im aktuellen Musiktheater angeblich nicht mehr schickt, weil Denkgebäude - und umfassende Welterklärungsmodelle - im Ruch des Größenwahns stehen, flüchten sich viele Regisseure in eine als Rückbesinnung auf den „eigentlichen“ Mythos verkaufte Reduktion, nämlich das bloße Nacherzählen der Handlung.
Ein Musterbeispiel für diesen Ansatz, bei dem das Wohlbekannte nur sehr zurückhaltend durch weiterführende Interpretationen angereichert wird, bietet auf hohem handwerklichen Niveau der gerade vollendete Frankfurter „Ring“ von Vera Nemirova. Dass nun auch Andreas Kriegenburg für den neuen „Ring“-Zyklus an der Bayerischen Staatsoper eine solche „Rückbesinnung“ ankündigte, ließ eine ähnlich mehrheitskonforme Flucht vor Wagners radikaler Weltdeutung und -verdeutlichung befürchten.
Das szenische Gewoge nimmt kein Ende
Wie Nemirova bringt Kriegenburg als erfahrener Schauspielregisseur indes die Fähigkeit mit, Wagners stellenweise kurios verquastes Libretto mit spitzem Bleistift zu lesen. Die genaue, offenkundig vom Weltuntergangsfinale der „Götterdämmerung“ aus gedachte Textanalyse machte nun zumindest aus dem „Rheingold“-Auftakt in seinen stärksten Momenten mehr als eine szenische Bebilderung der Handlung. Namentlich der Beginn ist stark: Auf der offenen Bühne, einem variablen Holzkasten von Harald B. Thor, tummelt sich schon vor dem mythengründlerischen Contra-Es des Urstromvorspiels eine weißgewandete Urgesellschaft. Man lässt es sich gutgehen dort am Uferrand, man liebt und neckt sich ein wenig, ist aber sonst in unkitschig-paradiesischer Arglosigkeit vereint.
Mit dem Einsatz des magischen Es-Dur-Gesprudels geht eine sonderbare Wandlung mit diesen Unschuldswesen vor: In einer kollektiven Performance beschmieren sie sich gegenseitig mit jenem Ultramarinblau, das durch Ives Klein zu einem Signum der Moderne geworden ist. Ein farbtrunkener Rheinstrom aus Menschenleibern formiert sich, und in dem Gewoge ist des Liebens, Betatschens und aufeinander Herumgleitens kein Ende.
Es bräuchte gegenwärtigere Inszenierungsmuster
Doch das Ganze will nichts anderes sein als eine wohl gewagte, aber sinnfällige Umsetzung jener Utopie, die immer wieder im „Ring“ beschworen wird: die Vision eines heilen Urzustands der Welt. Umso frappierender wirkt der Moment, in dem der beim Liebesreigen tödlich gekränkte Alberich - der ungemein spielstarke, gesanglich in der Höhe aber etwas beengte Johannes Martin Kränzle - Eigennutz über das Gemeinnutzl stellt und den drei glitschigen Flussfräulein ihr Goldspielzeug raubt. Selten dürfte so klar geworden sein, dass dieser Raub, der in Wagners Entwürfen ja sogar im Titel des Stückes stand, ein Sündenfall und ein Zivilisationsbruch ist.
Alberich wird mit Hilfe des gestohlenen Goldes ein finsteres Imperium auf dem Rücken übel geknechteter Grubenarbeiter aufbauen. Das Programmheft legt Assoziationen mit Goldminen in Afrika, China oder Südamerika nahe. Es fragt sich jedoch, ob der Raubtierkapitalismus nicht längst andere, uns näher liegende Formen angenommen hat. Überhaupt fällt die Inszenierung nach dem starken Beginn immer mehr in alte Muster zurück. Eine Burgmauer aus Körpern, ein paar schlotternde Lemuren, die den sehr irdischen Auftritt der Erda von Catherine Wyn-Rogers begleiten - danach hat es sich mit eigenen neuen Ideen. Der Rest ist solide Schauspielregie-Routine, gegen Ende leider weniger als das. Die überragende Sophie Koch bringt als erfrischend unzickenhafte Fricka etwas Leben in die wasserstoffblondierte, auch sängerisch farblose Göttersippe. Johan Reuter gibt den Obergott Wotan als sensiblen Zauderer, der noch nicht ganz in der brutalen neuen Alberich-Welt angekommen ist; ob Reuters begrenztes Volumen indes für die Ausbrüche der „Walküre“ reichen wird, steht dahin. Der verblüffend an Peter Ustinov erinnernde Loge von Stefan Margita ist eine Belcanto-Wohltat fürs Ohr; seine unfreiwillige Textkarikatur hingegen eine Zumutung.
Kent Nagano, bislang nicht als Wagner-Experte ausgewiesen, bleibt bei seinem ersten szenischen „Ring“ seinem Personalstil treu. Keine Beschwörung von Raum und Zeit, von Urgewalten und romantischem Zwielicht. Alles klingt klar, sauber ausgehört, rational durchdacht, und die sehr profilierten Instrumentalgruppen des Bayerischen Staatsorchesters setzen dieses Konzept klangschön um. Etwas mehr Mut zu den Abgründen des Wagnerschen Mythos könnte ihm aber so wenig schaden wie der Inszenierung.