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Gevatter
Tod mit der Geige
Von Christoph Wurzel
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Fotos von Jochen KlenkIn Karlsruhe gibt es eine Oper zu entdecken, von der eigentlich nur der Name des Komponisten noch einigermaßen bekannt ist: Frederick Delius. Den Titel der Oper kennt man vielleicht allenfalls aus der Schule: Romeo und Julia auf dem Dorfe ist eine der Seldwyler Novellen von Gottfried Keller. Doch die auf dieser Geschichte basierende Oper selbst ist eine echte Rarität. Delius schrieb sie ungefähr 50 Jahre nach dem Erscheinen der Erzählung. 1907 wurde sie mit Erfolg an der Komischen Oper in Berlin uraufgeführt. In jüngster Zeit tauchte sie nur sehr selten auf deutschen Spielplänen auf. Das Badische Staatstheater hat das Werk nun anlässlich des 150. Geburtstages von Frederick Delius auf die Bühne gebracht und man kann sagen: diese Entscheidung hat sich gelohnt. Delius’ Oper ist ein großartiges Werk, das sich neben anderen seiner Zeit - wie Richard Strauss’ Salome von 1905 oder Giacomo Puccinis Fanciulla del West von 1910 - durchaus behaupten kann. Delius ist ganz eigenständig in seinem musikalischen Stil, altmodisch zwar im Vergleich zu Strauss’ radikal expressionistischer Tonsprache, aber ähnlich suggestiv wie Puccini, wie sie vokal aufblüht und im Orchester emotionale Kraft entfaltet. Sein ganzes Komponistenleben hindurch hat Delius einen ausgeprägten Personalstil behauptet, den man jetzt hoffentlich, im Jahr seines Geburtstagsjubiläums, noch intensiver wird kennen lernen können – eine hochgradig sensitive Musiksprache, die aufgrund großer Kunst in der Instrumentation ganz unmittelbar eingeht und den Zuhörer in ihren Bann schlägt – durch ihre niemals ins Sentimentale abgleitende reine Empfindung, ihre anrührend melancholische Zartheit und eine filigrane Faktur. Schon
als Kinder im Bannkreis väterlicher Konflikte: Sali (Tom Volz) und
Vrenchen (Larissa Wäspy) zwischen den Vätern Manz (Seung-Gi
Jung) und Marti (Jaco Venter) In Anlehnung an Shakespeares Tragödie schildert die Kellersche Novelle das Schicksal zweier Bauernkinder, Vreni und Sali, in einem Schweizer Dorf, die nicht zu einander kommen können, weil sich ihre Väter um ein herrenloses Stück Acker bis hin zum gegenseitigen Ruin zerstreiten. Vreni und Sali, sich gegenseitig von Kindheit an (1. Bild) zugetan, ist der Weg in eine gemeinsame Zukunft verbaut. Einen letzten Tag wollen sie miteinander verbringen, erleben bei einer Kirmes noch einmal das pralle Leben, bemerken dann aber, wie sie aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Dem Rat von gesetzlos lebenden Vagabunden, es ihnen gleich zu tun und in freier Liebe zu leben, können sie nicht folgen, die gesellschaftlichen Fesseln binden sie zu stark. Sie legen sich aus Erinnerung an glückliche Kindertage in ein Boot, wo sie im Heu ihr Brautbett finden. Bei Keller erfrieren sie so in der eisigen Kälte der Nacht, Delius hat sie in seinem selbst verfassten Libretto einen gewollten Liebestod sterben lassen, indem Sali das Boot bewusst zum Kentern bringt. So kommt seine Fassung allein schon von der Handlung näher an Wagner heran als an Shakespeare. Und auch musikalisch verleugnet das Werk seine Nähe zu Wagner nicht. In end- und bruchloser Melodie entwickelt Delius eine zauberhafte Klangpracht, das feierliche Schreiten in der geträumten Hochzeitsszene erinnert an Parsifal, der Einsatz des Englischhorns in einigen elegischen Passagen an Tristan und an einer Stelle meint man sogar ganz kurz auch den Tristan-Akkord zu hören. Der Liebestod schließlich hat den gleichermaßen entrückten wie tröstlich beglückenden Tonfall wie jener bei Wagner, nur ist er leiser, inniger und ganz ohne Pathos. Justin Brown, dem Karlsruher GMD, dem wohl auch die Wahl dieser Oper zu verdanken ist, bringt mit der Staatskapelle in beeindruckend ausgefeilter Spielkultur Delius’ Musik wahrhaft zum Glänzen und trägt so nicht unerheblich zur Rehabilitierung dieses unbekannten Meisterwerks bei. Dazu bietet die Partitur neben den Gesangspassagen in mehreren ausgedehnten Zwischenspielen mit verschwenderischen Orchesterfarben auch reichlich Gelegenheit. Zwei größere Traumszenen enthält das Werk: die oben erwähnte Hochzeitsszene und den Traum vom Paradiesgarten, der auch als isoliertes Konzertstück gespielt wird; besonders in England, wo Delius nicht ganz so vernachlässigt wird wie hierzulande. Transparent hebt die Staatskapelle Delius’ fein gesponnenes Instrumentalgefecht hervor und mischt die Farben immer wieder neu zu delikaten Klangtableaus. Für Momente glücklich in ihrer Liebe über die Grenzen hinweg: Stefania Dovhan (Vrenie) und Carsten Süß (Sali) Mit Stefania Dovhan und Carsten Süß stehen als das Paar einer unerfüllten Liebe zwei Gesangssolisten auf der Bühne, wie man sie sich für diese Rollen nicht passender denken kann. Stefania Dovhans starke und doch zugleich innige Stimme gibt der Rolle der Vreni überzeugend die Unbedingtheit ihrer Liebe, Carsten Süß singt den Sali mit jener zugleich zarten wie emphatischen Natürlichkeit, die diese junge Liebe glaubwürdig macht. Die Rollen der Beiden als Kinder im ersten Bild werden couragiert gesungen von Larissa Wäspy (vom Karlsruher Opernstudio als Vrenchen) und dem Cantus-Juvenum-Sängerknaben Tom Volz (als Sali). Als die beiden Väter zeigen in ihren kurzen Auftritten Jaco Venter (als Vrenchens Vater Marti) und Seung-Gi Jung (Manz) eindrücklich die habsüchtige Rohheit der Alten, welche den Jungen die Zukunft verbauen. Die Rolle des Schwarzen Geigers zeigt Armin Kolarczyk eindruckvoll als eine Figur zwischen Wirklichkeit, Traum und Symbolik. Er ist es, der den Liebenden die Augen für das Leben, ihre Freiheit und Autonomie zu öffnen versucht. Tänzelnd und verführerisch mit seinem Geigenspiel versucht er Vreni und Sali in seine Welt zu locken. Zwangsläufig wird er aber zu ihrem Todesengel, denn der Tod erscheint ihnen unausweichlich in dieser Welt, in der ihre unbedingte Liebe nicht Wirklichkeit werden kann. Der schwarze Geiger wird für das Paar zum Todesengel: Armin Kolarczyk mit Stefania Dovhan und Carsten Süß Von der Bewegung der Körper wird auch die ganze Inszenierung geprägt. Arila Siegert hat ihre Regie beeindruckend konsequent vom Tanz her gedacht. Sie entstammt dem Kreis um Gret Palucca und Walter Felsenstein, den großen Vertretern einer künstlerisch ausdrucksstarken Bühnensprache. Der Inszenierung dieser handlungsreduzierten Oper kommt ein derartiges Konzept hervorragend entgegen. In kleinen Gesten, die sparsam, aber umso prägnanter eingesetzt werden, wird die Innenwelt der Figuren deutlich und verständlich. Zugleich entsteht eine besondere, künstlich verdichtete Bühnenwirklichkeit, die der Oper ihren ganz besonderen Zauber verleiht. Anrührend, wie Vreni und Sali bevor sie die Todesfähre besteigen, ihre roten Schuhe ordentlich am Ufer abstellen - eine Geste voller Symbolkraft, die alles sagt über die Figuren und ihre Gefühle. Zu Bildern phantastischer Traumwirklichkeit hat die Regisseurin die beiden pantomimischen Szenen geformt, in denen nur das Orchester erzählt: die so sehr ersehnte Hochzeit des Paares, die ihm in der Realität dieser kalten Gesellschaft verweigert wird und der Gang zum Paradiesgarten, einer Utopie des vollkommenen Glücks. Außergewöhnlich sanft und anrührend sind die Bewegungen choreografiert, was der Oper jeden falschen Naturalismus nimmt. Geschickt hat Frank Philipp Schlössmann die Drehbühne für das abstakte, symbolisch verdichtete Bühnenbild genutzt. In immer wieder neuen Kreisbewegungen entstehen aus den zylindrischen, aufragenden Wänden enge Räume als Bilder der Ausweglosigkeit, bis sich erst im letzten Bild die Bühne ganz öffnet, hin zu einer Toteninsel, der das Paar auf seinem Kahn entgegentreibt.
Mit dieser außergewöhnlichen Produktion, die sowohl musikalisch wie szenisch begeistert, hat das neue Leitungsteam die Oper am Badischen Staatstheater wieder spannend gemacht. Das nächste höchstes Interesse weckende Projekt wird im April Lohengrin sein, betreut von Reinhild Hoffmann (Regie) und Hartmut Mayer (Bühne), einem Team mit großer innovativer Kraft. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Badische
Staatskapelle
Badischer
Staatsopernchor
Studierende der
Hochschule Statisterie
des
Solisten
Sali
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© 2012 - Online Musik Magazin
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E-Mail: oper@omm.de
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