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Ulrich Vieth als Wilfried Staber und der Chor des Theaters Heidelberg. Foto: Klaus Fröhlich
Ulrich Vieth als Wilfried Staber und der Chor des Theaters Heidelberg. Foto: Klaus Fröhlich
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Deutsche Treue, Zähigkeit und Härte: Irene Disches und Elfriede Jelineks Schubert-Bearbeitung „Der tausendjährige Posten oder Der Germanist“ im Heidelberger Theaterzelt

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Rechts ein kapitaler röhrender Hirsch und die schwarz-rot-goldgelbe Fahne, links ein Kanapee im Separée. Sie rahmen das festlich geschmückte Auditorium Maximum einer näher nicht bestimmten deutschen Universität. Das Collegium musicum auf der kleinen Bühne im Hintergrund wird von Dietger Holm angeleitet. Schon gegen die Ouvertüre wird, wie beim klassischen Melodram, wortreich angeredet. Gnädig überdeckt das Forte des Tutti ein paar besonders schlimmste Sätze des Festredners.

Anne Neuser hat besinnlich stimmendes Interieur im Heidelberger Theaterzelt drapieren lassen: Studierende mit Verbindungsmützen, Schärpen und eben überhaupt in „Wichs“ wohnen einer Feier anlässlich der Emeritierung des hoch geachteten und gelehrten Germanisten Prof. Dr. Hans Schall  bei. Der dankt seiner Gattin. Er ist ihr und sie ist ihm, wie beide unisono versichern, auch nach langen Jahren noch immer in frisch gebliebener Liebe verbunden, obwohl Schall in erster Linie mit seinen Büchern lebt.

Das treue Lieschen wird doppelt aufgeboten – ausgestattet mit opernfähiger Stimme von der eher bieder wirkenden Hye-Sung, daneben mit dem nötigen Maß an Naivität, Unerfülltheit und Penetranz hübsch dargestellt von Christina Dom (die arbeitet sich einmal durch die Menschenmenge mit dem treffsicheren Ruf: „Lasst uns durch. Wir sind die Frauen!“). Gedoppelt wurde auch seine Magnifizenz: Dietmar Nieder verleiht dem erfolgverwöhnten eitlen alten Professor die Züge eines virtuosen Hörsaalstars und Publikumsmagneten, Kammersänger Winfrid Minkus mit seinem Tenor die notwendigen Konturen des Singspielhelden. Michael Zahn und Franz Schlecht machen ihre Sache als Germanisten-Kollegen nicht minder gut. Die neue Story zur alten Musik hat treffsicheres Theaterpersonal gefunden.

Das originale Singspiel „Der vierjährige Posten“ basiert auf einem Text des als Heckenschütze ums Leben gekommenen Wiener Burgtheaterdichters Theodor Körner. Der bediente ein Genre, das 1769 mit der Oper „Le Déserteur“ von Pierre-Alexandre Monsigny in die Welt kam und meist voll Empathie für den nicht ganz getreuen Husaren war. Es ist nicht bekannt, wer oder was den achtzehnjährigen Franz Schubert motivierte, als er 1815 auf den von viel biedermeierlicher Obrigkeitstreuebekundung, ziemlich unsäglichem Humor und etwas antifranzösischer Ranküne geprägten Körner-Text seine Musik (D 190) schrieb. Zunächst ohne Resonanz: Die Partitur wurde erstmals 32 Jahre nach Schuberts Tod im Großen Redoutensaal der Wiener Hofburg realisiert – konzertant.

Auch nach dieser verspäteten Premiere des 45jährigen Postens war dem Einakter wenig Fortüne beschieden. Irgendwie „werkgetreu“ ließ sich das Gelegenheitswerk nicht ,retten'. Nach dem veritablen Erfolg, den Irene Dische (unterstützt von Hans Magnus Enzensberger) in den 90er Jahren mit einer Bearbeitung von Mozarts „Zaide“ erzielte, entschloss sich die in Berlin lebende Literatin, dem Schubert-Singspiel ein damals brandaktuelles Thema unterzuziehen und es so für das Theater zurück zu gewinnen, Elfriede Jelinek, Wiener Literaturnobelpreisträgerin und Schubert-Groupie, hat die auf englisch neu erfundenen Dialoge übersetzt und scharfgeschliffen, Lied- und Couplet-Texte geändert. Die Damen machten aus einem Schreckens-, Rettungs- und Rührstück eine Oper von trügerischer Rettung und spätem Schrecken.

Erhöht wurde der Titel ums Zweihundertfünfzigfache von vier auf tausend Jahre – unter eindeutiger Anspielung auf die größte aller deutsch-österreichischen Zeiten. Der neue Plot ist unverhohlen eine deutsche Realsatire der jüngsten Vergangenheit. Aus Theodor Körners Dorfschulzenschwiegersohn und Bauern Heinrich Düval wurde durch das Textbearbeitungsprogramm ein Germanist. Dieser trägt unverkennbar die Züge von Hans Schwerte, der vordem als Hans Ernst Schneider ein SS-Hauptsturmführer und Ahnenerbespezialist war, sich bei Kriegsende für tot erklären ließ, dann aber seine Witwe heiratete und das Kind adoptierte. Nach einer kleinen Warteschleife konnte er, in der Bundesrepublik neuerlich promoviert, zu einem namhaften Goetheforscher avancieren. Unter Duldung der sozialdemokratischen Behörden in Düsseldorf stieg Schneider-Schwerte 1970–73 zum Rektor der RWTH Aachen auf. 1995 enttarnten ihn niederländische Journalisten. Seine Pension, die akademischen Titel und das Bundesverdienstkreuz wurden kassiert.

Im Wesentlichen zeigt das auch die Neufassung des Stücks – selbst die heiter antifaschistische Erwägung des Untertitelhelden, seine Identität ein zweites Mal zu wechseln und sich eine jüdische Emigrantenbiographie zuzulegen. Doch diese Schnapsidee wird nach gutem Zureden durch die treu gebliebenen Freunde verworfen, auch die Nummer des reuigen Sünders. Schaal-Schall bleibt sich so treu wie die Merkel-Proteges Guttenberg und Wulff. Also macht der alte Professor bei Dische/Jelinek noch etwas Karriere als Politiker vom Schlag schlagzeilenträchtiger Regionalrepräsentanten der Republik. Das ist die Höchststrafe für einen Homme des lettres.

Um das Projekt abendfüllend zu gestalten, wurde anderweitig entstandene Schubert-Musik herangezogen – aus dem mit Täuschung und Verwechslung operierenden Singspiel „Die Zwillingsbrüder“ von 1820. Obwohl die neue Textmontage auf Abgründe deutscher Geschichte und Seele verweist, passt Schuberts hier noch so biedere Musik als kontrastierender Rahmen und weicher Teppich dazu – und manchmal wie die Faust aufs Auge. Andrea Schwalbach möbelte das ambitionierte Frauen-Projekt insgesamt mit Verve und Ironie auf. Sie inszenierte eine bitterböse auf den faustischen deutschen Mann gerichtete Satire. Dabei bezog sie weitere Schubert-Musik ein. Die Kopfmotive der bekanntesten Lieder ergeben eine Suite von Klingeltönen. Diese erklingen als Raumklanginstallation, wenn sich unter den Studierenden die Nachricht vom großen Betrug der bewunderten Koryphäe herumspricht. Man hört bei den Schalls zu Kaffee und Kuchen die „Unvollendete“. Und einmal imitieren fünf Sänger die Wiedergabe eines Schubert-Quintetts von einer alten Schellack-Platte, die irgendwann hängen bleibt.

Im Ganzen wie in den Details wurde alles richtig gemacht mit Schall und Schaal in Heidelberg; auch dahingehend, dass keine Katharsis in Sicht kommt. Nur ein kleines schales Gefühl bleibt dahingehend zurück, dass man sich fragt, ob dieser noch kleine Germanist und mutmaßlich große Verbrecher, der 1945 keine Chance hatte, nirgends, und diese doch mit spielerischer, eigentlich ganz undeutscher Leichtigkeit nutzte, nicht heimlich mehr Sympathie von uns erwirbt als die akademischen Ermittler auf verbeamteten Stellen, die aus sicherer Distanz linguistische Gutachten erstellen und gestützt auf deren fragwürdige Nutzung dem mit gewissen Meriten ergrauten Ordinarius nachweisen wollen, dass seine Habilitationsschrift Raubgut sei. Angesichts eines Wissenschafts- und Journalismus-Betriebs, in dem generell annektiert, übervorteilt und geschummelt wird, haben sich die Autorinnen Dische und Jelinek eine erstaunliche Blauäugigkeit gestattet, die ihnen ein der Dramaturg vielleicht hätte ausreden sollen. Doch im Kontext der holden Tonkunst des lockigen Knaben aus dem Himmelpfortgrund ist auch diese Volte noch recht gut zu goutieren.
 

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