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Die Frau ohne Schatten
Oper in drei Akten
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss


In deutscher Sprache mit italienischen, englischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 10' (zwei Pausen)

Premiere am 11. März 2012 im Teatro alla Scala, Milano
(rezensierte Aufführung: 14. März 2012)


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Teatro alla Scala
(Homepage)
Im Traum zu sich selbst kommen

Von Roberto Becker / Fotos: Monika Rittershaus / Teatro alla Scala

Von einem Regisseur wie Claus Guth war die opulente Märchenshow, mit der sich Regisseure meist aus der Affäre ziehen, wenn Die Frau ohne Schatten auf dem Programm steht, nicht zu erwarten. Sein Kollege Christof Loy hatte sich bei den letzten Salzburger Festspielen diesem Dilemma einfach entzogen, in dem er ein Stück über das Stück daraus machte (unsere Rezension). Eigentlich darüber, was eine Platten-Aufnahme dieses merkwürdigen, zwischen Weltferne und psychoanalytischem Künstler-Eifer changierenden Werkes des kongenialen Komponisten- und Librettisten-Duos Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, in der Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg in den Künstlern, die sich darauf einlassen, an Eigenem freizusetzen vermag. Robert Carsen hatte 1999 in Wien schon einmal dezidiert psychologisierend und metaphorisch traumdeutend den Abgründen nachgespürt, über denen dieses merkwürdige Werk, das Intimes im bombastischen Großformat verhandelt, gespannt ist.

Szenenfoto

Der Kaiser und „sein“ Falke

Jenseits aller dichterischen Verkleisterung und zelebrierten Klangopulenz hat die erörterte Frage, inwieweit die biologische Natur den ganzen Menschen bestimmt, nichts von ihrer Relevanz eingebüßt. In Zeiten, in denen Parallelgesellschaften, in deren Wertekanon Aufklärung und sexuelle Selbstbestimmung Teufelswerk sind, selbstbewusst die Spielräume einer freien Gesellschaft offensiv nutzten, um sie zu unterlaufen, ist sie sogar wieder dringlicher geworden.

Ist eine Frau nur dann ein richtiger Mensch, wenn sie sich als Mutter verwirklicht, also sozusagen mit der Sonne göttlichen Wohlwollens im Rücken einen Schatten in die Zukunft wirft? Und ist der Mann nur ein Mann, wenn er als Jäger und Ernährer, also zuerst durch den Einsatz von Pfeil oder Speer und dann durch seiner Hände Arbeit Nachwuchs zeugt und ernährt? Während sich die kinderlose Kaiserin als (metaphorisch gesprochen) erlegtes Edelwild sieht, verzweifelt die Färberin an ihren Lebensumständen. Das ist beides als Diagnose nachvollziehbar. Doch die Schlusswendung, hin zum Jubel der Ungeboren über ihr baldiges Erscheinen auf der Erde, ist außerhalb des rigiden katholischen Beischlaf- und Fortpflanzungskodex nur schwer zu ertragen. Und noch schwerer umzusetzen. Loy ironisierte es in Salzburg als kitschige Weihnachtsfeier. Bei Carsen mündete es etwas diffus in einem Akt des selbstbestimmten Auftauchens der Ungeborenen auf leerer Bühne.

Szenenfoto

Eine Frau zwischen Mann und Vater

Bei Claus Guth ist es jetzt mit beklemmender und präzise in Bilder übersetzter Stringenz, die finale Sequenz in einem Alptraum, in dessen Verlauf die Kaiserin als eine exemplarische, von ihrer Mutterrolle - wie auch immer - überforderte Patientin möglicherweise zu sich selbst gefunden hat. Wenn sich der Vorhang in Mailand öffnet und den Blick auf Christan Schmidts dunkelfurniertes, imperiales Krankenzimmer frei gibt, dann wälzt sich die Kaiserin in schweren Träumen auf ihrem Krankenlager. In ihren Augen hat das medizinische Personal um sie herum schwarze Flügel, so als wären den Engeln bei einem Ausflug in die (Seelen)Hölle das Gefieder und der Sinn verdunkelt worden. Hier, in dieser Alptraumwelt, ist sie die Gazelle, die verletzt und erlegt wird, ganz so wie es die verbale Metaphorik des Kaisers suggeriert. Dass sie ihren übermächtigen Vater Kaikobad nur in einer halbmenschlichen Gestalt mit einem mächtig behörnten Antilopenkopf wahrnimmt, und sie erst gesundet, als diese Gestalt tot zu Boden sinkt, lässt zumindest auch die Möglichkeit der Verdrängungsleistung offen, wie sie der Verstand wohl bei einem Missbrauch zustande bringen kann.

Szenenfoto

Eine Frau im Gefängnis von personifizierten Bildern

Die Szene entfaltet im ruhigen, schlüssigen Wechsel der Bilder ihre Wirkung. Im Zentrum der Bühne ist eine Art überdimensionierte Drehtür eingebaut, die sozusagen ins Märchenhafte, Unterbewusste führt. Hier erscheinen die Felsen, in denen der Kaiser versteinern soll, hier taucht das Auditorium auf, in dem die Instanzen zu Gericht sitzen über Kinderlosigkeit und Gattentreue. Für Auf- und Abtritte gibt es Seitentüren. Durch die verschwindet schließlich die Amme in ihrem Kahn. Am Ende befinden wir uns wieder im Krankenzimmer des ersten Bildes. Die Kaiserin scheint jetzt gesundet und bei sich. Doch dass die eine Krankenschwester in ihrer Gesellschaft der Amme aufs Haar gleicht und auch so diabolisch lächelt, hält den Erfolg dieser Traumtherapie wieder in der Schwebe.

Szenenfoto

Die „Patientin" auf dem Weg der Genesung

Die stringent entwickelte und packende Szene wir musikalisch in vollem Umfang beglaubigt, schon weil die Hauptpartien mit erfahrenen Sängerpersönlichkeiten besetzt sind. Johan Botha ist zwar nach wie vor kein Schauspieltalent zugewachsen, aber Claus Guth hatte den Südafrikaner mit der phänomenalen Stimmkraft schon in seinem Wiener Tannhäuser einiges an darstellersicher Gestaltung abgeluchst – und er schafft es auch hier wieder durch kluges Eingehen auf seine Möglichkeiten. Stimmlich steht dieser Kaiser ohnehin abseits jeden Zweifels. Bei Falk Struckmann überzeugt die Authentizität des Spiels, wobei er seinem Barak jeden Anflug von weich gespülter Güte nimmt. Grandios gestaltet und singt Michaela Schuster ihre Amme. Wenn sie auf der Bühne ist, dann ist sie das Zentrum des Geschehens. Elena Pankratova kommt als Färberin ohne Übertreibung ins Allzu-Hysterische aus und auch Emily Magee wird nach einigen Anlaufproblemen zu einer überzeugenden Kaiserin. Unter der Leitung von Marc Albrecht vermittelte das Scala Orchester den Eindruck, dass dieser Ausflug ins deutsche Repertoire für die Milanesen das Natürlichste von der Welt ist. Beim Zelebrieren der großen Bögen und dem wunderbaren Aufleuchten konnte Albrecht zudem auf die vokale Kraft seiner Protagonisten bauen, ohne ständig befürchten zu müssen, dass seine Sänger in der Orchesteropulenz untergehen.


FAZIT

Claus Guth und Marc Albrecht haben gemeinsam mit einem exzellenten Ensemble der Scala eine Frau ohne Schatten auf höchstem szenischen und musikalischen Niveau beschert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Albrecht

Inszenierung
Claus Guth

Bühnenbild und Kostüme
Christian Schmidt

Licht
Olaf Winter

Video
Andi A. Müller



Chor und Orchester des
Teatro alla Scala


Solisten

Der Kaiser
Johan Botha

Die Kaiserin
Emily Magee

Die Amme
Michaela Schuster

Der Geisterbote
Samuel Youn

Ein Hüter der Schwelle des Tempels
Mandy Fredrich

Erscheinung eines Jünglings
Peter Sonn

Die Stimme des Falken
Talia Or

Eine Stimme von oben
Maria Radner

Barak, der Färber
Falk Struckmann

Die Färberin
Elena Pankratova

Der Einäugige
Christian Miedl

Der Einarmige
Alexander Vassiliev

Der Bucklige
Roman Sadnik

Ein Wächter
Mikheil Kiria

Dienerinnen
Lucia Ellis Bertini
Alla Utyanova
Stefania Gianni

Keikobad (Tänzer)
Paul Lorenger



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Teatro alla Scala
(Homepage)



Da capo al Fine

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