Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum


Parsifal

Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
von Richard Wagner
Di
chtung vom Komponisten

Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden 30 Minuten (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Kassel am 6. April 2012

Logo Staatstheater Kassel

Staatstheater Kassel
(Homepage)

Wenn der Zuschauer zum Erlöser wird

Von Bernd Stopka / Fotos: N. Klinger

Parsifal-Premiere am Karfreitag in Kassel. Auf der Besetzungsliste liest man fettgedruckt: „Wir bitten, auf Applaus nach dem ersten Aufzug zu verzichten“. Das klingt nach Tradition, alter Tradition, einer Tradition, die in Bayreuth daselbst oft schon nicht mehr gepflegt wird. Wer nun aber weihevolles Schreiten, heilige Erhabenheit, pastos bebilderte Frömmigkeit und pathetische Klänge erwartet oder befürchtet, wird angenehm überrascht. Regisseurin Helen Malkowsky gelingt es, die Geschichte mit Tiefgang in ästhetischen Bildern zu erzählen, sie aber auch zu hinterfragen, Gedanken szenisch zu formulieren und auch zuweilen durch ein Gegen-den-Strich-Bürsten besondere Sichtweisen deutlich zu machen. Sicher gibt es Punkte, die man anders sehen kann oder die den einen oder anderen stören, aber das gehört zu einer mutigen Regiearbeit dazu, deren Mut nicht daraus besteht, Traditionen brutal zu zerstören, sondern sie detailgenau zu analysieren und dann als Gedanken und Assoziationsflächen, die aus dem Werk hervorgehen, dem Publikum anzubieten. Und das in einer optischen Form, die den Betrachter anspricht und ihm Lust auf die geistige Auseinandersetzung macht. Alles das, ohne dem Werk Gewalt anzutun, ohne eine Idee allzu künstlich in den Vordergrund zu drängen, sondern als Bereicherung – und auf eine Weise, die sich dem Zuschauer erschließt, ohne sich ihm anzubiedern. Diese leider viel zu selten gewordene Kunst beherrscht Helen Malkowsky auf hohem Niveau und mit großer Musikalität. Harald B. Thor und Tanja Hoffmann haben ein großartiges Bühnenbild und ebenso aussagekräftige wie  schöne Kostüme dazu beigesteuert.


Vergrößerung in neuem Fenster Parsifal (Christian Elsner, rechts außen)
Opern- und Extrachor, Statisterie

Die Regisseurin nimmt den Zuschauer nicht nur mit, sie macht ihn zum Teil der Handlung, zum maßgeblichen Teil sogar. Gelangweilt sitzt ein wohl situierter Zuschauer, die Jahresvorschau des Staatstheaters lesend, in seinem Theatersessel, während er auf die Bühne gefahren und des Schwanenmordes beschuldigt wird. Ein Bogen wird ihm aufgezwängt – aber er weiß von nichts. Auf Gurnemanz’ Fragen hin wird er nachdenklich und beginnt sich zu erinnern, was er war, was er sein wollte…Hinter Rittern in Rüstung ist er einst hergelaufen – und sitzt nun im schwarzen Anzug mit roter Krawatte im Parkett. Das kommt den weisen Gralsrittern in ihrer marmorweißen Tempelwelt töricht vor – aber als reiner Tor kommt er ihnen gerade recht.

Der hehr erhabene Bau wird ebenso wie die reine Weißheit der Gralsritterschaft von Amfortas’ einstigem Fehltritt mit Kundry gestört. Das Blut seiner nicht heilenden Wunde besudelt Fußboden und Türrahmen und man ahnt beim ersten Anblick, wie sich der blutende Leidende Hilfe suchend an ihnen festgehalten hat. Entsprechend viel ist für die Reinigungskräfte in Schutzkleidung zu tun und Amfortas’ Pfleger tragen vorsorglicher- und notwendigerweise an Metzger erinnernde Schürzen. Drastische Bilder, aber nicht unangemessen.
Durch eine kreisrunde Öffnung drängt der Wald in den Raum, Kundry gewinnt einen neuen Balsam aus Baumsaft, tauscht dann heimlich mit dem zweiten Knappen vorübergehend die Kleider und behandelt Amfortas selbst. Folgerichtig darf sie die Passage „Dem Balsam wich das Weh“ singen, die Wagner eigentlich der Sängerin des Knappen zugedacht hat.

Vergrößerung in neuem Fenster

Kundry (Ursula Füri-Bernhard)

Gurnemanz’ weiße Kleidung, der beige Gehrock und das Gralssymbol an der Kette könnte auch einem Sarastro Ehre machen. Ein möglicherweise nicht unbeabsichtigter Hinweis auf Parallelen der Bruderschaften. Ganz plastisch wird durch ein relativ geringes, aber effektvolles Verschieben der Wände Parsifals Eindruck „Ich schreite kaum, doch wähn ich mich schon weit“ deutlich gemacht.
Vor den Wänden der Burg verabschieden sich tränenreich Adepten, die ihre schriftliche  Einberufung zur Gralsritterschaft erhalten haben. Die Andeutung eines Initiationsrituals ist mit dem Einzug der Ritter verbunden, die Stimmen aus der mittleren Höhe werden von den zurückgelassenen Angehörigen gesungen, der Kinderchor für die höchste Höhe bleibt im Off. Es gibt keine klassische Abendmahlsszene. Mit Portalschleier und vielen Zwischenvorhängen wird einerseits ein enthüllter Gral gezeigt, andererseits wird projiziert, wie sich das Blut Kontinent für Kontinent über die ganze Welt verteilt – als erlösende Lehre oder Ergebnis von Kreuzzügen bleibt dabei offen. Hier wird die Bebilderung des Vorspiels aufgegriffen, die die Entstehung der Wunde zeigt, die aus Dürers betenden Händen reale, blutbefleckte Hände werden lässt. Christi Wundmale drängen sich in Gedanken auf. Dann werden Bilder von Menschen unterschiedlicher Religionen, politischer und unpolitischer Gesellschaften projiziert.
Nach dem Ritual wälzt sich Amfortas am Boden, doch Titurel ist gestärkt und zeichnet verdiente Mitglieder mit Orden aus, symbolische Gegenstände, die – wie so vieles hier – an Freimaurer erinnern, werden herein getragen, die Ritter rücken ihre Wände gemeinsam wieder zurecht und aus einer ovalen Öffnung, die vielerlei Assoziationen erlaubt, singt Kundry, die Verheißung der Stimme aus der Höhe selbst.


Vergrößerung in neuem FensterKlingsor (Marc-Oliver Oetterli)

Der Beginn des zweiten Aktes zeigt das gleiche Gebäude, die gleiche Öffnung – nur symbolhaft von der anderen Seite. Links auf der Bühne erhebt sich ein gewaltiges Kleid gen Schnürboden, das nebst dazugehörigem Koffer Mathilde Wesendonck gehört haben könnte. Assoziationen zu Parallelen sind nicht ausgeschlossen. Klingsor im Matrosendress bleibt als fadenziehender Kontrollfreak die ganze Zeit auf der Bühne. Sein Zauber besteht in erster Linie aus einem  Koffer mit unerschöpflichem Inhalt. Eindrucksvoll, wie er zu den Namen, die Kundry schon trug, jeweils ein anderes Kleid herauszieht. Verblüffend, wie sich die Blumenmädchen bunte Kleider herausnehmen, die sie über ihre schwarzen Unterkleider ziehen.  Verwirrend, warum 7 (!) Speere aus ihm gezogen werden – wo der echte doch von ganz allein zu Parsifal findet. Vom dunklen Kleid wechselt Kundry zum hellen, bevor ihr von Klingsor gewaltsam dessen Reifrock ausgezogen wird und sie im schwarzen Unterkleid wie der Gekreuzigte an einem der falschen Speere die letzten halbherzigen Verführungsversuche unternimmt – denn ihre Liebe und ihre Lust gelten Amfortas, der zwischendurch als lebendes Bild im Hintergrund mit ihr Zärtlichkeiten austauscht. Nun blutet auch Klingsors Hand. Den Schwachen zu Fall zu bringen ist eine Schuld dessen vermeintlichen Erlöser eliminieren zu wollen, eine ungemein größere. Er wollte Parsifal auf seine Ebene ziehen – auch deshalb haben ihn die Blumenmädchen zum Matrosenjungen umkostümiert, in gleicher Einigkeit wie sie ballettartig das Überschlagbein beim Sitzen wechseln.

Vergrößerung in neuem Fenster

Kundry (Ursula Füri-Bernhard)

Zurück auf der anderen Seite zeigt sich rundum eine Blutspur, durch Amfortas’ Verweigerung der Gralsenthüllung nach Titurels Tod sind die Gralsritter geschwächt. Keiner macht mehr sauber, keiner hat noch Kraft. Tote Äste sind in die Gralsburg gefallen. Parsifal erscheint im Reisemantel, Gurnemanz ist schwach, heruntergekommen, gealtert und kriecht auf einen Quader gestützt knieend immer näher zu Parsifal. Er, nicht Kundry, wäscht ihm die Füße und Kundry salbt sie ihm. Zum Karfreitagszauber sammelt Kundry die Äste zusammen und verbrennt sich auf diesem Scheiterhaufen. Das lebende Bild wird in die Projektion eines riesigen Feuers überblendet. Während Parsifal und Gurnemanz aus der Szene getreten sind und wie Proszeniumsfiguren das Bild begrenzen, sieht man, wie der brennende Scheiterhaufen auf einer Hand von einer anderen Hand gelöscht wird, sich die Hände zum Beten falten und nun in umgekehrter Weise wie beim Vorspiel das Dürer-Bild ergeben. Der unbehagliche Gedanke an eine Hexenverbrennung drängt sich auf, die Opferung der Unheil bringenden verführerischen Frau.  Aber auch Brünnhildes weltrettender Tod schleicht sich in die Gedanken. Nur ein  Aschehaufen bleibt zurück und darüber schwebt, aus gleichen Ästen wir zuvor, ein an Christi Dornenkrone gemahnender Holzring. Es öffnet sich erneut ein weites Feld für Gedanken und Assoziationen.

Vergrößerung in neuem FensterAmfortas (Espen Fegran)

Nachdem die Gralsritter mit letzten Kräften Titurels gut verschnürten Leichnam hereingetragen haben und Amfortas die Gralsenthüllung verweigert, erscheint zunächst wie schwebend der heilige Speer zwischen den Rittern. Amfortas stürzt sich voller Sehnsucht hinein, Parsifal proklamiert sich selbst als neuen Gralskönig und geht den Rittern mit Speer und Gral voran. Amfortas bleibt allein zurück. Er ist mit seiner Heilung überfordert, findet sich nicht nur als gesunder Mensch, sondern auch als abgesetzter Gralskönig nicht mehr zurecht. Den leeren Glasschrein füllt er mit den Resten von Kundrys Scheiterhaufen. Parsifal trägt mit Speer und Gral das Feuer weiter, während Amfortas die Asche anbetet.


 
Amfortas (Espen Fegran), Parsifal (Christian Elsner), Kundry (Ursula Füri-Bernhard)
Vergrößerung in neuem Fenster

Kassels GMD Patrik Ringborg hält die musikalische Seite der Produktion in bewährten Händen. Er bevorzugt einen samtigen, weichen, aber nicht pathetischen Orchesterklang, aus dem einzelne dynamische Ausbrüche effektvoll, aber nicht Effekt heischend hervorstechen dürfen. Seine oft recht langsamen Tempi sind dabei sehr dynamisch und keiner der großen Bögen droht zu zerfallen. Mit dem Staatsorchester, das bis auf wenige verwackelte Einsätze und kleinere Ausrutscher gut disponiert ist, bildet er den Sängern einen angenehmen Klangteppich, der zuweilen mit etwas schnelleren Tempi noch bequemer wäre.

Christian Elsner ist ein stimmlich nicht zu schwerer Heldentenor, verfügt über eine satte Mittellage, lässt zuweilen zwar auch leicht nasale Töne hören, begeistert aber restlos, wenn er  im dritten Akt frei und wundervoll aussingend strahlenden Stimmglanz verbreitet. Espen Fegran empfiehlt sich erneut als ein echter Wagner-Bariton. Er ist ein großartiger Amfortas, der seine Stimme im angemessenen Maße strömen lässt und dabei auch die leidenden Töne, die die Partie fordert, immer wohlgeformt gestaltet. Ein Gralskönig, der keinen kalt lässt – szenisch und sängerisch restlos überzeugend.


Vergrößerung in
                      neuem Fenster Gideon Poppe (3. Knappe), Jürgen Appel (1. Gralsritter), Tomasz Wija (2. Gralsritter),
Amfortas (Espen Fegran), Kundry (Ursula Füri-Bernhard), Gurnemanz (Mario Klein)

Das ist von Ursula Füri-Bernhard nur bedingt zu sagen. Sie gibt mit vielen unschönen brüchigen Tönen und Sprechgesang dem Ausdruck zu viel Vorrang vor dem Gesang, gestaltet die Figur szenisch äußerst intensiv, aber man möchte die Kundry doch auch gesungen hören. Besonders im zweiten Akt lässt sie da einiges vermissen, ist von der Regie aber auch eher als Furie denn als Verführerin gezeichnet. Marc-Oliver Ötterli bleibt dem Klingsor stimmlich dagegen die dämonische, bösartige Seite schuldig und singt ihn viel zu brav und uncharismatisch. Mario Klein bewegt immer wieder mit balsamischen, ausdrucksvollen Tönen, auch wenn ein Gurnemanz gern ein bisschen mehr Stimmvolumen haben darf. Krzysztof Borysiewicz ist ein adäquater Titurel und sowohl Knappen als auch Gralsritter und Blumenmädchen lassen keine Wünsche offen. Mächtig, aber kultiviert und homogen klingen Chor und Kinderchor.

Vergrößerung in neuem Fenster
 Chor

FAZIT

Ganz exzellentes Musiktheater. Eine Inszenierung, die das Publikum im wahrsten Sinne des Wortes mitnimmt, klug und sehr musikalisch Gedanken und Ideen bebildert, die dem Werk keine Gewalt antun, sondern es bereichern. Auch musikalisch lohnt sich der Besuch in Kassel - vor allem wegen des alten und des neuen Gralskönigs.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam


Musikalische Leitung
Patrik Ringborg

Inszenierung
Helen Malkowsky

Bühnenbild
Harald B. Thor

Kostüme
Tanja Hofmann

Licht
Albert Geisel

Video
Helen Malkowsky,
Karl-Walter Heyer
Wasilis Papanikolau

Chor
Marco Zeiser Celesti

Kinderchor
Merle Clasen

Dramaturgie
Dorothee Hannappel


Staatsorchester Kassel

Opernchor, Extrachor
und Kinderchor CANTAMUS
des Staatstheaters Kassel

Statisterie des
Staatstheaters Kassel


Solisten

Amfortas
Espen Fegran

Titurel
Krzysztof Borysiewicz

Gurnemanz
Mario Klein

Parsifal
Christian Elsner

Klingsor
Marc-Oliver Oetterli

Kundry
Ursula Füri-Bernhard

1. Gralsritter
Jürgen Appel

2. Gralsritter
Tomasz Wija

Vier Knappen
Nina Bernsteiner
Maren Engelhardt
Gideon Poppe
Jürgen Appel

Blumenmädchen
LinLin Fan
Nina Bernsteiner
Maren Engelhardt
Ingrid Frøseth
Runette Botha
Ulrike Schneider

Stimme aus der Höhe
Ursula Füri-Bernhard



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Kassel
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-HomepageMusiktheater-StartseiteE-MailImpressum
© 2012 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -