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Musiktheater
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Il Primo Omicidio overo Cain
(Der erste Mord oder Kain)

Trattenimento sacro per musica in zwei Teilen
Text von Antonio Ottoboni
Musik von Alessandro Scarlatti

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (keine Pause)

Koproduktion der Hochschule für Musik Mainz und des Staatstheaters Mainz

Premiere im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz am 4. Mai 2012




Staatstheater Mainz
(Homepage)

Geschwisterkampf am Küchentisch

Von Thomas Molke / Fotos von Martina Pipprich

Vom 4. bis zum 13. Mai veranstaltet das Staatstheater Mainz eine Barock-Woche, in der das Theater gemeinsam mit der Hochschule für Musik einen weiten Bogen vom Barock bis in den Neo-Barock der Moderne spannt und neben den eigenen Produktionen den Studierenden der Hochschule für Musik in mehreren Konzerten eine Plattform bietet, ihr Können im Kleinen Haus unter Beweis zu stellen. Am Anfang dieser Woche steht die Erarbeitung einer Barockoper mit Mitgliedern des Jungen Ensembles, die am Staatstheater Mainz mittlerweile eine Tradition geworden ist (siehe auch unsere Rezension zu Amadigi di Gaula aus der letzten Spielzeit). In diesem Jahr hat die Operndirektorin Tatjana Gürbaca ein Oratorium von Alessandro Scarlatti ausgewählt, welches dieser 1707 auf ein Libretto des venezianischen Patriziers Antonio Ottoboni für Venedig komponierte und das von dem ersten Brudermord des Alten Testamentes handelt. Und auch wenn dieses Werk bei seiner Entstehung sicherlich nur konzertant gegeben wurde, vertritt das Regie-Team um Gürbaca die Ansicht, dass Il primo omicidio - wie zahlreiche andere Oratorien auch - mit Blick auf die musikalische Struktur und den dramaturgischen Aufbau eine szenische Umsetzung verlangt.

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Adam (Christian Rathgeber, Mitte) wünscht sich, dass seine beiden Kinder Cain (Christian Rohrbach, rechts) und Abel (Radoslava Vorgic, links) sich vertragen (im Hintergrund links: Eva (Saem You)).

Gürbaca betrachtet die Figuren des Stückes als echte Menschen, die mit ihren Ängsten, Sorgen, Hoffnungen, Leidenschaften, ihrer Liebe, ihrem Neid und ihrer Trauer auch heute noch gut nachvollzogen werden können, weshalb Kostümbildner Stefan Heyne Adam und Eva mit ihren beiden Kindern als heutige Familie einkleidet, die sich zu einer gemeinsamen Mahlzeit in einer Küche einfindet. Adam und Eva tragen dabei Bademäntel, Cain und Abel eine Schuluniform. Um eine gewisse Distanz zur biblischen Geschichte aufzubauen, ist Abel ein Mädchen. Die Notwendigkeit für diesen Regieeinfall wird nicht ganz klar. Nachvollziehbar hingegen ist, dass Gürbaca Abel nicht nur als den braven Sohn zeichnet, den man aus der Bibel kennt, sondern ihm ehrgeizige Züge verleiht, die Cains Neid und Wut, die letztendlich im Brudermord gipfeln, verständlicher machen. So gibt es bereits am Küchentisch häufigen Streit zwischen den beiden Geschwistern, bei dem Abel als Liebling der Eltern meistens den Sieg davon trägt, auch wenn er / sie dem Bruder zunächst die Cornflakes, dann auch noch eine weiße Stoffkatze wegnimmt, der dann auch noch als Sühneopfer für den Herrn das weiße Fell abgezogen wird. In diesen Szenen nimmt Abel sehr negative Züge an, so dass nicht klar wird, wieso Abel von Gott stets bevorzugt wird.

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Cain (Christian Rohrbach, vorne) und Abel (Radoslava Vorgic, hinten) bereiten ihr Sühneopfer für Gott vor.

Eine besondere Herausforderung sind für Gürbaca auch die Stimme Gottes (Voce di Dio) und Luzifers (Voce di Lucifero), die sie ebenfalls als Figuren auftreten lässt. Während die anderen Figuren mit der personifizierten Stimme Gottes in Interaktion treten, wenn auch zunächst mit gebührendem Respekt - so zittert Eva ehrfurchtsvoll, wenn sie der Stimme Gottes eine Tasse Kaffee anbietet und ein wenig Milch verschüttet -, so erstarren sie zunächst beim Auftritt der Stimme Luzifers. Nur Cain wird von Luzifer aus seiner Erstarrung erlöst und nimmt ihn als Person wahr. So ist es letztendlich die Stimme Luzifers, die Cain zum Brudermord führt, den dieser mit dem von Luzifer gereichten Messer nur andeutet. Das Blut fließt erst, als der Teufel einen Eimer mit blutroter Farbe über Abel ausschüttet. Die Stimme Gottes verhält sich im Gegensatz zu Luzifer wesentlich passiver. Bereits beim ersten Auftritt kommt er lediglich als Beobachter und macht Notizen. Auch Evas Annäherungsversuche, nachdem sie ihre Scheu abgelegt hat, lehnt er brüsk ab. Von daher ist es vielleicht gerade dieses passive Verhalten, dass Cain abtrünnig werden lässt. Wieso Gürbaca jedoch nach dem Tod Abels und dem Weggang Cains die Stimme Gottes, die Stimme Luzifers und Cain als Journalisten auftreten lässt, die Adams Klage über den Verlust der beiden Söhne für die Medien einfangen, bleibt ein unnötiger Regieeinfall, dessen tieferer Sinn sich nicht erschließt.

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Voce di Lucifero (Richard Logiewa, rechts) verleitet Cain (Christian Rohrbach, Mitte) zum Mord an Abel (Radoslava Vorgic, links).

Stefan Heyne hat für das Bühnenbild eine große drehbare Scheibe entworfen, die in zwölf Segmente aufgefächert ist und sich gegen den Uhrzeigersinn dreht. Eine ähnliche Scheibe ist unter der Decke noch einmal angebracht, die die darunter agierenden Figuren von oben zeigt, sozusagen aus der Perspektive Gottes. Im ersten Teil befinden sich auf der Scheibe zwei zusammengeschobene quadratische Tische und vier Stühle, die die Küche von Adam und Eva darstellen. Auf den Tischen liegt eine große weiße Tischdecke, die Eva nach dem Verlust ihrer beiden Söhne wie ein Baby herzt. Zahlreiche grüne Äpfel auf den Tischen erinnern an den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies. Wenn Cain und Abel ein Opfer bringen sollen, um den Zorn Gottes zu besänftigen, werden die beiden Tische auseinander geschoben und die beiden Kinder breiten jeweils auf einem Tisch ihre Opfer aus, Abel die gehäutete Katze, die als Opfer angenommen wird, und Cain eine Kiste mit Äpfeln, die als Opfer nicht erhört wird. Im zweiten Teil kommt die Drehscheibe ganz ohne Requisiten aus. Die Natur, in der sich Cain und Abel befinden, wird nur durch die lautmalerische Musik beschrieben. Man kann den Bach um die Drehscheibe herum regelrecht rauschen hören. Das Orchester ist hinter der Drehscheibe auf der Bühne platziert. Die Sänger agieren also vor dem Orchester. Nur wenn Abels Stimme nach seinem Tod die betrübten Eltern über den Verlust hinwegzutrösten versucht, indem er von den himmlischen Freuden berichtet, die er nun genießen kann, befindet er sich hinter dem Orchester.

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Voce di Dio (Alin Deleanu, rechts) tröstet Adam (Christian Rathgeber, vorne) über den Verlust der beiden Söhne (im Hintergrund: Eva (Saem You)).

Für die Musiker, die neben dem Streicherapparat nur aus Fagott, Cembalo, Orgel und Tiorba bestehen, ist dieses Werk eine besondere Herausforderung, da fast jeder solistisch agieren muss. So beginnt die Ouvertüre mit einer Solovioline, die dann mit dem Fortschreiten der Entstehung der Welt in ein Streichertutti übergeht. Barockspezialist Ralf Otto arbeitet mit den unterschiedlichen Instrumentalkombinationen die klangfarbliche Vielfalt Scarlattis differenziert heraus und fängt die verschiedenen emotionalen Stimmungen der Musik kongenial ein. Auch die Solisten, die mit Ausnahme von Christian Rohrbach allesamt zum Jungen Ensemble am Staatstheater Mainz gehören, leisten Beachtliches. Christian Rathgeber gibt den Adam mit einem kräftigen Tenor, der auch in den Koloraturen sehr beweglich ist. Saem You stattet die Eva mit einem satten Sopran aus und changiert gekonnt zwischen keckem Spiel und bewegender Trauer über den Verlust ihrer Kinder. Radoslava Vorgic verfügt als Abel über einen frischen Sopran, der auch die Höhen spielerisch meistert. Auch sie begeistert durch ein ausdrucksstarkes Rollenportrait. Richard Logiewa setzt als Voce di Lucifero mit markantem Bass darstellerisch vor allem komische Akzente. Er dürfte sich zukünftig für Buffo-Rollen des Belcanto empfehlen. Alin Deleanu gefällt als Voce di Dio mit weichem Countertenor und distanziertem Spiel.

Star des Abends ist Christian Rohrbach als Cain, der den Brudermörder mit beweglichem Countertenor und keineswegs als eindimensionalen Bösewicht gibt, sondern die Figur mit großer Sensibilität anlegt, so dass er schon beinahe zu einem Sympathieträger wird. Ein Höhepunkt ist seine Interpretation der Arie "Perché mormora il ruscello", mit der er zunächst seinen Bruder in den Schlaf singt, bevor er dann im zweiten Teil, wenn der Bruder schläft, die bedrohlichen Stimmen in seinem Kopf hört, die ihn zum Brudermord anstiften. So gibt es am Ende großen und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten und für eine Inszenierung, die im Großen und Ganzen eine gute szenische Umsetzung des Oratoriums darstellt.


FAZIT

Musikalisch gibt es bei Scarlatti noch vieles zu entdecken, das Junge Ensemble präsentiert sich vielversprechend und Tatjana Gürbaca findet eine Erzählstruktur, die das Werk wie eine szenische Oper wirken lässt, ohne es dabei zu verbiegen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ralf Otto

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühne und Kostüme
Stefan Heyne

Licht
Peter Meier

Dramaturgie
Barbara Gräb





Mitglieder der
Streichergruppe des
Philharmonischen
Staatsorchesters Mainz


Solisten

Voce di Dio
Alin Deleanu

Adam
Christian Rathgeber

Eva
Saem You

Abel
Radoslava Vorgic

Cain
Christian Rohrbach

Voce di Lucifero
Richard Logiewa

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Mainz
(Homepage)



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