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Geschwisterkampf am Küchentisch
Von Thomas Molke /
Fotos von Martina Pipprich
Vom 4. bis zum 13. Mai veranstaltet das Staatstheater Mainz eine Barock-Woche,
in der das Theater gemeinsam mit der Hochschule für Musik einen weiten Bogen vom
Barock bis in den Neo-Barock der Moderne spannt und neben den eigenen
Produktionen den Studierenden der Hochschule für Musik in mehreren Konzerten
eine Plattform bietet, ihr Können im Kleinen Haus unter Beweis zu stellen. Am
Anfang dieser Woche steht die Erarbeitung einer Barockoper mit Mitgliedern des Jungen Ensembles,
die am
Staatstheater Mainz mittlerweile eine Tradition geworden ist (siehe auch unsere
Rezension zu
Amadigi di Gaula aus der letzten Spielzeit). In diesem Jahr hat die
Operndirektorin Tatjana Gürbaca ein Oratorium von Alessandro Scarlatti
ausgewählt, welches dieser 1707 auf ein Libretto des venezianischen Patriziers
Antonio Ottoboni für Venedig komponierte und das von dem ersten Brudermord des
Alten Testamentes handelt. Und auch wenn dieses Werk bei seiner Entstehung
sicherlich nur konzertant gegeben wurde, vertritt das Regie-Team um Gürbaca die
Ansicht, dass Il primo omicidio - wie zahlreiche andere Oratorien auch - mit
Blick auf die musikalische Struktur und den dramaturgischen Aufbau eine
szenische Umsetzung verlangt.
Adam (Christian Rathgeber, Mitte) wünscht sich,
dass seine beiden Kinder Cain (Christian Rohrbach, rechts) und Abel (Radoslava
Vorgic, links) sich vertragen (im Hintergrund links: Eva (Saem You)).
Gürbaca betrachtet die Figuren des Stückes als echte Menschen, die mit ihren
Ängsten, Sorgen, Hoffnungen, Leidenschaften, ihrer Liebe, ihrem Neid und ihrer
Trauer auch heute noch gut nachvollzogen werden können, weshalb Kostümbildner
Stefan Heyne Adam und Eva mit ihren beiden Kindern als heutige Familie
einkleidet, die sich zu einer gemeinsamen Mahlzeit in einer Küche einfindet.
Adam und Eva tragen dabei Bademäntel, Cain und Abel eine Schuluniform. Um eine
gewisse Distanz zur biblischen Geschichte aufzubauen, ist Abel ein Mädchen. Die
Notwendigkeit für diesen Regieeinfall wird nicht ganz klar. Nachvollziehbar
hingegen ist, dass Gürbaca Abel nicht nur als den braven Sohn zeichnet, den man
aus der Bibel kennt, sondern ihm ehrgeizige Züge verleiht, die Cains Neid und
Wut, die letztendlich im Brudermord gipfeln, verständlicher machen. So gibt es
bereits am Küchentisch häufigen Streit zwischen den beiden Geschwistern, bei dem
Abel als Liebling der Eltern meistens den Sieg davon trägt, auch wenn er / sie
dem Bruder zunächst die Cornflakes, dann auch noch eine weiße Stoffkatze
wegnimmt, der dann auch noch als Sühneopfer für den Herrn das weiße Fell
abgezogen wird. In diesen Szenen nimmt Abel sehr negative Züge an, so dass nicht
klar wird, wieso Abel von Gott stets bevorzugt wird.
Cain (Christian Rohrbach, vorne) und Abel
(Radoslava Vorgic, hinten) bereiten ihr Sühneopfer für Gott vor.
Eine besondere Herausforderung sind für Gürbaca auch die Stimme Gottes (Voce di
Dio) und Luzifers (Voce di Lucifero), die sie ebenfalls als Figuren auftreten
lässt. Während die anderen Figuren mit der personifizierten Stimme Gottes in
Interaktion treten, wenn auch zunächst mit gebührendem Respekt - so zittert Eva
ehrfurchtsvoll, wenn sie der Stimme Gottes eine Tasse Kaffee anbietet und ein
wenig Milch verschüttet -, so erstarren sie zunächst beim Auftritt der Stimme
Luzifers. Nur Cain wird von Luzifer aus seiner Erstarrung erlöst und nimmt ihn
als Person wahr. So ist es letztendlich die Stimme Luzifers, die Cain zum
Brudermord führt, den dieser mit dem von Luzifer gereichten Messer nur andeutet.
Das Blut fließt erst, als der Teufel einen Eimer mit blutroter Farbe über Abel
ausschüttet. Die Stimme Gottes verhält sich im Gegensatz zu Luzifer wesentlich
passiver. Bereits beim ersten Auftritt kommt er lediglich als Beobachter und
macht Notizen. Auch Evas Annäherungsversuche, nachdem sie ihre Scheu abgelegt
hat, lehnt er brüsk ab. Von daher ist es vielleicht gerade dieses passive
Verhalten, dass Cain abtrünnig werden lässt. Wieso Gürbaca jedoch nach dem Tod
Abels und dem Weggang Cains die Stimme Gottes, die Stimme Luzifers und Cain als
Journalisten auftreten lässt, die Adams Klage über den Verlust der beiden Söhne
für die Medien einfangen, bleibt ein unnötiger Regieeinfall, dessen tieferer
Sinn sich nicht erschließt.
Voce di Lucifero (Richard Logiewa, rechts)
verleitet Cain (Christian Rohrbach, Mitte) zum Mord an Abel (Radoslava Vorgic,
links).
Stefan Heyne hat für das Bühnenbild eine große drehbare Scheibe entworfen, die
in zwölf Segmente aufgefächert ist und sich gegen den Uhrzeigersinn dreht. Eine
ähnliche Scheibe ist unter der Decke noch einmal angebracht, die die darunter
agierenden Figuren von oben zeigt, sozusagen aus der Perspektive Gottes. Im
ersten Teil befinden sich auf der Scheibe zwei zusammengeschobene quadratische
Tische und vier Stühle, die die Küche von Adam und Eva darstellen. Auf den
Tischen liegt eine große weiße Tischdecke, die Eva nach dem Verlust ihrer beiden
Söhne wie ein Baby herzt. Zahlreiche grüne Äpfel auf den Tischen erinnern an den
Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies. Wenn Cain und Abel ein Opfer
bringen sollen, um den Zorn Gottes zu besänftigen, werden die beiden Tische
auseinander geschoben und die beiden Kinder breiten jeweils auf einem Tisch ihre
Opfer aus, Abel die gehäutete Katze, die als Opfer angenommen wird, und Cain
eine Kiste mit Äpfeln, die als Opfer nicht erhört wird. Im zweiten Teil kommt
die Drehscheibe ganz ohne Requisiten aus. Die Natur, in der sich Cain und Abel
befinden, wird nur durch die lautmalerische Musik beschrieben. Man kann den Bach
um die Drehscheibe herum regelrecht rauschen hören. Das Orchester ist hinter der
Drehscheibe auf der Bühne platziert. Die Sänger agieren also vor dem Orchester.
Nur wenn Abels Stimme nach seinem Tod die betrübten Eltern über den Verlust
hinwegzutrösten versucht, indem er von den himmlischen Freuden berichtet, die er
nun genießen kann, befindet er sich hinter dem Orchester.
Voce di Dio (Alin Deleanu, rechts) tröstet Adam
(Christian Rathgeber, vorne) über den Verlust der beiden Söhne (im Hintergrund:
Eva (Saem You)).
Für die Musiker, die neben dem Streicherapparat nur aus Fagott, Cembalo, Orgel
und Tiorba bestehen, ist dieses Werk eine besondere Herausforderung, da fast
jeder solistisch agieren muss. So beginnt die Ouvertüre mit einer Solovioline,
die dann mit dem Fortschreiten der Entstehung der Welt in ein Streichertutti
übergeht. Barockspezialist Ralf Otto arbeitet mit den unterschiedlichen
Instrumentalkombinationen die klangfarbliche Vielfalt Scarlattis differenziert
heraus und fängt die verschiedenen emotionalen Stimmungen der Musik kongenial
ein. Auch die Solisten, die mit Ausnahme von Christian Rohrbach allesamt zum
Jungen Ensemble am Staatstheater Mainz gehören, leisten Beachtliches. Christian
Rathgeber gibt den Adam mit einem kräftigen Tenor, der auch in den Koloraturen
sehr beweglich ist. Saem You stattet die Eva mit einem satten Sopran aus und
changiert gekonnt zwischen keckem Spiel und bewegender Trauer über den Verlust
ihrer Kinder. Radoslava Vorgic verfügt als Abel über einen frischen Sopran, der
auch die Höhen spielerisch meistert. Auch sie begeistert durch ein
ausdrucksstarkes Rollenportrait. Richard Logiewa setzt als Voce di Lucifero mit
markantem Bass darstellerisch vor allem komische Akzente. Er dürfte sich
zukünftig für Buffo-Rollen des Belcanto empfehlen. Alin Deleanu gefällt als Voce
di Dio mit weichem Countertenor und distanziertem Spiel.
Star des Abends ist Christian Rohrbach als Cain, der den Brudermörder mit
beweglichem Countertenor und keineswegs als eindimensionalen Bösewicht gibt,
sondern die Figur mit großer Sensibilität anlegt, so dass er schon beinahe
zu einem Sympathieträger wird. Ein Höhepunkt ist seine Interpretation der Arie "Perché
mormora il ruscello", mit der er zunächst seinen Bruder in den Schlaf singt,
bevor er dann im zweiten Teil, wenn der Bruder schläft, die bedrohlichen Stimmen
in seinem Kopf hört, die ihn zum Brudermord anstiften. So gibt es am Ende großen
und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten und für eine Inszenierung, die
im Großen und Ganzen eine gute szenische Umsetzung des Oratoriums darstellt.
Musikalisch gibt es bei Scarlatti noch vieles zu entdecken, das Junge Ensemble
präsentiert sich vielversprechend und Tatjana Gürbaca findet eine
Erzählstruktur, die das Werk wie eine szenische Oper wirken lässt, ohne es dabei
zu verbiegen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme Licht Dramaturgie
Solisten
Voce di Dio
Adam
Eva
Abel
Cain
Voce di Lucifero
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