1. Nachrichten
  2. Kultur
  3. Umjubelte Rigoletto-Premiere im Bielefelder Stadttheater

Umjubelte Rigoletto-Premiere im Bielefelder Stadttheater

Mitreißendes Musiktheater

29.05.2012 | 29.05.2012, 00:00
Der geschasste Hofnarr Rigoletto (Jaco Venter) betrachtet sich im Spiegel. Hinter dem Vorhang lauert der Auftragskiller Sparafucile (Jacek Janiszewski). - © FOTO: MATTHIAS STUTTE
Der geschasste Hofnarr Rigoletto (Jaco Venter) betrachtet sich im Spiegel. Hinter dem Vorhang lauert der Auftragskiller Sparafucile (Jacek Janiszewski). | © FOTO: MATTHIAS STUTTE

Bielefeld. Eine unvorhergesehene Wende am Schluss? Ein göttlich inspiriertes Happy End? Kein Gedanke! Dass die Handlung einer Katastrophe entgegentreibt, steht keinen Augenblick in Frage. Der Narr ist der Gehörnte. Die Unschuldige ist tot. Roman Hovenbitzers Rigoletto-Inszenierung durchleuchtet eine Männerwelt, deren Eisbergspitzen die Strauss-Kahns und Berlusconis sind. Guiseppe Verdi hatte es schwer, sein Libretto durch die Zensur zu bringen.

Pate steht ein Theaterstück von Victor Hugo, das nach der Uraufführung verboten worden ist. Das Bielefelder Gesangsensemble und die Philharmoniker unter einem bestens aufgelegten Alexander Kalajdzic liefern mitreißendes Musiktheater.

Während der Ouvertüre erlebt das Publikum bereits den Höhepunkt der Oper als überdimensioniertes Schattenspiel: die Ermordung Gildas durch Sparafucile. So wird das "Melodrama" in den Status der Rückblende versetzt, und das Publikum sieht sich in eine paradoxe Situation gestellt. Mitgerissen von Verdi’scher Illusionskunst findet es sich wieder in der Rolle des Beobachters, der gezeigt bekommt, wie der Keim des Lebens in einer Flut von Obsessionen erstickt.

Gestische Mittel

Der Herzog von Mantua und sein Hofstaat erscheinen als veritabler Männerclub, für den die Hauptregel der Brecht’schen Opernstadt Mahagonny gilt: "Vor allem aber achtet scharf, dass man hier alles dürfen darf." Viele fallen diesem "Allesdürfen" zum Opfer, auch Monterones Tochter. Dieser verflucht den Herzog samt dessen Hofnarren Rigoletto, der Hohn und Spott über die Gehörnten auszugießen pflegt. In einer Art Puppenstube (Bühne: Hermann Feuchter) hält er seine Tochter Gilda gefangen, auf dass sie männlichen Gewaltakten nicht anheimfalle. Doch es kommt, wie es kommen muss. Kidnapper dringen in die papierwandige Puppenstube ein und führen Gilda dem Herzog zu. Der düpierte Narr dingt den Profikiller Sparafucile, um Gilda zu rächen, doch diese opfert sich für den Herzog.
Information
Weitere Aufführungen: 29. Mai, 7., 10. und 15. Juni. Wiederaufnahme in der nächsten Saison, erster Termin: 28. August. Karten unter Telefon (05 21) 555-444. Weitere Infos unter:
www.theater-bielefeld.de

Gespenstische Bilder verfolgen die Protagonisten wie schwärmende Racheengel. Zwei Personen stilisiert die Regie zu Figuren, die aus der "Commedia dell’arte" zu stammen scheinen: Sparafucile und seine Schwester Maddalena. Der "Todbringer" erinnert an den grotesken Conferencier aus dem Mucical "Cabaret". Roy Spahn hat sie "altitalienisch" kostümiert und ihre Gesichter weiß schminken lassen. Die so Maskierten greifen dirigierend ins Geschehen ein, und vor allem: Mit gestischen Mitteln führen sie vor: "Seht her, wie es zugeht in der Welt!" Der Graf und seine Encourage dagegen tragen moderne Alltagskleidung wie du und ich (!), und Rigoletto vagabundiert zwischen den Welten und geht dabei verloren.

Jaco Venter vom Staatstheater Karlsruhe ist ein grandioser Rigoletto. Der gebürtige Südafrikaner verfügt neben seiner großen und enorm vielseitigen Stimme über enormes schauspielerisches Potential. Die schneidende, ja fast hässliche stimmliche Geste steht ihm ebenso zu Gebote wie ein überaus zärtlicher dem Weinen naher lyrischer Ausdruck. Wunderschön die Duette mit Gilda, gesungen von Cornelie Isenbürger, die ihrerseits berückende Partien liefert; ihre große Stärke sind die zerbrechlich-intimen Passagen, bewegend ihre bezaubernd riskanten Pianissimi in höchster Lage.

Szene großer Eindringlichkeit

Eric Laporte gibt erwartungsgemäß einen prächtigen Herzog, stimmlich stets auf der Höhe seiner Aufgabe; lustvoller tenoraler Schmelz und Glanz als musikalischer Ausdruck der Verführung, des Triumphs – und der Brutalität. Torben Jürgens verleiht dem fluchenden Monterone attavistische Wucht. Jacek Janiszewski und Melanie Forgeron verbinden stilisierte Choreographie und stimmliche Grazie zu einer überzeugenden darstellerischen Leistung und sind ein Garant für das Regiekonzept.

Musikalischer Höhepunkt: Das Gesangsquartett von Rigoletto, Gilda, Maddalena und dem Herzog (die letzteren beiden auf dem Lotterbett). Eine Szene großer Eindringlichkeit ist hier gelungen, mit großartig aufspielenden Philharmonikern. Der Garant derlei Höhepunkte ist Alexander Kalajdzic, der ein goldenes Händchen für derlei Bühnendramatik hat.

Das Publikum applaudiert stehend. Große Begeisterung. Vereinzelte Buhrufe gehen unter.