Nemorino geht ins Kino

Sollte in absehbarer Zeit ein Film über das Leben von Charlie Chaplin gedreht werden, kann man sich das Casting sparen und gleich den Sänger Rolando Villazón engagieren. In seiner zweiten Operninszenierung, bei den Herbert-von-Karajan-Pfingstfestspielen in Baden-Baden zu

Lotte Thaler
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Plötzlich hört der Trubel auf – Rolando Villazón, vermeintlich allein mit seinem Liebesleid. (Bild: PD)

Plötzlich hört der Trubel auf – Rolando Villazón, vermeintlich allein mit seinem Liebesleid. (Bild: PD)

Sollte in absehbarer Zeit ein Film über das Leben von Charlie Chaplin gedreht werden, kann man sich das Casting sparen und gleich den Sänger Rolando Villazón engagieren. In seiner zweiten Operninszenierung, bei den Herbert-von-Karajan-Pfingstfestspielen in Baden-Baden zu sehen, gibt sich der Startenor als Cineast zu erkennen, mit starkem Hang zum Stummfilm. Die komische Oper «L'Elisir d'amore» von Gaetano Donizetti ist eine durchaus nachdenkliche Geschichte über einen Dorftölpel, dessen Herzensbildung allen anderen Charakteren überlegen ist und schliesslich zum Happy End mit der angebeteten und gebildeten Adina führt, die im Unterschied zu Nemorino lesen und schreiben kann.

Übervölkerung auf der Bühne

Villazón singt und spielt diesen Nemorino selbst, gleichsam omnipräsent. Er singt sogar im Chor mit, wenn er nicht solistisch gefragt ist. Seine Inszenierung hat er auf sich und sein ausgesprochen komisches Naturtalent zugeschnitten, am liebsten wäre er Buster Keaton und Charlie Chaplin in einer Person. Das ist oft amüsant anzusehen, etwa wenn er mit Poncho und Sombrero hantiert – schliesslich ist er Mexikaner – oder wenn er später in dunkler Hose und Weste die Gestik und Mimik von Chaplin nachstellt (Thibault Vancraenenbroek hat die stilechten Kostüme entworfen). Doch vor lauter cineastischer Begeisterung packt Villazón zu viel auf die Bühne. Johannes Leiacker hat ihm ein Bühnenbild hingestellt, das ein Filmstudio der zwanziger Jahre suggeriert: Saloon mit angrenzendem Sheriff-Office, Bank, Piazza für Duelle. Gedreht wird ein Western – das Ergebnis wird gleichsam im Abspann der Aufführung gezeigt: ein Low-Budget-Produkt von hohem Unterhaltungswert, ein Stummfilm, zu dem nochmals Donizettis Musik «live» gespielt wird. Aufgefahren werden bei dieser medial versetzten Oper lauter Versatzstücke und Zitate aus den einschlägigen Filmen.

Die Bühne leidet dabei unter Überbevölkerung, man weiss oft nicht, wo hinschauen, rechts steht ein stoischer Indianer, der gelegentlich ein ultimatives «Hau» ausstösst, links wird gesungen, in der Mitte eine Tanzeinlage der Saloon-Damen, die mit ihrem rockschwingenden Cancan bei Offenbach besser aufgehoben wären, und im Hintergrund ein Chinese, der sich in Tai-Chi übt. Es wird gemixt bis an die Grenze des Klamauks, zumindest im ersten Akt. Auch der zweite beginnt noch als überdrehte Western-Persiflage, der Chinese entpuppt sich als prügelnder Gewaltmensch, es wird geschossen, durch die Luft geflogen und auf Tische gekracht.

Aber dann sehen wir Rolando Villazón in der Trostlosigkeit des amerikanischen Mittleren Westens, buchstäblich in the middle of nowhere, in einer Blockhütte sitzend, umgeben von einer ins Unendliche führenden Reihe ignoranter Strommasten. Hier singt er die berühmteste Arie dieser Oper, «Una furtiva lagrima», ein Lieblingsstück aller Tenöre bis heute.

Jetzt wird es Ernst, nicht nur, weil Donizetti selbst das komödiantische Spieltempo der Musik unterbricht, sondern weil Villazón da auch ganz allein mit seiner Stimme ist. Sagen wir so: Seien wir froh, dass Villazón wieder – oder noch – so singen kann. Dass er zu Beginn der Arie auf Nummer sicher geht und ihre ersten Töne ein wenig steif und fest anstimmt, ist verständlich. Weniger dagegen der schluchzerhafte Arienschluss, bei dem Villazón die einzelnen Töne zu sehr verschleift. Das mag eher eine Stilfrage denn ein Stimmproblem sein. Die lyrische Empfindsamkeit hat sich Villazón erhalten, das Stimmvolumen aber hat zurzeit deutliche Einbussen.

Bei aller publikumswirksamen Turbulenz auf der Bühne bleibt die Kernfrage dieser Inszenierung unbeantwortet: Was hat Donizettis «Liebestrank» im Western verloren? Vielleicht ist dies die grösste Überraschung in Baden-Baden, dass ein Sänger selbst zu den Mitteln des Regietheaters greift, sofern man darunter das Überstülpen einer abwegigen Story auf eine vorhandene Operngeschichte versteht. So tritt der sängerisch wie darstellerisch brillante Ildebrando D'Arcangelo – als «Muttersprachler» auch der Einzige in dieser Aufführung, der den italienischen Sprachwitz beherrscht – in der Rolle des Quacksalbers Dulcamara als Indianerhäuptling auf, der auf Marthaler-Art vom Holzpferd steigt. Ein Indianer als der Böse, und dies im Karl-May-Gedenkjahr?

Begrenzte Italianità

Miah Persson als Westerngirl Adina profiliert ihre Rolle gesanglich zunehmend, wenngleich sie gegenüber den unverwechselbaren Stimmcharakteren von Villazón und D'Arcangelo ein wenig neutral wirkt. Stimmlich fehlbesetzt ist leider der Offizier Belcore von Roman Trekel, dem sein Bariton unschön im Halse steckenbleibt. Mehr komödiantisches Engagement hätte man sich auch für das Balthasar-Neumann-Ensemble unter der Leitung von Pablo Heras-Casado gewünscht. Die Italianità mit geschmeidigen Tempoverläufen, Esprit und prickelnder Wendigkeit hielt sich jedenfalls in Grenzen. Eine «Idee» für Donizettis Musik muss dieser Dirigent wohl erst noch finden. Der Leierkasten kann es eigentlich nicht sein. Der Balthasar-Neumann-Chor zeigte sich allerdings von seiner besten Seite.