Die Ideen von Regisseur Pierre Audi konnten nicht ganz überzeugen. Bunt war es aber bei diesem "Parsifal" in Anish Kapoors Bühnenbild - und musikalisch außergewöhnlich.

Foto: Nederlandse Opera

Mit der nächsten Spielzeit wird Pierre Audi ein Vierteljahrhundert die Nederlandse Opera in Amsterdam geleitet haben. Rekordverdächtig, da schließen sich schon mal bestimmte Kreise. Grübers legendärer Parsifal gehörte zu den ersten Stücken einer ästhetisch offenen Spielplanstrategie, mit der Audi dem Haus einen vorderen Platz in der europäischen Opernlandschaft gesichert hat. So überrascht es nicht, wenn er, mit dem Wagner-Jahr vor Augen (und seinem eigenen, reaktivierbaren Ring in den Magazinen), jetzt erstmals selbst Parsifal inszeniert.

Dass er sich Anish Kapoor als Bühnenbildner dazu einlädt, folgt nicht nur dem Trend, aus ästhetischen Reibungen mit bildenden Künstlern Funken zu schlagen und den vorhersehbaren Aufmerksamkeitsbonus mitzunehmen. Audi und der berühmte indisch-britische Künstler haben einen Hang zum großformatigen Effekt und obendrein auch schon zusammengearbeitet. Jetzt ist das Resultat nicht so eindeutig. Die drei archaischen Riesenfelsbrocken des 1. Aufzuges sind eine konventionelle Pappmaschee-Kulisse, Amfortas allzu dicht an einem Jesus-Passionsspiel.

Bei der Gralsenthüllung durchdringt sein Blut direkt ein Tuch, dessen bloßer Anblick für die Arbeiter in diesem Steinbruch des Herrn zum Aufladen der Batterien reicht. Beim "Zum Raum wird hier die Zeit" zieht sich Kapoor jedoch aus der Affäre und einfach den Vorhang zu. Auch der Karfreitagszauber wird szenisch einfach übergangen. Erst im 2. Aufzug geht es in Richtung des eigentlichen Kapoor. In Klingsors Reich beherrscht ein gewaltiger Hohlspiegel den leeren Raum - mit all den gewollten, aber auch ungewollten Spiegel- und Akustikeffekten, die sich damit erzeugen lassen.

So taucht nicht nur das Orchester verzerrt auf, sondern auch die Stimmen werden für Momente wie künstlich verstärkt in den Raum reflektiert. Bis von oben ein Licht herabschwebt und gebrochen die Auseinandersetzung zwischen Kundry und Parsifal illuminiert. Bei den Blumenmädchen, die erst bis aufs Gesicht voll verhüllt und dann berüschte Standbilder (Kostüme: Christof Hetzer) sind, musste Parsifal schon hellsehen können, um deren Verführungskraft zu erkennen. Mit nur einer Geste lässt er schließlich den Speer in Klingsors Hand so zerspringen, dass man sich schon in einem ganz anderen Wagner-Stück wähnt. Im 3. Aufzug steht dann nur eine Wand mit kreisrunder Öffnung diagonal auf der Bühne. Die Ritter marschieren jetzt in schlichten schwarzen Anzügen auf und sind mit einem Kreuz bemalt. Wenn sich am Ende dann der Kapoor-Spiegel über dem Loch herabsenkt, ist das eher das abstrakte Zeichen einer Implosion als eines für irgendeine Art von Hoffnung, die in der Komplettierung ja auch liegen könnte. Parsifal erlöst Amfortas, indem er ihn mit dem Speer niedersticht. Und geht. Für das restliche Personal zieht Audi einfach den Stecker - allesamt gehen sie zu Boden. Nur Gurnemanz bleibt aufrecht, möglicherweise als der Chronist des Nichts.

Bleiben szenisch Zweifel, so gab es musikalisch tolle Antworten! Christopher Ventris ist ein strahlkräftiger Parsifal. Petra Lang überzeugt als hochdramatische Kundry, die auch für exzessive Stöhnzugaben genug Kraft hat. Alejandro Marco-Buhrmesters gehört sowieso zu den besten Amfortas-Interpreten, und auch Mikhail Petrenko macht aus seinem Klingsor (auch aus Titurel) eine eindrucksvolle Studie der Verzweiflung. Das eigentliche Parsifal-Ereignis kommt freilich aus dem Graben.

Iván Fischer flutet den Saal mit all der transparenten Klangopulenz, zu der das Concertgebouworkest imstande ist. Dabei bevorzugt er eine eher flotte Gangart, die gleichwohl nicht gehetzt wirkt, trägt die Stimmen und sorgt so für den Zauber und das große Mitfühlen, das szenisch oft nur Behauptung bleibt. (Joachim Lange, DER STANDARD, 19.6.2012)