Immer Ärger mit dem Chef
Von Roberto Becker
/
Foto von Pascal Victor / Artcomart
Die Opern von Mozart gehören seit jeher zum Selbstverständnis des Festivals in Aix-en-Provence. Der aktuelle 64. Jahrgang wurde mit einer Neuproduktion von Le nozze di Figaro eröffnet. Zum Abschluss des Premierenreigens gab es dann, in der Domäne Grand Saint Jean, auch noch Mozarts frühe Oper La finta giardiniera. Dort draußen auf dem Land stand Andreas Spering am Pult des Orchester Le Cercle de l'Harmonie. Bei der großen Produktion im Théâtre de l'Archevêché war es Jérémie Rhorer, der nach einer kurzen Eingewöhnungsphase einen durchweg, mit dosiert historisierendem Ehrgeiz gewürzten, kompetenten Mozartklang für sein Protagonisten-Ensemble beisteuerte. Hier gab es trotz des herausgehobenen und permanent in den französischen Medien intensiv beworbenen Stellenwertes dieser Produktion - nur einen wirklich prominenten Namen: Patricia Petibon als Susanna. Sie entfaltete im Laufe des Abends denn auch ihren bewährten Spielwitz, klang aber am Anfang seltsam zurückgenommen. Obwohl die Sänger gut aufeinander abgestimmt und um ein gutes Zusammenspiel bemüht waren, blieben sie gleichwohl das letzte Quäntchen von überzeugender Durchschlagskraft schuldig.
Regisseur Richard Brunel setzte auf schnelle Wechsel im exzellent den Gegebenheiten im Hof des erzbischöflichen Palastes angepassten Bühnenbild. Und doch blieb auch die szenische Umsetzung hinter den Erwartungen an einen provenzalischen Mozart-Abend zurück. Dabei versucht die Regie sogar eine Übertragung der Geschichte in die Gegenwart.
Graf Almavia ist hier ein wohlhabender Jurist, in dessen Kanzlei keine seiner hübschen weiblichen Angestellten vor seinen Avancen sicher ist. Bei der cleveren Susanna ist er da zwar an die falsche geraten, aber Barbarina hat so ihre Erfahrungen mit ihm. Und der eine oder andere schmachtende Blick, den er auf sich zieht, deutet darauf hin, dass dieser Hecht in diesem Karpfenteich noch eine Menge zu tun bekommt. Dabei ist seine attraktive Frau sogar schwanger von ihm. Was Malin Byström als Gräfin immer mal wieder ziemlich deutlich ausstellt, hat im Grunde für die Geschichte kaum eine Konsequenz, außer der, dass die allgemeine Versöhnung am Ende nicht nur unglaubwürdig ist, weil der Graf schon wieder auf die Pirsch geht, sondern dass dieses Machoverhalten gerade für die Ehefrau und werdende Mutter tragisch ist und sie, früher oder später, in die Arme eines Cherubino treiben muss.
Die Inszenierung ist im Detail nicht ohne Charme, was zum Beispiel an der erfrischenden Art liegt, mit der Kate Lindsey einen jungenhaft kessen Cherubino hinlegt. Der hat keine Mühe, auf der Flucht vor dem Grafen über die Kammerwände zu klettern. Das ist zwar nicht logisch, aber effektvoll. Auch dass der Graf, dem Paulo Szot stimmlich ansehnliche Statur verleiht, mit einem Weimaraner und geschultertem Jagdgewehr anrückt, um die Tür aufzubrechen, hinter der er den Filou vermutet, macht zwar Effekt (der brave Hund bellt genau richtig in eine Pause hinein) aber wenig Sinn.
Vor allem die variablen Kanzleiwände entfalten zusammen mit einer raffinierten, stimmungsvollen Beleuchtung - samt Schattenwurf des Baumes im Hof des Theaters - ästhetischen und atmosphärischen Charme. Das ganze Wer-mit-Wem-Gewusel im Garten ist eindrucksvoll, zumal da auch Orchester und Protagonisten in Fahrt kommen und dicht beieinander sind. Kyle Ketelsens Figaro ist in dem ganzen Intrigendurcheinander sozusagen der Normalo vom Dienst, sympathisch und an der Seite seiner Frau auf Dauer sicher auch trotz dieses Arbeitgebers in Maßen erfolgreich. Am Ende stimmt das Publikum dieser neuen Produktion zu, von echter Begeisterung blieb das zu Recht - ein ganzes Stück weit entfernt.
FAZIT
Diese Figaro-Produktion zur Festivaleröffnung hat ihren Charme, bleibt aber szenisch und vokal hinter den Erwartungen an ein auf Mozart spezialisiertes Festival etwas zurück.
Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief